Die Beschreibung "Zentralfriedhof" wäre in der Bildunterschrift nicht unbedingt nötig gewesen, lieber Eckhard, denn aufgrund der Symbolik ( Herbstlaub, Allee, fallende Blätter, etc.) erinnert das Bild ohnehin daran.
Ein ziemlich, wenn natürlich nicht ganz, ähnliches Bild, welches ich übrigens immer noch faszinierend finde, kennen wir ja bereits.
Der Unterschied zwischen den beiden Bildern liegt im "Turn".
Der Liedtext implementiert ja zunächst einmal eine Schicksalhaftigkeit, die man so als gegeben ansehen könnte, da jedes Ding und jedes Ereignis seine Zeit hat und im Ablauf unausweichlich erscheinen mag.
Jenseits aller sentimentalen Gefühle, die man für alte und gebrechliche Menschen natürlich hegt, könnte ich mir eine Interpretation vorstellen, die darüber hinaus geht, nämlich jene, in der der Mensch gefangen und gebunden ist, unbeweglich, gelähmt; scheinbar ohne die Möglichkeit der Einflussnahme.
Welche Rolle dabei die Dame spielt, die den Rollstuhl schiebt, ist mir noch nicht ganz klar.
Entweder ist sie die Schicksalsgöttin, welche unseren Weg bestimmt und gegen die wir uns auflehnen können, oder sie ist unser "Schutzengel", der uns im Moment des " Turns" zu Hilfe eilt.
"Turn" kann man ganz frei als den Moment der Entscheidung oder der Veränderung übersetzen ( "die Kurve kriegen"). Es ist jener kurze Augenblick, in dem wir klar sehen können. Es wäre daher sicherlich auch ein Bild möglich, auf dem die Personen scharf dargestellt sind, um jenen Moment der Entscheidung und der Klarheit darzustellen.
Natürlich kann man nicht wissen, ob es gelingen wird, die Kurve zu kriegen und somit wäre die Unschärfe sicherlich gerechtfertigt, da sie diese Ungewissheit widerspiegelt.
Und sicherlich wird dieser Moment, in dem wir uns überhaupt entscheiden können, oftmals so knapp bemessen sein, dass wir uns diesem vielleicht kaum bewusst werden.
"Der Moment der Stille" nimmt das in einem PC-Spiel auf. Ein kurzer Moment der Entscheidung, und das Ergebnis wird ein ganz anderes sein.
Bei einer Schrittgeschwindigkeit von 3 bis 4 km/h haben die beiden wohl noch die Kurve hingekriegt, aber das Leben ist halt doch nur eine Einbahnstraße mit dem gern nicht beachteten Zusatz: „Keine Wendemöglichkeit“ und zwar für everybody.
Gruß Adrian
Ein bewegtes Bild, lieber Eckhard, bereits rein technisch gesehen - Du gibst es in der Beschreibung an - und ein bewegendes zudem. Aus dem Titel "Turn" in Verbindung mit der abgebildeten Szene, dem Lied der Byrds und den erläuternden Angaben zum Foto lassen sich gleich mehrere Interpretationsansätze herauslesen.
An einem Geburtstag zu einem Friedhof zu gehen, ganz gleich, welche Gründe das in diesem Fall in der Realität gehabt haben mochte, bringt auch die Gedanken in Bewegung. Es schafft eine Verbindung zwischen Anfang und Ende (hier könnte auch die Zahl "9" als Quersumme aus der Einstellzeit interessant sein als Zahl für die Vollendung, Anfang und Ende, die Erfüllung, des Ganzen oder als Ausdruck für das irdische Paradies), lässt eine Rückschau auf das bisher geführte Leben zu, aber auch Überlegungen in Bezug auf das vor einem Liegende; es erlaubt auf diese Weise ein kurzes Stehenbleiben auf dem Weg und ein Reflektieren dessen, was das Leben bislang ausmachte, was es beeinflusste, was einen glücklich sein ließ und lässt, vielleicht auch massiv beeinträchtigte, wodurch man es schätzen lernte und was es in absehbarer Zeit bereithalten könnte.
Und so könnte man auch die ältere Person im Rollstuhl symbolisch sehen.
Ich denke, es liegt nahe, bei einem solchen Anblick an einem solchen Ort zunächst einmal daran zu denken, dass auch sie hier schon bald die letzte Ruhestätte finden würde, dass es möglicherweise eine Versinnbildlichung des letzten Stücks des eigenen Lebensweges darstellen könnte mit dem auch Fragen verknüpft sein dürften, was seine Erfüllung und den ganz persönlichen inneren Frieden betrifft.
Und doch scheint es, als ließe dieser Mensch den Rollstuhl an dieser Stelle noch einmal bewusst wenden, als wäre es zu früh für das Ende und der Weg vor ihm trotz der Unschärfe im Einzelnen doch bereits zu klar abgesteckt, der Weg "zurück" ins Leben jedoch, vielleicht auf anderen Pfaden, immer noch möglich. "Its not too late" ist auch in diesem Kontext grundsätzlich anwendbar, solange man eigenverantwortlich wählen kann und wählen möchte.
Vom eigenen Lebensweg kennt wohl jeder solche Situationen des "Turn", nach bewusster Entscheidung beispielsweise oder aufgrund von Einflüssen, die nicht vorhersehbar waren. Nicht immer wird bzw. muss das so extrem ausfallen, wie es im Bild den Anschein hat. Gerade bei einer bewussten Lebensplanung, einem bewusst gewählten Weg wird man nicht einfach so wenden wollen oder können. Aber über die Möglichkeiten nachzudenken, zu wissen, dass es im Einzelfall auch neue, andere oder gar bessere Wege geben könnte und dass das Licht, wie es hier im Bild in so besonderer Weise leuchtet, einem den Weg erhellen wird, kann durchaus hilfreich sein.
"To turn", sich drehen, umdrehen oder umkehren kann also auch eine übertragene Bedeutung haben, die man im Zusammenhang mit dem Leben vor dem Hintergrund von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vielleicht im Sinne von etwas ändern, sich ändern, sich bessern, etwas durch eigenes Zutun für andere verbessern, sehen kann, also im Sinne eines Handelns für das eigene Wohlergehen, das eigene Glück und das Wohl anderer. So sollte auch der Song der Byrds ("Turn! Turn! Turn!"), der veröffentlicht wurde, als die USA gerade Krieg in Vietnam führte, wie nachzulesen ist, einen gedanklichen Beitrag leisten, dass dieser Krieg ein Ende findet und Frieden einkehrt. Die letzte Zeile des Liedes bezieht sich explizit auf diese Thematik: “A time for peace, I swear its not too late.”
Wie Du bereits erwähnst, ist der Text eine Adaption des alttestamentlichen Bibeltextes aus dem Buch Kohelet, Kapitel 3, Verse 1–8.
"Kohelet" wie das "book of ecclesiastes" auch genannt wird, kann mit "sammeln" oder "Sammler" übersetzt werden. Luther leitete daraus wohl den Namen "Prediger" (auch "Prediger Salomo") ab. "Kohelet" entstand jedoch scheinbar ca. 700 Jahre nach dem biblischen König Salomo im 3. Jh. v. Christus. "Dies sind die Reden des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem." http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/lesen-im-bibeltext/bibelstelle/pred/cache/fd8bc87583/ Wie man an verschiedenen Stellen nachlesen kann, ist mit Sohn Davids allerdings jemand gemeint, der in der geistigen Nachfolge Salomo steht (dessen Name mit sprichwörtlicher Weisheit in Verbindung gebracht wird).
In Kohelet werden Fragen nach dem Glück und dem Sinn des Lebens gestellt, nach dem, was uns Menschen ausmacht, welche Bedeutung es hat, was wir tun oder unterlassen, wofür wir uns einsetzen, wonach wir streben,
, woher wir kommen, wohin wir gehen.
Alles hat seine Zeit
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2 geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
"Indem man dieses glaubt, kann man weitergehen, widerstehen und solidarisch handeln in Zeiten des Hasses, der Trauer, der Zerstörung und des Krieges. Mehr noch, wenn man um die gegenwärtige Situation weiß, kann man pflanzen, auch wenn nicht die Zeit des Pflanzens ist, kann man zu umarmen versuchen, auch wenn man weiß, dass nicht die Zeit der Umarmungen ist, kann man Frieden zu schaffen versuchen, auch wenn man weiß, dass man nicht sehr viel erreichen wird. Aber immer hat man die Sicherheit, dass es eine andere Zeit geben wird ... " http://www.muenster.de/~itpol/rundbrief8.pdf
9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.
10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.
11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.
15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist. http://www.bibleserver.com/index.php
Wenn man jedoch weiterliest, so sind die Verse 9-15, aber auch andere, hier nicht aufgeführte Teile des Buches, zunächst doch scheinbar mit einem gewissen Pessimismus behaftet. "Alle irdischen Genüsse führen letztlich nur zur Leere. Die Nichtigkeit allen Seins wird durch das Leitwort „Windhauch“ gekennzeichnet. Das ist alles Windhauch, sagte Kohelet. Das Wort ist schon immer im Sinn von „Vergänglichkeit“, „Flüchtigkeit“, „Unbeständigkeit“, „Vergeblichkeit“ aufgefasst worden - zusammengefasst im Begriff der vanitas. ... Im Zentrum steht jedenfalls die Frage nach dem menschlichen Glück; eine Glücksphilosophie im Diskurs mit der traditionellen Weisheitslehre einerseits und der hellenistischen Philosophie andererseits, wobei die traditionelle Weisheitslehre überwiegend von einem Tun-Ergehens-Zusammenhang ausging (Wer immer recht artig ist, wird von Gott auch belohnt.). Niederschläge dieser Ansicht finden sich auch heute noch überall, nicht nur in der Figur des Nikolaus von Myra (um auch eine Verbindung zum Einstelldatum und zur umgekehrten Reihenfolge der Einstellzeit zu finden: 06.12. bzw. 12:06 Uhr ;-)). Während nun eine Richtung der Forschung eine tief pessimistische Grundhaltung herausarbeitet, bis hin zum Nihilismus und einer „Philosophie des Absurden“, wird von anderen die Überwindung dieser Geisteshaltung betont. Die das Buch umspannende Aussage muss im Zusammenhang mit Kohelets Absicht verstanden werden, eine sinnvolle Lebensführung zu finden. Gleichzeitig ist es notwendig, das Buch als Teil der Weisheitsliteratur seiner Zeit zu sehen. Kohelet kommt zu der Erkenntnis, dass der Tod letztendlich jede Errungenschaft des Lebens auslösche. Daher empfiehlt er, das Leben zu nutzen, und jeden Tag als einzigartig zu genießen, da die Zukunft ungewiss sei." http://de.wikipedia.org/wiki/Kohelet
Nicht an Gott und der Welt dürfte Kohelet also gezweifelt haben, "sondern an der Dummheit und Uneinsichtigkeit der Menschen, die dahinstürmen und dem Leben nachjagen, die sich selbst verzehren und sich und andere in ihrem Wahn zerstören, von einer Verrücktheit in die nächste, von einem Scheinerfolg zum andern, immer weiter, immer schneller, immer unentrinnbarer [in diesem Kreislauf] gefangen."
"Und was ernten sie am
Ende? Nicht als „heiße Luft“! – „Windhauch“.
... Was bleibt am Ende von all unseren wunderbaren Anstrengungen und Leistungen, unserem Besitz, unserer Kraft und Schönheit und unseren Erfolgen? Was davon können wir denn mitnehmen? - Von daher lohnt es sich schon, ab und zu mit Kohelet im Kopf einen Friedhofsspaziergang zu machen und sich wieder auf den Boden der Realität holen zu lassen." http://www.bruckmuehl-evangelisch.de/download/060129_hoe_4nepi.pdf
Das Leben ist ein Geschenk, etwas, das man nicht kaufen und nicht erzwingen kann, womit auch immer. Man kann es nur dankbar empfangen, genießen und nutzen, solange man es hat und versuchen, seinen alltäglichen Weg so klug wie möglich zu gehen.
Ist das jetzt der Wendepunkt nach "Oktober road"? Optisch geht es tendenziell aber so weiter. Oder meinst du mit Turn die Kurve, die die abgebildeten so kurz vorm Friedhof noch geschafft haben. Es kann natürlich auch dein drehen beim fotografieren gemeint sein, weil du den Blick vom nahen Ort des Todes abwenden wolltest. Fragen, die du sicherlich auch offen lassen wolltest, damit wir uns wieder über deine Gedankengänge den Kopf zerbrechen müssen ;-))
Gruß Andreas
Kerstin Stolzenburg 10/12/2008 10:59
Lieber Eckhard, danke für diese schöne und umfassende Erwiderung. Das Bild wird mich noch eine Weile beschäftigen.Kerstin
Frederick Mann 09/12/2008 5:43
will read later
Carsten Mundt 08/12/2008 21:28
Die Beschreibung "Zentralfriedhof" wäre in der Bildunterschrift nicht unbedingt nötig gewesen, lieber Eckhard, denn aufgrund der Symbolik ( Herbstlaub, Allee, fallende Blätter, etc.) erinnert das Bild ohnehin daran.Ein ziemlich, wenn natürlich nicht ganz, ähnliches Bild, welches ich übrigens immer noch faszinierend finde, kennen wir ja bereits.
Der Unterschied zwischen den beiden Bildern liegt im "Turn".
Der Liedtext implementiert ja zunächst einmal eine Schicksalhaftigkeit, die man so als gegeben ansehen könnte, da jedes Ding und jedes Ereignis seine Zeit hat und im Ablauf unausweichlich erscheinen mag.
Jenseits aller sentimentalen Gefühle, die man für alte und gebrechliche Menschen natürlich hegt, könnte ich mir eine Interpretation vorstellen, die darüber hinaus geht, nämlich jene, in der der Mensch gefangen und gebunden ist, unbeweglich, gelähmt; scheinbar ohne die Möglichkeit der Einflussnahme.
Welche Rolle dabei die Dame spielt, die den Rollstuhl schiebt, ist mir noch nicht ganz klar.
Entweder ist sie die Schicksalsgöttin, welche unseren Weg bestimmt und gegen die wir uns auflehnen können, oder sie ist unser "Schutzengel", der uns im Moment des " Turns" zu Hilfe eilt.
"Turn" kann man ganz frei als den Moment der Entscheidung oder der Veränderung übersetzen ( "die Kurve kriegen"). Es ist jener kurze Augenblick, in dem wir klar sehen können. Es wäre daher sicherlich auch ein Bild möglich, auf dem die Personen scharf dargestellt sind, um jenen Moment der Entscheidung und der Klarheit darzustellen.
Natürlich kann man nicht wissen, ob es gelingen wird, die Kurve zu kriegen und somit wäre die Unschärfe sicherlich gerechtfertigt, da sie diese Ungewissheit widerspiegelt.
Und sicherlich wird dieser Moment, in dem wir uns überhaupt entscheiden können, oftmals so knapp bemessen sein, dass wir uns diesem vielleicht kaum bewusst werden.
"Der Moment der Stille" nimmt das in einem PC-Spiel auf. Ein kurzer Moment der Entscheidung, und das Ergebnis wird ein ganz anderes sein.
Adrian K 07/12/2008 21:02
Bei einer Schrittgeschwindigkeit von 3 bis 4 km/h haben die beiden wohl noch die Kurve hingekriegt, aber das Leben ist halt doch nur eine Einbahnstraße mit dem gern nicht beachteten Zusatz: „Keine Wendemöglichkeit“ und zwar für everybody.Gruß Adrian
Kerstin Stolzenburg 07/12/2008 10:26
Ein bewegtes Bild, lieber Eckhard, bereits rein technisch gesehen - Du gibst es in der Beschreibung an - und ein bewegendes zudem. Aus dem Titel "Turn" in Verbindung mit der abgebildeten Szene, dem Lied der Byrds und den erläuternden Angaben zum Foto lassen sich gleich mehrere Interpretationsansätze herauslesen.An einem Geburtstag zu einem Friedhof zu gehen, ganz gleich, welche Gründe das in diesem Fall in der Realität gehabt haben mochte, bringt auch die Gedanken in Bewegung. Es schafft eine Verbindung zwischen Anfang und Ende (hier könnte auch die Zahl "9" als Quersumme aus der Einstellzeit interessant sein als Zahl für die Vollendung, Anfang und Ende, die Erfüllung, des Ganzen oder als Ausdruck für das irdische Paradies), lässt eine Rückschau auf das bisher geführte Leben zu, aber auch Überlegungen in Bezug auf das vor einem Liegende; es erlaubt auf diese Weise ein kurzes Stehenbleiben auf dem Weg und ein Reflektieren dessen, was das Leben bislang ausmachte, was es beeinflusste, was einen glücklich sein ließ und lässt, vielleicht auch massiv beeinträchtigte, wodurch man es schätzen lernte und was es in absehbarer Zeit bereithalten könnte.
Und so könnte man auch die ältere Person im Rollstuhl symbolisch sehen.
Ich denke, es liegt nahe, bei einem solchen Anblick an einem solchen Ort zunächst einmal daran zu denken, dass auch sie hier schon bald die letzte Ruhestätte finden würde, dass es möglicherweise eine Versinnbildlichung des letzten Stücks des eigenen Lebensweges darstellen könnte mit dem auch Fragen verknüpft sein dürften, was seine Erfüllung und den ganz persönlichen inneren Frieden betrifft.
Und doch scheint es, als ließe dieser Mensch den Rollstuhl an dieser Stelle noch einmal bewusst wenden, als wäre es zu früh für das Ende und der Weg vor ihm trotz der Unschärfe im Einzelnen doch bereits zu klar abgesteckt, der Weg "zurück" ins Leben jedoch, vielleicht auf anderen Pfaden, immer noch möglich. "Its not too late" ist auch in diesem Kontext grundsätzlich anwendbar, solange man eigenverantwortlich wählen kann und wählen möchte.
Vom eigenen Lebensweg kennt wohl jeder solche Situationen des "Turn", nach bewusster Entscheidung beispielsweise oder aufgrund von Einflüssen, die nicht vorhersehbar waren. Nicht immer wird bzw. muss das so extrem ausfallen, wie es im Bild den Anschein hat. Gerade bei einer bewussten Lebensplanung, einem bewusst gewählten Weg wird man nicht einfach so wenden wollen oder können. Aber über die Möglichkeiten nachzudenken, zu wissen, dass es im Einzelfall auch neue, andere oder gar bessere Wege geben könnte und dass das Licht, wie es hier im Bild in so besonderer Weise leuchtet, einem den Weg erhellen wird, kann durchaus hilfreich sein.
"To turn", sich drehen, umdrehen oder umkehren kann also auch eine übertragene Bedeutung haben, die man im Zusammenhang mit dem Leben vor dem Hintergrund von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vielleicht im Sinne von etwas ändern, sich ändern, sich bessern, etwas durch eigenes Zutun für andere verbessern, sehen kann, also im Sinne eines Handelns für das eigene Wohlergehen, das eigene Glück und das Wohl anderer. So sollte auch der Song der Byrds ("Turn! Turn! Turn!"), der veröffentlicht wurde, als die USA gerade Krieg in Vietnam führte, wie nachzulesen ist, einen gedanklichen Beitrag leisten, dass dieser Krieg ein Ende findet und Frieden einkehrt. Die letzte Zeile des Liedes bezieht sich explizit auf diese Thematik: “A time for peace, I swear its not too late.”
Wie Du bereits erwähnst, ist der Text eine Adaption des alttestamentlichen Bibeltextes aus dem Buch Kohelet, Kapitel 3, Verse 1–8.
"Kohelet" wie das "book of ecclesiastes" auch genannt wird, kann mit "sammeln" oder "Sammler" übersetzt werden. Luther leitete daraus wohl den Namen "Prediger" (auch "Prediger Salomo") ab. "Kohelet" entstand jedoch scheinbar ca. 700 Jahre nach dem biblischen König Salomo im 3. Jh. v. Christus. "Dies sind die Reden des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem." http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/lesen-im-bibeltext/bibelstelle/pred/cache/fd8bc87583/ Wie man an verschiedenen Stellen nachlesen kann, ist mit Sohn Davids allerdings jemand gemeint, der in der geistigen Nachfolge Salomo steht (dessen Name mit sprichwörtlicher Weisheit in Verbindung gebracht wird).
In Kohelet werden Fragen nach dem Glück und dem Sinn des Lebens gestellt, nach dem, was uns Menschen ausmacht, welche Bedeutung es hat, was wir tun oder unterlassen, wofür wir uns einsetzen, wonach wir streben, , woher wir kommen, wohin wir gehen.
Alles hat seine Zeit
1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2 geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
"Indem man dieses glaubt, kann man weitergehen, widerstehen und solidarisch handeln in Zeiten des Hasses, der Trauer, der Zerstörung und des Krieges. Mehr noch, wenn man um die gegenwärtige Situation weiß, kann man pflanzen, auch wenn nicht die Zeit des Pflanzens ist, kann man zu umarmen versuchen, auch wenn man weiß, dass nicht die Zeit der Umarmungen ist, kann man Frieden zu schaffen versuchen, auch wenn man weiß, dass man nicht sehr viel erreichen wird. Aber immer hat man die Sicherheit, dass es eine andere Zeit geben wird ... " http://www.muenster.de/~itpol/rundbrief8.pdf
9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.
10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.
11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.
15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist. http://www.bibleserver.com/index.php
Wenn man jedoch weiterliest, so sind die Verse 9-15, aber auch andere, hier nicht aufgeführte Teile des Buches, zunächst doch scheinbar mit einem gewissen Pessimismus behaftet. "Alle irdischen Genüsse führen letztlich nur zur Leere. Die Nichtigkeit allen Seins wird durch das Leitwort „Windhauch“ gekennzeichnet. Das ist alles Windhauch, sagte Kohelet. Das Wort ist schon immer im Sinn von „Vergänglichkeit“, „Flüchtigkeit“, „Unbeständigkeit“, „Vergeblichkeit“ aufgefasst worden - zusammengefasst im Begriff der vanitas. ... Im Zentrum steht jedenfalls die Frage nach dem menschlichen Glück; eine Glücksphilosophie im Diskurs mit der traditionellen Weisheitslehre einerseits und der hellenistischen Philosophie andererseits, wobei die traditionelle Weisheitslehre überwiegend von einem Tun-Ergehens-Zusammenhang ausging (Wer immer recht artig ist, wird von Gott auch belohnt.). Niederschläge dieser Ansicht finden sich auch heute noch überall, nicht nur in der Figur des Nikolaus von Myra (um auch eine Verbindung zum Einstelldatum und zur umgekehrten Reihenfolge der Einstellzeit zu finden: 06.12. bzw. 12:06 Uhr ;-)). Während nun eine Richtung der Forschung eine tief pessimistische Grundhaltung herausarbeitet, bis hin zum Nihilismus und einer „Philosophie des Absurden“, wird von anderen die Überwindung dieser Geisteshaltung betont. Die das Buch umspannende Aussage muss im Zusammenhang mit Kohelets Absicht verstanden werden, eine sinnvolle Lebensführung zu finden. Gleichzeitig ist es notwendig, das Buch als Teil der Weisheitsliteratur seiner Zeit zu sehen. Kohelet kommt zu der Erkenntnis, dass der Tod letztendlich jede Errungenschaft des Lebens auslösche. Daher empfiehlt er, das Leben zu nutzen, und jeden Tag als einzigartig zu genießen, da die Zukunft ungewiss sei." http://de.wikipedia.org/wiki/Kohelet
Nicht an Gott und der Welt dürfte Kohelet also gezweifelt haben, "sondern an der Dummheit und Uneinsichtigkeit der Menschen, die dahinstürmen und dem Leben nachjagen, die sich selbst verzehren und sich und andere in ihrem Wahn zerstören, von einer Verrücktheit in die nächste, von einem Scheinerfolg zum andern, immer weiter, immer schneller, immer unentrinnbarer [in diesem Kreislauf] gefangen." "Und was ernten sie am
Ende? Nicht als „heiße Luft“! – „Windhauch“.
... Was bleibt am Ende von all unseren wunderbaren Anstrengungen und Leistungen, unserem Besitz, unserer Kraft und Schönheit und unseren Erfolgen? Was davon können wir denn mitnehmen? - Von daher lohnt es sich schon, ab und zu mit Kohelet im Kopf einen Friedhofsspaziergang zu machen und sich wieder auf den Boden der Realität holen zu lassen." http://www.bruckmuehl-evangelisch.de/download/060129_hoe_4nepi.pdf
Das Leben ist ein Geschenk, etwas, das man nicht kaufen und nicht erzwingen kann, womit auch immer. Man kann es nur dankbar empfangen, genießen und nutzen, solange man es hat und versuchen, seinen alltäglichen Weg so klug wie möglich zu gehen.
Kerstin
Andreas Denhoff 07/12/2008 10:07
Ist das jetzt der Wendepunkt nach "Oktober road"? Optisch geht es tendenziell aber so weiter. Oder meinst du mit Turn die Kurve, die die abgebildeten so kurz vorm Friedhof noch geschafft haben. Es kann natürlich auch dein drehen beim fotografieren gemeint sein, weil du den Blick vom nahen Ort des Todes abwenden wolltest. Fragen, die du sicherlich auch offen lassen wolltest, damit wir uns wieder über deine Gedankengänge den Kopf zerbrechen müssen ;-))Gruß Andreas