das ist natürlich ein wunderbares Bild zu einer Thematik, die den Spätsommer, eine der zehn phänologischen Jahreszeiten, die vielleicht am 5. September beginnen könnte, und auf den der Frühherbst folgt, der als astronomische Periode zur Tag- und Nachtgleiche dieses Jahr am späten 22. September beginnt, mit der Liebesthematik verschränkt. Der meteorologische Herbst beginnt ja bereits mit dem 1. September. Im übrigen kann in jedem Leben am 5. September etwas Besonderes geschehen.
Als Germanisten fallen mir da gleich zwei Gedichte von Rainer Maria Rilke ein:
Die Liebenden
Sieh, wie sie zu einander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache, und sieh: sie bekommen zu sehn.
Laß sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.
(1908, Paris)
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
(Aus: Das Buch der Bilder')
Bei Rilke gibt es auch eine Verschränkung der beiden Themen in einem einzigen Gedicht, so wie bei Dir in dem Bild:
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
(1902, aus: Das Buch der Bilder)
Es scheint mit zu der leicht melancholischen Stimmung dieses Bildes am besten zu passen, denn wenn ich es recht sehe, weint man länger und intensiver vor Leid als vor Glück.
Nun ist es keine Kunst, aus dem Titel „Alles schmeckt nach Abschied“ eine Reminiszenz zu Brigitte Reimann (1933-1973) herzustellen, was auch bereits in den bisherigen Anmerkungen angesprochen wurde. Die Frage ist allerdings, ob es über die schöne Formulierung des Titels hinaus eine inhaltliche Verbindung zu Leben und Werk der Frühverstorbenen geben könnte.
Wenn wir nun die beiden Blüten auf dem Bild, wie in der symbolischen Fotografie üblich, als Mann und Frau auffassen, fällt natürlich auf, dass es in Leben und Werk von Brigitte Reimann in ganz besonderer Weise um die Thematik „Mann und Frau“ sowie, damit verbunden, das Thema „Sexualität“ geht, in den literarischen Werken und in den Tagebüchern. Damit verbunden ist die Thematik „Frau im 20. Jahrhundert“, gewiss in besonderer Verschränkung zu den Verhältnissen in der DDR.
„Nach dem Abitur arbeitete Brigitte Reimann zunächst als Lehrerin. 1955 begann sie zu schreiben. Als Schriftstellerin vertrat sie den Bitterfelder Weg, nach dem Autoren versuchen sollten, durch Arbeit in Betrieben einen engeren Kontakt zum Volk herzustellen. 1960 zog sie nach Hoyerswerda, wo sie bis 1968 wohnte. 1965 wurde sie mit dem Heinrich-Mann-Preis geehrt. Während der Jahre in Hoyerswerda arbeitete sie im Kombinat Schwarze Pumpe. Aus dieser Tätigkeit heraus schrieb sie 1961 den Kurzroman Ankunft im Alltag. Er gab der so genannten Ankunftsliteratur den Namen. Sie war in dieser Zeit (1959 bis 1964) mit Siegfried Pitschmann verheiratet, mit dem sie mehrere gemeinsame Werke schuf. Von 1968 bis 1973 wohnte sie in Neubrandenburg.“ (Wikipedia)
Da fällt das Stichwort „Ankunft“ auf, das in diametralem Gegensatz zu „Abschied“ steht, dem Titelbestandteil eines ihrer Tagebuchbände. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, dass das Leben von Brigitte Reimann nach einem optimistischen Beginn in eine Phase der Desillusionierung geriet, so wie sie in anderer Perspektive etwa unter dem Bild
behandelt wurde. Warum schmeckt es nach Abschied in den Tagebüchern
• 1998: Alles schmeckt nach Abschied (Tagebücher 1964 bis 1970)?
„„Die große Liebe ist kaputt, ich sitze in einer fremden Stadt, ziemlich allein. Und ich bin nicht mehr jung, ich bin eine Amazone. Herrgott, und dieses Buch! Das wird ein hartes Stück Arbeit, über so viel Persönliches hinwegzukommen und eben ein Buch zu schreiben. Inzwischen muß ich mir immer wieder sagen: Ich habe eine literarische Figur geliebt. Übrigens hat mir Jon das schon vor einem Jahr gesagt. Ich erinnere mich, daß ich nach einer Auseinandersetzung [...] seine Worte aufgeschrieben habe, um sie später in meinem Buch zu verwenden. Der unschuldige Zynismus der Schriftsteller.“
Es war dieser scharfe, auch gegen sich selbst unerbittliche Blick der Schriftstellerin Brigitte Reimann, der uns mit den Tagebüchern ein einzigartiges Lebenszeugnis hinterlassen hat: die beeindruckende Biographie einer leidenschaftlichen, extravaganten Frau und zugleich ein Zeitdokument, das Geist und Stimmung einer ganzen Periode der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte einfängt. Brigitte Reimanns Tagebücher sind einzigartige Zeugnisse eines ruhelosen, leidenschaftlichen, kreativen Lebens zu zugleich Zeitdokumente, die Geist und Stimmung einer ganzen Periode deutscher Nachkriegsgeschichte einfangen.“
Abschied also von der großen Liebe, Abschied aber auch von dem Leben, wie sie es einmal geführt hat, denn mit dem Begriff „Amazone“ bezieht sich Reimann auf den Umstand, dass ihr bereits eine Brust abgenommen wurde, dass der Krebs in ihr wütet.
Diese Gewissheit des frühen Todes führt auch zu einer furchtlosen Haltung gegenüber den DDR-Oberen:
"... Es war zwecklos, ihnen zu erklären - sie wollen uns mißverstehen, die ganze Sitzung war bestimmt durch diese widerliche Atmosphäre: böswillige Unterstellungen, politische Verdächtigungen.
Schließlich nahmen wir keine Rücksichten mehr (und wirklich: was können die uns schon tun?), und ich sagte, wir hätten es satt, uns von Leuten über Kultur belehren zu lassen, die selbst keine Kultur haben. In jedem Fach herrscht heute Wissenschaftlichkeit, ein Funktionär wage es nicht mehr, einem qualifizierten Ingenieur in sein Fachproblem reinzureden - nur auf dem Gebiet Kunst fühle sich noch jedermann bemüßigt, fröhlich und ahnungslos zu quatschen."
Persönliches und Politisches sind nicht zu trennen:
„Dieser zweite Band ihrer Tagebücher ist anfangs noch mehr geprägt von Aufzeichnungen über ihren Jon (3. Ehemann), über die räumliche Trennung von ihm. Sie zieht nach Neubrandenburg, er bleibt in Hoyerswerda, besucht sie immer nur am Wochenende. - Sie leben sich auseinander.
Sie hat einen sehr engen Freund, einen jungen Homosexuellen, mit dem sie aber nicht schläft. Mit ihm geht sie häufig nachts aus, in die Bars und Hotels, zum Tanzen und Treffen mit anderen Bekannten.
Während dieser Jahre wird ihre politische Haltung immer kritischer gegenüber der Situation in der DDR, sie reagiert oft sehr ungehalten und wütend über die machthaberischen Verhaltensweisen von Partei und Politbüro, über die Beeinflussung von Literatur und Kunst überhaupt. Sie kritisiert häufig Schriftstellerkollegen, die sich dem Regime beugen und ihre Inhalte anpassen, was sie selbst ablehnt. Sie arbeitet immer viel, zwischen ihren Eskapaden im Nachtleben, mit anderen Männern usw. –
Der Bruch mit ihrem Jon kommt für sie plötzlich, obwohl schon lange erahnt. Sie ist am Boden zerstört, als sie erfährt, dass er sich scheiden lassen will und schon längst eine andere Frau hat, die sogar schwanger von ihm ist. - Sie selbst konnte mit ihm kein Kind haben, bei ihr hatte es nie geklappt, was von ihr sehr bedauert wurde. Später begründet sie ihre Kinderlosigkeit mit den Bestrahlungen, *die irgendetwas in ihrem Bauch kaputtgemacht haben müssen*. –
Und immer wieder spricht sie von ihrem Roman (Franziska Linkerhand), an dem sie seit 1963 arbeitet, die Verbindung ihrer Romanfigur Franziska zu sich selbst wirkt sich immer wieder hemmend aus (vermute ich).
1970 wird sie von Jon geschieden, im gleichen Jahr lernt sie Dr. Rudolf B. (Bär) kennen, den sie auch im Februar 1971 heiratet. Mit ihm lebt sie zusammen, er zieht zu ihr in ihre Wohnung, sie führen ein *richtiges* Eheleben. Sie fühlt sich bei ihm wohl, wird geliebt und liebt, hat aber immer wieder Angst, dass das wieder aufhört.
Das Tagebuch endet im Dezember 1970 so:
"…Sonntag sind wir den ganzen Tag im Bett geblieben und haben uns geliebt und geschlafen und wieder geliebt und über unsere Hochzeit geschwatzt und Pläne gemacht, die dann aber bestimmt nicht verwirklicht werden. Wir sind furchtbare Schlampen, und die Trägheit des Dicken provoziert meine eigene potentielle Trägheit, die ich all die Jahre, die ich für mich allein sorgen musste, nicht heraufkommen ließ. Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal in Sicherheit, und das ist schön und gefährlich. Ich lasse mich gehen. Irgendetwas muss geschehen, damit ich wieder aktiv werde und nicht mehr so schlaftrunken bin vor Glück und Geborgenheit."“
Was für ein Leben! Es wurde ja auch verfilmt, und es ist noch gar nicht lange her, dass „Hunger auf Leben“ mit Martina Gedeck in der Hauptrolle zu sehen war.
Auf das schöne Lied von Ben Taylor stieß ich auch bereits vor einiger Zeit, nachdem wir uns ja in der Serie „October Road“ mit den Liedern von James Taylor befasst hatten.
Dort wird das schöne Bild für Ozean und Strand für die Körper der Liebenden gebraucht, und TOO DEEP ist bereits im Originaltext hervorgehoben.
Insgesamt also eine intensive Geschichte mit vielen Bezügen, zu der am Geburtstag von Freddy Mercury vielleicht noch dieses Lied gehört, das er mit einem anderen singt, der zu früh ging:
@Krispee: Liebe Christiane, stimmt. Die andere mit dem Regentropfen am Blattrand sieht allerdings auch nicht sehr fröhlich aus
:-). Liebe Grüße. Kerstin
@Karl-Dieter Frost: Lieber KD, Du hast Recht, in jedem Vergehen steckt auch ein Neubeginn, gänzlich neu oder in anderer Form, mit anderem Bewusstsein vielleicht.Das Lösen des Motivs vom Hintergrund ist bei dieser Brennweite natürlich recht leicht zu bewerkstelligen; die Farben gab zum Glück der Garten vor und durch den Regen sind sie ja meist auch noch etwas intensiver.
Grüße. Kerstin
@Hanne L.: Liebe Hanne, danke! Der Sommer darf gern noch lange bleiben. Ich wünsche mir den Herbst auch nicht herbei. Obwohl er auf Sylt natürlich auch sehr schön sein kann. Dir dort noch schöne warme Tage. Liebe Grüße. Kerstin
@Sabine Jandl-Jobst: Liebe Sabine, nein, natürlich habe ich nichts eingefärbt. Diese Farbtöne entstanden durch die Auflösung des Hintergrundes, der aus Gras und Blumen besteht.Danke und viele Grüße. Kerstin
@Stefan Adam: Lieber Stefan, Eckhard schrieb unter meinem Bild
u.a. vom "Irrsinn der Hoffnung, durch den wir leben". Man wird sie also wohl grundsätzlich nie aufgeben und die auf ein paar warme Sommertage natürlich auch nicht. Aber wieso hast Du denn schon wieder Urlaub? Ich erinnere mich, dass Du vor kurzer Zeit erst in sonnigeren Gefilden warst. ;-))).Grüße und schöne Ferientage. Kerstin
@E-Punkt: Liebe Elfi, ich hatte interessanterweise erst den Titel im Kopf und das Motiv dann gefunden. Vor einigen Jahren las ich sehr viel von Brigitte Reimann http://www.brigittereimann.de/ u.a. ihre klugen und ergreifenden Tagebuchberichte. Der Titel eines der Bücher, in dem diese veröffentlicht wurden, heißt "Alles schmeckt nach Abschied".
Die Farben des Hintergrundes sind eher Zufall. Gras und verschiedene Blüten ergaben in dieser Unschärfe diese Farbtöne.
Kerstin Stolzenburg 11/09/2009 6:54
Lieber Eckhard, danke für die herrliche Besprechung! Wie stets antworte ich etwas später.Kerstin
E. W. R. 10/09/2009 17:56
Liebe Kerstin,das ist natürlich ein wunderbares Bild zu einer Thematik, die den Spätsommer, eine der zehn phänologischen Jahreszeiten, die vielleicht am 5. September beginnen könnte, und auf den der Frühherbst folgt, der als astronomische Periode zur Tag- und Nachtgleiche dieses Jahr am späten 22. September beginnt, mit der Liebesthematik verschränkt. Der meteorologische Herbst beginnt ja bereits mit dem 1. September. Im übrigen kann in jedem Leben am 5. September etwas Besonderes geschehen.
Als Germanisten fallen mir da gleich zwei Gedichte von Rainer Maria Rilke ein:
Die Liebenden
Sieh, wie sie zu einander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache, und sieh: sie bekommen zu sehn.
Laß sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.
(1908, Paris)
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
(Aus: Das Buch der Bilder')
Bei Rilke gibt es auch eine Verschränkung der beiden Themen in einem einzigen Gedicht, so wie bei Dir in dem Bild:
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
(1902, aus: Das Buch der Bilder)
Es scheint mit zu der leicht melancholischen Stimmung dieses Bildes am besten zu passen, denn wenn ich es recht sehe, weint man länger und intensiver vor Leid als vor Glück.
Nun ist es keine Kunst, aus dem Titel „Alles schmeckt nach Abschied“ eine Reminiszenz zu Brigitte Reimann (1933-1973) herzustellen, was auch bereits in den bisherigen Anmerkungen angesprochen wurde. Die Frage ist allerdings, ob es über die schöne Formulierung des Titels hinaus eine inhaltliche Verbindung zu Leben und Werk der Frühverstorbenen geben könnte.
Wenn wir nun die beiden Blüten auf dem Bild, wie in der symbolischen Fotografie üblich, als Mann und Frau auffassen, fällt natürlich auf, dass es in Leben und Werk von Brigitte Reimann in ganz besonderer Weise um die Thematik „Mann und Frau“ sowie, damit verbunden, das Thema „Sexualität“ geht, in den literarischen Werken und in den Tagebüchern. Damit verbunden ist die Thematik „Frau im 20. Jahrhundert“, gewiss in besonderer Verschränkung zu den Verhältnissen in der DDR.
„Nach dem Abitur arbeitete Brigitte Reimann zunächst als Lehrerin. 1955 begann sie zu schreiben. Als Schriftstellerin vertrat sie den Bitterfelder Weg, nach dem Autoren versuchen sollten, durch Arbeit in Betrieben einen engeren Kontakt zum Volk herzustellen. 1960 zog sie nach Hoyerswerda, wo sie bis 1968 wohnte. 1965 wurde sie mit dem Heinrich-Mann-Preis geehrt. Während der Jahre in Hoyerswerda arbeitete sie im Kombinat Schwarze Pumpe. Aus dieser Tätigkeit heraus schrieb sie 1961 den Kurzroman Ankunft im Alltag. Er gab der so genannten Ankunftsliteratur den Namen. Sie war in dieser Zeit (1959 bis 1964) mit Siegfried Pitschmann verheiratet, mit dem sie mehrere gemeinsame Werke schuf. Von 1968 bis 1973 wohnte sie in Neubrandenburg.“ (Wikipedia)
Da fällt das Stichwort „Ankunft“ auf, das in diametralem Gegensatz zu „Abschied“ steht, dem Titelbestandteil eines ihrer Tagebuchbände. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, dass das Leben von Brigitte Reimann nach einem optimistischen Beginn in eine Phase der Desillusionierung geriet, so wie sie in anderer Perspektive etwa unter dem Bild
behandelt wurde. Warum schmeckt es nach Abschied in den Tagebüchern
• 1998: Alles schmeckt nach Abschied (Tagebücher 1964 bis 1970)?
„„Die große Liebe ist kaputt, ich sitze in einer fremden Stadt, ziemlich allein. Und ich bin nicht mehr jung, ich bin eine Amazone. Herrgott, und dieses Buch! Das wird ein hartes Stück Arbeit, über so viel Persönliches hinwegzukommen und eben ein Buch zu schreiben. Inzwischen muß ich mir immer wieder sagen: Ich habe eine literarische Figur geliebt. Übrigens hat mir Jon das schon vor einem Jahr gesagt. Ich erinnere mich, daß ich nach einer Auseinandersetzung [...] seine Worte aufgeschrieben habe, um sie später in meinem Buch zu verwenden. Der unschuldige Zynismus der Schriftsteller.“
Es war dieser scharfe, auch gegen sich selbst unerbittliche Blick der Schriftstellerin Brigitte Reimann, der uns mit den Tagebüchern ein einzigartiges Lebenszeugnis hinterlassen hat: die beeindruckende Biographie einer leidenschaftlichen, extravaganten Frau und zugleich ein Zeitdokument, das Geist und Stimmung einer ganzen Periode der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte einfängt. Brigitte Reimanns Tagebücher sind einzigartige Zeugnisse eines ruhelosen, leidenschaftlichen, kreativen Lebens zu zugleich Zeitdokumente, die Geist und Stimmung einer ganzen Periode deutscher Nachkriegsgeschichte einfangen.“
Abschied also von der großen Liebe, Abschied aber auch von dem Leben, wie sie es einmal geführt hat, denn mit dem Begriff „Amazone“ bezieht sich Reimann auf den Umstand, dass ihr bereits eine Brust abgenommen wurde, dass der Krebs in ihr wütet.
Diese Gewissheit des frühen Todes führt auch zu einer furchtlosen Haltung gegenüber den DDR-Oberen:
"... Es war zwecklos, ihnen zu erklären - sie wollen uns mißverstehen, die ganze Sitzung war bestimmt durch diese widerliche Atmosphäre: böswillige Unterstellungen, politische Verdächtigungen.
Schließlich nahmen wir keine Rücksichten mehr (und wirklich: was können die uns schon tun?), und ich sagte, wir hätten es satt, uns von Leuten über Kultur belehren zu lassen, die selbst keine Kultur haben. In jedem Fach herrscht heute Wissenschaftlichkeit, ein Funktionär wage es nicht mehr, einem qualifizierten Ingenieur in sein Fachproblem reinzureden - nur auf dem Gebiet Kunst fühle sich noch jedermann bemüßigt, fröhlich und ahnungslos zu quatschen."
http://www.brigittereimann.de/tagebuecher.php
Persönliches und Politisches sind nicht zu trennen:
„Dieser zweite Band ihrer Tagebücher ist anfangs noch mehr geprägt von Aufzeichnungen über ihren Jon (3. Ehemann), über die räumliche Trennung von ihm. Sie zieht nach Neubrandenburg, er bleibt in Hoyerswerda, besucht sie immer nur am Wochenende. - Sie leben sich auseinander.
Sie hat einen sehr engen Freund, einen jungen Homosexuellen, mit dem sie aber nicht schläft. Mit ihm geht sie häufig nachts aus, in die Bars und Hotels, zum Tanzen und Treffen mit anderen Bekannten.
Während dieser Jahre wird ihre politische Haltung immer kritischer gegenüber der Situation in der DDR, sie reagiert oft sehr ungehalten und wütend über die machthaberischen Verhaltensweisen von Partei und Politbüro, über die Beeinflussung von Literatur und Kunst überhaupt. Sie kritisiert häufig Schriftstellerkollegen, die sich dem Regime beugen und ihre Inhalte anpassen, was sie selbst ablehnt. Sie arbeitet immer viel, zwischen ihren Eskapaden im Nachtleben, mit anderen Männern usw. –
Der Bruch mit ihrem Jon kommt für sie plötzlich, obwohl schon lange erahnt. Sie ist am Boden zerstört, als sie erfährt, dass er sich scheiden lassen will und schon längst eine andere Frau hat, die sogar schwanger von ihm ist. - Sie selbst konnte mit ihm kein Kind haben, bei ihr hatte es nie geklappt, was von ihr sehr bedauert wurde. Später begründet sie ihre Kinderlosigkeit mit den Bestrahlungen, *die irgendetwas in ihrem Bauch kaputtgemacht haben müssen*. –
Und immer wieder spricht sie von ihrem Roman (Franziska Linkerhand), an dem sie seit 1963 arbeitet, die Verbindung ihrer Romanfigur Franziska zu sich selbst wirkt sich immer wieder hemmend aus (vermute ich).
1970 wird sie von Jon geschieden, im gleichen Jahr lernt sie Dr. Rudolf B. (Bär) kennen, den sie auch im Februar 1971 heiratet. Mit ihm lebt sie zusammen, er zieht zu ihr in ihre Wohnung, sie führen ein *richtiges* Eheleben. Sie fühlt sich bei ihm wohl, wird geliebt und liebt, hat aber immer wieder Angst, dass das wieder aufhört.
Das Tagebuch endet im Dezember 1970 so:
"…Sonntag sind wir den ganzen Tag im Bett geblieben und haben uns geliebt und geschlafen und wieder geliebt und über unsere Hochzeit geschwatzt und Pläne gemacht, die dann aber bestimmt nicht verwirklicht werden. Wir sind furchtbare Schlampen, und die Trägheit des Dicken provoziert meine eigene potentielle Trägheit, die ich all die Jahre, die ich für mich allein sorgen musste, nicht heraufkommen ließ. Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal in Sicherheit, und das ist schön und gefährlich. Ich lasse mich gehen. Irgendetwas muss geschehen, damit ich wieder aktiv werde und nicht mehr so schlaftrunken bin vor Glück und Geborgenheit."“
http://giselasletterbox.rosslauer.de/autor_mr/reimann_brigitte_alles_schmeckt_nach_abschied.htm
Was für ein Leben! Es wurde ja auch verfilmt, und es ist noch gar nicht lange her, dass „Hunger auf Leben“ mit Martina Gedeck in der Hauptrolle zu sehen war.
Auf das schöne Lied von Ben Taylor stieß ich auch bereits vor einiger Zeit, nachdem wir uns ja in der Serie „October Road“ mit den Liedern von James Taylor befasst hatten.
Dort wird das schöne Bild für Ozean und Strand für die Körper der Liebenden gebraucht, und TOO DEEP ist bereits im Originaltext hervorgehoben.
Insgesamt also eine intensive Geschichte mit vielen Bezügen, zu der am Geburtstag von Freddy Mercury vielleicht noch dieses Lied gehört, das er mit einem anderen singt, der zu früh ging:
http://www.wikio.de/video/1468785
Eckhard
Renate Bonow 07/09/2009 21:06
eine ganz andere interpreation desselben gefühls. gefällt mir sehr.lg renate
Regina H. 07/09/2009 14:28
Sehr schön, wie die beiden sich aneinanderschmiegen. Der Tropfen könnte eine Träne sein ...lg Regina
Kerstin Stolzenburg 07/09/2009 12:25
@Alle: Allen herzlichen Dank für die schönen Anmerkungen bislang.LG. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 07/09/2009 12:23
@Krispee: Liebe Christiane, stimmt. Die andere mit dem Regentropfen am Blattrand sieht allerdings auch nicht sehr fröhlich aus :-). Liebe Grüße. KerstinKerstin Stolzenburg 07/09/2009 12:11
@Karl-Dieter Frost: Lieber KD, Du hast Recht, in jedem Vergehen steckt auch ein Neubeginn, gänzlich neu oder in anderer Form, mit anderem Bewusstsein vielleicht.Das Lösen des Motivs vom Hintergrund ist bei dieser Brennweite natürlich recht leicht zu bewerkstelligen; die Farben gab zum Glück der Garten vor und durch den Regen sind sie ja meist auch noch etwas intensiver.Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 07/09/2009 12:02
@Hanne L.: Liebe Hanne, danke! Der Sommer darf gern noch lange bleiben. Ich wünsche mir den Herbst auch nicht herbei. Obwohl er auf Sylt natürlich auch sehr schön sein kann. Dir dort noch schöne warme Tage. Liebe Grüße. KerstinKerstin Stolzenburg 07/09/2009 11:57
@Sabine Jandl-Jobst: Liebe Sabine, nein, natürlich habe ich nichts eingefärbt. Diese Farbtöne entstanden durch die Auflösung des Hintergrundes, der aus Gras und Blumen besteht.Danke und viele Grüße. KerstinKerstin Stolzenburg 07/09/2009 11:54
@Stefan Adam: Lieber Stefan, Eckhard schrieb unter meinem Bild u.a. vom "Irrsinn der Hoffnung, durch den wir leben". Man wird sie also wohl grundsätzlich nie aufgeben und die auf ein paar warme Sommertage natürlich auch nicht. Aber wieso hast Du denn schon wieder Urlaub? Ich erinnere mich, dass Du vor kurzer Zeit erst in sonnigeren Gefilden warst. ;-))).Grüße und schöne Ferientage. KerstinKerstin Stolzenburg 07/09/2009 11:19
@Kitty Goerner: Liebe Kitty, der Gedanke an reife Brombeeren gefällt mir sehr gut. Das ist schön. Danke!Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 07/09/2009 11:06
@E-Punkt: Liebe Elfi, ich hatte interessanterweise erst den Titel im Kopf und das Motiv dann gefunden. Vor einigen Jahren las ich sehr viel von Brigitte Reimann http://www.brigittereimann.de/ u.a. ihre klugen und ergreifenden Tagebuchberichte. Der Titel eines der Bücher, in dem diese veröffentlicht wurden, heißt "Alles schmeckt nach Abschied".Die Farben des Hintergrundes sind eher Zufall. Gras und verschiedene Blüten ergaben in dieser Unschärfe diese Farbtöne.
LG. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 07/09/2009 10:58
@Ralf J. Diemb: Danke! Ja, ich fand auch, dass das ein sehr schönes Lied ist, das hier vielleicht passen könnte.Grüße. Kerstin
petra st 06/09/2009 23:58
Eine herrliche Bildkomposition und wunderbar freigestellte Blüten !!!!LG Petra
GuteMiene 06/09/2009 21:44
Schmeckt wirklich nach Abschied, die EINE hat vor lauter Traurigkeit darüber auch schon ihre Blütenblätter abgeworfen.Sehr, sehr schöne Farben.
LG, Christiane