Das ist freilich eine sehr schöne Geschichte, liebe Kerstin.
Ob sie stimmt, wäre evtl. anhand des Aufzeichnungsbands der Überwachungskamera feststellbar.
@Kerstin: für soeben frei erfunden ist dies ein wirkliches Kleinod an Kurzgeschichte. Aber eine Frage bleibt: hat Herr M. ein Motiv gefunden??
Zum Bild: es ist immer wieder eine Kunst, Alltägliches abzulichten um es so interessant zu machen.
Gruß, Stefan
Nun wäre es sehr schön, wenn in der privaten oder dienstlichen Bibliothek auch Max Gottschald’s „Deutsche Namenkunde“ oder etwas Vergleichbares auffindbar wäre. - Aber das ist es natürlich nicht und im altbewährten Internet findet man auch nur einen kleinen Hinweis auf die Häufigkeitsverteilung des Namens „Breitsamer“ in den Regionen Deutschlands, wobei nach der, auf Telefonanschlüssen basierenden Verteilung, die meisten Breitsamers im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zu finden sind.
Naheliegend für einen namenskundlichen Laien wie mich wäre natürlich, die Herkunft in einem ländlichen Betätigungsfeld zu suchen, wobei ich mich da aber gern von jeder anderen Wortzusammensetzung und -deutung überraschen lasse.
Ich habe bei diesem Namen also zunächst einmal die Vorstellung von einem alten Landmann, der seinen Saatgutsack umgehängt hat, über sein Land schreitet und in regelmäßigen Abständen in gleichmäßigem Schwung die Samen breitwürfig auf dem Feld verteilt.
Passend zu dieser Vorstellung lässt das blaue Fallrohr eine Assoziation zum Särohr einer Drillmaschine zu. Eine solche Sämaschine verfügt in der Praxis über mehrere solcher, meist parallel verlaufender Särohre, so dass in der Vorstellung zunächst von einer Reihensaat auszugehen wäre, die sich von einer weiteren möglichen Form der Saat, der Breitsaat, unterscheidet. Selbst, wenn wir uns vorstellen wollten, dass das Särohr auch an einer Sämaschine so breit wäre, dass, wie hier im Bild, theoretisch eimerweise Saatgut auf einmal hindurchfallen könnte, dürfte man nicht von einer Breitsaat ausgehen, da die Saatmenge je nach Gerätetyp durch das sogenannte „Abdrehen“ der Maschine, die Größe der Säräder bzw. durch die Lochverteilung auf den vorgelagerten Säscheiben exakt vorgegeben ist und gesteuert wird. Die Breitsaat ist in der landwirtschaftlichen Praxis heute nicht mehr üblich, man kennt sie, wenn überhaupt, hauptsächlich noch aus Kleinbetrieben oder für spezielle Fälle der Untersaat, wofür das Saatgut dann jedoch nicht mehr per umgehängtem Saatgutsack und durch des Bauern Hand, sondern mit dem Düngerstreuer ausgebracht wird.
Die folgende, sehr kurze Kurzgeschichte über eine Schuttmulde besonderer Art (für die Sektion Fotogeschichten ;-)) ist frei erfunden und könnte natürlich auch auf den ersten April einstimmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig:
Herr M., ein etwas schrulliger, aber liebenswerter älterer Herr, war immer auf der Suche nach irgendeinem Motiv. Er hatte Zeit und an diesem grauen Morgen nach seiner Ankunft ließ er sich treiben durch den alten Teil der Stadt, die er noch nicht kannte. Dabei war er an auffällig vielen Containern vorbeigekommen: Müllcontainern, Papiercontainern, Flaschencontainern, Containern mit geschlossenen und solchen mit geöffneten Klappen. Es war erstaunlich, aber er hatte noch nie zuvor so viele auf einmal gesehen. Oder sie bisher einfach nicht bemerkt. Vor diesem, mit Namen Breitsamer, blieb er stehen, wie magisch angezogen. Er musste mehrmals hinsehen, aber es war ganz deutlich: Über dem Behälter tanzten Lichtpunkte, erst ganz wenige, kaum zu sehen. Aber es wurden immer mehr. Sie schienen aus dem Container zu kommen. Herr M. wurde unruhig. Er schaute sich um, doch es war ganz still, niemand war da. Die Lichter blieben und wurden immer heller. Sie schienen sich ihm zu nähern, umkreisten ihn schließlich. Herr M. war wie geblendet. Das Licht war so schön, dass er keinen Schritt mehr tun konnte. In seiner Vorstellung erschien ihm auf einmal der alte Gutshof, auf dem der Großvater einst als Verwalter tätig war und er im Stall manchmal die Pferde striegeln und später auf den modernen Maschinen mitfahren durfte, wenn er ihn besuchte. Lange hatte er nicht mehr daran gedacht. Er hörte das tiefe rhythmische Tuckern des alten Lanz und das Fallrohr über der Schuttmulde wurde plötzlich zur Sämaschine. Man könnte Gedanken säen, dachte er bei sich, viele schöne Gedanken, kluge Gedanken. Man müsste nur Container aufstellen überall in der Stadt, vor all diesen wunderbaren Gebäuden, in denen die Kultur zu Hause ist und die Bildung und die Musik und ein wenig von ihrem Geist auf gute Nährböden bringen. Und dann könnte man die Container zu den Menschen bringen und sie öffnen, damit die Lichtpunkte die Gedanken zu ihnen tragen und sie sich daran erfreuen und zu eigen machen. Und ... - Ein lautes Poltern ließ Herrn M. aufschrecken. Aus dem Container staubte es gewaltig. Raue Arbeiterstimmen drangen von oben zu ihm herab. Nichts mehr zu sehen von all den Lichtpunkten. Hatte er geträumt? Zögernd lief Herr M. weiter, kopfschüttelnd, auf der Suche nach irgendeinem Motiv.
Und sicherlich wird der Breitsamer auch zum Zuge kommen, denn er agiert in einer Abschleppzone.
Der Freudsche Penisneidbegriff ist ja umstritten, wenn nicht sogar überholt.
Allerdings soll es ja Männer geben, die darunter leiden, weil sie meinen, sie seien zu kurz gekommen.
Was früher vermutlich viele Menschen mit vielen Eimern zusammengetragen haben, das rutscht heute durch viele Eimer ohne Boden und ohne Menschen in einen seelenlosen Container, den ein Einmannlaster mit einer semiautomatischen Aufladevorrichtung in die Vergangenheit schickt.
Aber müssen wir Angst haben vor Erneuerung? Wohl nicht, und ohne zeitsparende Gerätschaften wäre so manches Restaurierungsprojekt eh nicht zu bezahlen.
Gruß KD
Carsten Mundt 31/03/2008 18:07
Das ist freilich eine sehr schöne Geschichte, liebe Kerstin.Ob sie stimmt, wäre evtl. anhand des Aufzeichnungsbands der Überwachungskamera feststellbar.
Stefan Adam 31/03/2008 18:03
@Kerstin: für soeben frei erfunden ist dies ein wirkliches Kleinod an Kurzgeschichte. Aber eine Frage bleibt: hat Herr M. ein Motiv gefunden??Zum Bild: es ist immer wieder eine Kunst, Alltägliches abzulichten um es so interessant zu machen.
Gruß, Stefan
Kerstin Stolzenburg 31/03/2008 17:23
Nun wäre es sehr schön, wenn in der privaten oder dienstlichen Bibliothek auch Max Gottschald’s „Deutsche Namenkunde“ oder etwas Vergleichbares auffindbar wäre. - Aber das ist es natürlich nicht und im altbewährten Internet findet man auch nur einen kleinen Hinweis auf die Häufigkeitsverteilung des Namens „Breitsamer“ in den Regionen Deutschlands, wobei nach der, auf Telefonanschlüssen basierenden Verteilung, die meisten Breitsamers im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zu finden sind.Naheliegend für einen namenskundlichen Laien wie mich wäre natürlich, die Herkunft in einem ländlichen Betätigungsfeld zu suchen, wobei ich mich da aber gern von jeder anderen Wortzusammensetzung und -deutung überraschen lasse.
Ich habe bei diesem Namen also zunächst einmal die Vorstellung von einem alten Landmann, der seinen Saatgutsack umgehängt hat, über sein Land schreitet und in regelmäßigen Abständen in gleichmäßigem Schwung die Samen breitwürfig auf dem Feld verteilt.
Passend zu dieser Vorstellung lässt das blaue Fallrohr eine Assoziation zum Särohr einer Drillmaschine zu. Eine solche Sämaschine verfügt in der Praxis über mehrere solcher, meist parallel verlaufender Särohre, so dass in der Vorstellung zunächst von einer Reihensaat auszugehen wäre, die sich von einer weiteren möglichen Form der Saat, der Breitsaat, unterscheidet. Selbst, wenn wir uns vorstellen wollten, dass das Särohr auch an einer Sämaschine so breit wäre, dass, wie hier im Bild, theoretisch eimerweise Saatgut auf einmal hindurchfallen könnte, dürfte man nicht von einer Breitsaat ausgehen, da die Saatmenge je nach Gerätetyp durch das sogenannte „Abdrehen“ der Maschine, die Größe der Säräder bzw. durch die Lochverteilung auf den vorgelagerten Säscheiben exakt vorgegeben ist und gesteuert wird. Die Breitsaat ist in der landwirtschaftlichen Praxis heute nicht mehr üblich, man kennt sie, wenn überhaupt, hauptsächlich noch aus Kleinbetrieben oder für spezielle Fälle der Untersaat, wofür das Saatgut dann jedoch nicht mehr per umgehängtem Saatgutsack und durch des Bauern Hand, sondern mit dem Düngerstreuer ausgebracht wird.
Die folgende, sehr kurze Kurzgeschichte über eine Schuttmulde besonderer Art (für die Sektion Fotogeschichten ;-)) ist frei erfunden und könnte natürlich auch auf den ersten April einstimmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig:
Herr M., ein etwas schrulliger, aber liebenswerter älterer Herr, war immer auf der Suche nach irgendeinem Motiv. Er hatte Zeit und an diesem grauen Morgen nach seiner Ankunft ließ er sich treiben durch den alten Teil der Stadt, die er noch nicht kannte. Dabei war er an auffällig vielen Containern vorbeigekommen: Müllcontainern, Papiercontainern, Flaschencontainern, Containern mit geschlossenen und solchen mit geöffneten Klappen. Es war erstaunlich, aber er hatte noch nie zuvor so viele auf einmal gesehen. Oder sie bisher einfach nicht bemerkt. Vor diesem, mit Namen Breitsamer, blieb er stehen, wie magisch angezogen. Er musste mehrmals hinsehen, aber es war ganz deutlich: Über dem Behälter tanzten Lichtpunkte, erst ganz wenige, kaum zu sehen. Aber es wurden immer mehr. Sie schienen aus dem Container zu kommen. Herr M. wurde unruhig. Er schaute sich um, doch es war ganz still, niemand war da. Die Lichter blieben und wurden immer heller. Sie schienen sich ihm zu nähern, umkreisten ihn schließlich. Herr M. war wie geblendet. Das Licht war so schön, dass er keinen Schritt mehr tun konnte. In seiner Vorstellung erschien ihm auf einmal der alte Gutshof, auf dem der Großvater einst als Verwalter tätig war und er im Stall manchmal die Pferde striegeln und später auf den modernen Maschinen mitfahren durfte, wenn er ihn besuchte. Lange hatte er nicht mehr daran gedacht. Er hörte das tiefe rhythmische Tuckern des alten Lanz und das Fallrohr über der Schuttmulde wurde plötzlich zur Sämaschine. Man könnte Gedanken säen, dachte er bei sich, viele schöne Gedanken, kluge Gedanken. Man müsste nur Container aufstellen überall in der Stadt, vor all diesen wunderbaren Gebäuden, in denen die Kultur zu Hause ist und die Bildung und die Musik und ein wenig von ihrem Geist auf gute Nährböden bringen. Und dann könnte man die Container zu den Menschen bringen und sie öffnen, damit die Lichtpunkte die Gedanken zu ihnen tragen und sie sich daran erfreuen und zu eigen machen. Und ... - Ein lautes Poltern ließ Herrn M. aufschrecken. Aus dem Container staubte es gewaltig. Raue Arbeiterstimmen drangen von oben zu ihm herab. Nichts mehr zu sehen von all den Lichtpunkten. Hatte er geträumt? Zögernd lief Herr M. weiter, kopfschüttelnd, auf der Suche nach irgendeinem Motiv.
Kerstin
~ MIRROR OF THE SOUL ~ 31/03/2008 16:42
Schön gesehen und vielfach interpretiert :-)Die Nr. sollte sich manch einer merken ...
LG Dagmar
Carsten Mundt 31/03/2008 16:07
Und sicherlich wird der Breitsamer auch zum Zuge kommen, denn er agiert in einer Abschleppzone.Der Freudsche Penisneidbegriff ist ja umstritten, wenn nicht sogar überholt.
Allerdings soll es ja Männer geben, die darunter leiden, weil sie meinen, sie seien zu kurz gekommen.
http://www.youtube.com/watch?v=yWj0yImBwvw
lg Carsten
Karl-Dieter Frost 31/03/2008 15:13
Was früher vermutlich viele Menschen mit vielen Eimern zusammengetragen haben, das rutscht heute durch viele Eimer ohne Boden und ohne Menschen in einen seelenlosen Container, den ein Einmannlaster mit einer semiautomatischen Aufladevorrichtung in die Vergangenheit schickt.Aber müssen wir Angst haben vor Erneuerung? Wohl nicht, und ohne zeitsparende Gerätschaften wäre so manches Restaurierungsprojekt eh nicht zu bezahlen.
Gruß KD
Andreas Denhoff 31/03/2008 15:03
Mehr Schein als Sein, sogar das hat der Fotograf vortrefflich ins Licht gerückt. ;-)))Gruß Andreas