@Eckhard: Lieber Arronax, lieber Capitán, lieber Eckhard ;-), ganz herzlichen Dank für die Glückwünsche und die wunderbare Unterhaltung in Bezug auf das Bild und das Leben :-).
Eine ausführlichere Antwort kommt etwas später, wenn ich von einer kleinen Reise zurück bin.
Kerstin
"1999 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution 54/120 den 12. August als Internationalen Tag der Jugend (International Youth Day) festgelegt."
"So, nun wissen wir das auch."
"In der Tat, es musste einmal gesagt werden. Sonst bemerkt es vielleicht niemand. Wie das Jubiläum des Mauerbaus. Das ist ja ein verrückter Ausdruck, ‚Jubiläum’, für so etwas."
Pierre Aronnax (seufzt): "Sie brauchen ihn ja nicht verwenden, den Ausdruck. ‚Jahrestag’ genügt – es müsste eigentlich ‚Schandtag’ heißen –, genügt, wie übrigens auch ‚15 Grad’ statt ‚kühle 15 Grad’ im Wetterbericht oder ‚guten Morgen’ statt ‚schönen guten Morgen’. Ich habe es aber aufgegeben, mich darüber aufzuregen. Das Leben wird für die Griesgrame nicht länger, nur widerlicher. Lassen Sie uns lieber – in Ihrem Fall zwar unbekannterweise – Frau Stolzenberg zum Geburtstag gratulieren."
"Stolzenburg. Stimmt, sie erwähnte es einmal vor ziemlich langer Zeit.
Also, herzliche Glückwünsche auch von mir!"
"Wie haben Sie denn den Tag der Jugend verbracht?"
"Na ja ... eigentlich hat mich am 12. August mehr das erstaunliche Faktum beschäftigt, dass das russische Atom-U-Boot K-141 Kursk bereits am 12. August 2000 untergegangen war. Gefühlsmäßig ist das für mich erst drei Jahre her und entschieden NACH dem 11. September 2001 passiert."
"Was war denn da los ... ach so!"
"Sind sie sicher, dass das mit der Kursk stimmt?"
"Die Medien berichteten darüber und in Wikipedia steht's auch. Die Medien berichteten auch über die Waldbrände in Rußland und über die Überschwemmung in Pakistan, der Atommacht ... komisch, der Tag der Jugend kam gar nicht vor."
"Es wurde etwas über die Ausbildungssituation der Jugend in Europa berichtet."
"Stimmt, aber der Kontext war nicht klar. Außerdem beschäftigt die Leute zur Zeit mehr das Problem, ob sie gegen die Abbildung ihrer Ville und Paläste in Google Street View Protest einlegen sollen oder nicht."
"Wovon man dringend abraten muss, denn wenn sich die Ganoven eine Datei aus dem Google-Server heraushacken, dann diese. Tja, die Leute interessiert's halt, im Unterschied zur deutschen Bundesregierung mit dem schönen neuen Sprecher."
"Aronnax ... beherrschen Sie sich! Das braucht SIE doch nicht zu interessieren, so wie Sie drauf sind ... Dafür kam aber am 12. August im Abendprogramm eine Sendung über die 25 beliebtesten Sketche der Deutschen."
"Die haben Sie sich doch nicht etwa 'reingezogen?"
"Doch, natürlich. Als Psychogramm der deutschen Bevölkerung war diese Sendung von höchstem Wert."
"Genügt Ihnen denn da Anderes nicht bereits in genügendem Maße als Anschauungsmaterial? Was war denn der beliebteste Sketch? ‚Die Nudel’ von ... wie heißt er noch mal ... Viktor von Trübow?"
"Nein, 'Dinner for one'."
"Auch gut. Sehe ich mir jedes Jahr an. 'Weil's einfach Pflicht ist!' Hmm ... vom eigentlichen Thema des Bildes sind wir jetzt aber wie üblich schon etwas abgekommen."
"Immer noch besser als .... Nun kann es an dieser Stelle gewiss nicht darum gehen, wieder so eine akademische Abhandlung über das Problem der Jugend an sich, im allgemeinen und besonderen zu produzieren."
"Muss ja nicht sein. Außerdem wurde das Thema bereits einmal anderswo behandelt."
"’Schöhner Bildt, gefellt mich!!!’ Oder so. Sie verlinken ja auch fast nur die eigenen Bilder!"
"Frechheit ... nun gut; wenn sich der Tag der Jugend bislang nur in Jugoslawien so richtig durchgesetzt hat, liegt das auch vielleicht daran, dass es ja noch den Tag des Kindes gibt und dass man aufgrund der heutigen gesetzlichen Regelungen gar nicht mehr so recht weiß, wann jemand Jugendlicher und wann Erwachsener ist."
"Jugoslawien? Das assoziiere ich mit etwas anderem; da gab’s doch auch diesen Gedenktag, den gerade aus schlechtem Grund in Deutschland kaum jemand interessiert, wie’s scheint.
Übrigens verwechseln Sie da etwas, lieber Aronnax, nämlich die gesetzliche Volljährigkeit mit dem inneren Erwachsensein. Die gesetzliche Volljährigkeit haben doch in Deutschland die Roten, äh Sozis von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt, weil sie glaubten, die jugendlichen Volljährigen würden sie wählen."
"Klappte aber dann irgendwie nicht, wie stets, wenn man sich mit Gewalt bei der Jugend anbiedern will. Übrigens vermisse ich das Foto der Eltern von Alice bei den verlinkten Fotos. Sie wird sich ja wohl nicht allein in der friedliche Burda-Museum gebeamt haben. Dafür könnte ich auf dieses überbelichtete Etwas ‚Ins Ungewisse’ durchaus verzichten."
"Sicher aus der Zeit, als dieser Psychologe aus B. sich noch unter den Bildern von K. äußerte; der konnte seine Kamera auch nicht bedienen und stellte den Quark dann ein. Wie übrigens auch andere Leute."
"Das ist Kunst, mein Lieber! Lassen Sie das ja nie K. hören ... aber SIE können sich ihre Freundschaft ja auch nicht verscherzen, unbekannterweise. Auf jeden Fall ist die Jugend ein schwieriges Alter. Ich habe ja auch beruflich dauernd mit jungen Leuten zu tun. Letztens kam es doch tatsächlich vor, dass mich drei Leute betrügen wollten; sie reichten Seminararbeiten ein, die sie nicht geschrieben hatten, zu Seminaren, an denen sie nicht teilgenommen hatten."
"Nun, ich stehe diesen Dingen ja bereits etwas ferner und will hier nicht wie der Blinde von der Farbe reden. Klar ist jedenfalls, dass die Theorie, die Jugendlichen würden nur das machen, was sie aus ihrer Umgebung lernen, völlig veraltet ist."
"Wie der Behaviorismus in der Sprachwissenschaft, in der Tat. Wir sind heute gottlob weiter in der kognitiven Linguistik, die paradigmatisch für die ganze Kognitionsforschung stehen kann. Selbstverständlich nehmen die Jugendlichen, zumal in der sogenannten globalisierten Welt, die kürzlich entdeckt wurde, die ihnen zugehenden Umwelteinflüsse zur Kenntnis, aber bauen sich auf deren Grundlage ein eigenes Regel- und Verhaltensrepertoire auf. Dieses Wechselspiel ist im Grunde genommen genauso unabsehbar und faszinierend wie die Genommischung, die jeder von uns mitbekommt."
"Stimmt ... die Vererbung. Deren Rolle wird ja auch mal bedeutender mal unbedeutender gesehen."
"Auch da darf man nichts übertreiben. Sie spielt eine Rolle, aber nicht nur. Das ist natürlich auch weithin erforscht. Jedenfalls braucht heute keiner mehr kommen und bei Gericht die traurige Kindheit als Argument anführen, wenn er einen Verbrecher verteidigt. Wir hatten uns doch kürzlich über die gräßlichen Bücher von diesem Clemens Meyer ...
... auch so ein Bild, das mehr Interesse verdient hätte ...
unterhalten. Nun gut, es gibt die kleinkriminelle Subkultur wie die wohlstandsgeschädigten Partyidioten. Die Eltern können, wie die Wissenschaft festgestellt hat, wirklich viel durch ihre Erziehung dazu beitragen, dass die Kinder auf den rechten Weg kommen. Weniger durch Strenge und Ermahnungen – haben Sie den Film ‚Das weiße Band’ gesehen? Er lief natürlich nur im Szenekino an der Ausfallstraße, nicht im Cinema-Protzpalast an der Stadthafen-City – als durch faktisches Vor-Leben. Wenn sie denn ein Vor-Leben zu bieten haben. Übrigens eine sehr schwere Aufgabe."
"Der Sie sich ja nie gestellt haben."
"Ich fühlte mich dazu nicht geeignet. Natürlich kann jeder eine Mutter oder ein Vater werden, der da dazu biologisch in der Lage ist. Aber mit dem In-die-Welt-Setzen ist es nicht getan. Es ist im Grunde die schönste und schwerste Entscheidung im Leben, Kinder zu bekommen. Und ich habe da wundervolle und grauenvolle Ergebnisse der Kindererziehung gesehen; glauben Sie mir."
"Na ja, wir beide haben es ja auch irgendwie geschafft. In Ihrem Fall Ihre Frau Großmutter."
„Nun ja ... Rente mit 65, und dann erst einmal richtig Pflichten übernehmen (lächelt). Das hat ihr gut gefallen. ¬– Übrigens ist die Gehirnentwicklung Jugendlicher ein interessanter Gegenstand, auf den wir das Verschwommene, Verwischte des Bildes, das sozusagen eine nicht in sich ruhende, in Entwicklung befindliche Persönlichkeit symbolisiert, mit einiger Wahrscheinlichkeit beziehen können.“
„Gibt es denn überhaupt feste Persönlichkeiten?“
„Das ist natürlich alles relativ, Capitán. Wenn jemand mit 55 anfängt, sich von der Welt überholen zu lassen, was wir bei den Frauen 'verschrullen' nennen, ist er/sie natürlich eine 'festere' Persönlichkeit als jemand, dessen Gehirnentwicklung noch im Gang befindlich ist, der jeden Tag Neues erfährt und in sein Leben integriert. Die Bezeichnung 'fest' ist also nicht unbedingt positiv zu werten. Wir wollen damit nur Phasen relativ geringer Entwicklungsgeschwindigkeit des Charakters andeuten, die ebenso zum Leben gehören wie die Phasen hoher Entwicklungsgeschwindigkeit. Und natürlich muss man mit 55 nicht verschrullen. Ich kannte einen akademischen Lehrer, der es sich bis ins hohe Alter angelegen sein ließ, immer an der Spitze der Forschung zu stehen.“
„Bevor er dann starb.“
„Sie sind einfach ein verdammter Zyniker, Capitán. Das ist doch immer noch besser, als die letzten 30 Jahre seines Lebens als Misfit durch die Zeit getrieben zu werden. Was nun aber die Jugendlichen betrifft ...“
„Aber jetzt bitte keine akademische Abhandlung!“
„... was die Jugendlichen betrifft … glauben Sie eigentlich, dass die Welt durch die Flut des Geschwätzes vorangebracht wird, das tagtäglich um die Welt twittert? Da lobe ich mir doch die exakte Welt der Forschung! ‚Kein Wort zuviel’ sagen ist etwas anderes, als Trivialstuss von sich zu geben, der wie die Flut in Pakistan die Welt überschwemmt! Also, was die Gehirnentwicklung Jugendlicher angeht, empfehle ich Ihnen, wo Sie doch immer so wenig Zeit haben, den Artikel ‚Denn sie wissen nicht, was ihr Kopf tut’, den Joachim Müller-Jung am 26. 8. 2009 in der FAZ veröffentlicht hat.“
„Woher haben Sie den denn?“
„Einiges hebe ich auf, um es schwarz auf weiß zu besitzen. Haben sie nicht
gelesen? Müller-Jung führt unter anderem aus:“
„Die Jugend hat viele Privilegien. Wenn es allerdings um die Entwicklung des Gehirns geht, ist das Erwachsenwerden ein geradezu erbarmungswürdiger Zustand. Die Seele schwankt zwischen den Extremen, und der Kopf wird buchstäblich zum Hexenkessel. Nimmt man die jüngsten Befunde der Hirnforschung, kann man sogar mit Fug und Recht behaupten, dass wohl niemals mehr im Leben Anspruch und Auftreten so weit entfernt von den tatsächlichen kognitiven Verhältnissen sind wie bei den Heranwachsenden. Nach außen geben sie sich gerne gereift, selbstbewusst und aggressiv, drinnen im Kopf aber bricht sich das Chaos scheinbar Bahn, werden sie sensibler und schwankender – ist der neuronale Kuddelmuddel zumindest für die letzten Jahre vor dem Erwachsenwerden der vorherrschende Zustand.“
„Gute Schreibe, würde ich sagen. Komisch, mir kam es gar nicht so schlimm vor.“
„Sie waren sicher gleich nach dem Kindesalter erwachsen. Übrigens verweist Ihre unqualifizierte Äußerung auf die frühere Phase der Hirnforschung, in der man eine lineare Reifung unseres Zentralorgans erkennen wollte:“
„Zentralorgan! Dass ich nicht lache!“
„Keine Ahnung, was Sie als Ihr Zentralorgan auffassen. Also: „Paul Thompson von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen von den amerikanischen National Institutes of Health in Bethesda waren es, die mit ihren zweijährig wiederholten und über viele Jahre konsequent an denselben Personen vorgenommenen Kernspinaufnahmen beeindruckende Zeugnisse von den anatomischen Umbrüchen in der Architektur des jugendlichen Gehirns geliefert hatten. Darauf konnte man noch einen linearen Reifeprozess erkennen. So etwa, dass die grauen Zellen im Großhirn – Großhirnrinde oder Kortex genannt – im Laufe der Kindheit bis kurz zur Pubertät zuerst zunehmen, dann aber kontinuierlich bis zum Erwachsenwerden abnehmen. Das entspricht der alten These, dass in der Kindheit eine Art Überproduktion von Nervenzellen und Nervenverbindungen aufgebaut wird, die ungenutzten Leitungen aber im Laufe der Zeit ebenso konsequent wieder aussortiert werden und verschwinden. Nur die wichtigen Nervennetze bleiben erhalten oder werden gar verstärkt.
Im Lichte der Evolution betrachtet, hatten die von Thompsons Gruppe dokumentierten Sequenzen eine innere Logik: die höheren motorischen und sensorischen Zentren reifen zuerst, ebenso schnell die für Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen, gefolgt von den Verarbeitungszentren für die räumliche Orientierung, später etwa jene für die Sprache und die Feinkoordination von Bewegungen. Der Eindruck einer stabilen linearen, evolutionsbiologisch vorgegebenen und womöglich weitgehend genetisch gesteuerten Entwicklung wurde durch die imposanten Detailbilder aus dem Innern des Kopfes also eher noch gestärkt. Auch die anatomischen Studien, die zeigten, dass die weiße Substanz mit ihren schnellleitenden, myelinisierten Nervenbahnen im Laufe des Lebens mehr oder weniger ununterbrochen zunimmt, deuteten in diese Richtung.“
„Und?“
„Nur Geduld, lieber Capitán. Geduld! Haben Sie noch Zeit? Also:“
„Neuere Untersuchungen an Kindern und Jugendlichen jedoch, die ähnlich wie in Thompsons Studie mit denselben Personen über viele Jahre vorgenommen wurden, sprechen für einen deutlich komplexeren Entwicklungsvorgang. Offenbar zeigen die Bilder und Messungen der grauen Zellen im Kortex nur die halbe Wahrheit. Hinter dem Umbau der Hirnanatomie verbergen sich offensichtlich tiefgreifende, oft aber auch nur vorübergehende Umbrüche in den „sensiblen Phasen“ des Heranwachsenden.
Den jüngsten Befund dafür lieferte kürzlich die Gruppe um Peter J. Uhlhaas, Ruxandra Sireteanu, Frederic Roux und Wolf Singer am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Die Wissenschaftler haben sich nicht die anatomischen, sondern die physiologischen Veränderungen im Gehirn betrachtet. Mit Dutzenden Elektroden am Schädel und als Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet, hat man die elektrischen Hirnströme ins Visier genommen. Das Augenmerk galt dabei jenen über die gesamte Großhirnrinde verteilten funktionalen Netzwerken.“
„Von Wolf Singer habe ich bereits gehört. Der schreibt ja öfter über vergleichbare Themen.“
„Jedenfalls in der Zeitung, die Sie lesen, Capitán. Aber weiter:“
„Besonders interessiert war man auf die voneinander entfernten Nervenzellpopulationen, die gleichzeitig feuern – synchron schwingen. Das deutet auf eine gute Koordination, gleichsam auf einen höheren Reifegrad hin. Steven Petersen von der Washington University School of Medicine in St. Louis haben mit beeindruckenden Simulationen vor Augen geführt, wie das Gehirn im Laufe der Zeit von lokalen Knoten nahe beinander liegender Hirnareale auf Kommunikationsnetze weit entfernter Nervenzentren umsteigt und sich dabei komplett neu organisiert (“Plos Computational Biology“, Bd. 5, S. e1000381).
Bei Erwachsenen hat man in dieser Hinsicht auch am Frankfurter Max-Planck-Institut eindeutige Verhältnisse gefunden: Ihre Gehirne zeigen, wenn man sie vor die Aufgabe stellt, lückenhafte Bilder von menschlichen Gesichtern zu ergänzen und wiederzuerkennen, wohlkoordinierte synchrone Oszillationen über einen großen Frequenzbereich. Die Gesichter wurden schnell und sicher erkannt. Tatsächlich nahm in den Frankfurter Experimenten mit zunehmendem Alter der 68 Probanden auch die Reaktionszeit ab. Die Bilder wurden umso schneller verarbeitet, je älter die Teilnehmer waren, und die Synchronität der Nervennetzwerke, die sich über Theta-, Beta- und höherfrequente Gammawellen miteinander koppelten, nahm zu.“
„Daraus entnehme ich erst einmal die tröstliche Nachricht, dass die Verblödung nicht bereits mit 18 Jahren beginnt, obwohl vieles dafür spricht.“
„Capitán … ganz ruhig. Die Dinge sind etwas komplexer als die Kategorien des Alltagsverstandes:“
„Überraschenderweise aber gab es dennoch einen deutlichen Einbruch: Die Jugendlichen nach den Flegeljahren, also im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, reagierten physiologisch völlig anders: Ausgerechnet im höheren Frequenzbereich der Hirnwellen, den Betawellen zwischen 14 und 30 Hertz und den Gammawellen über 30 Hertz, die bei starker Konzentration und Lernprozessen auftreten, kommt es zu auffallend kleineren und chaotischeren Ausschlägen.
Die Synchronisierung und damit die Koordination der höheren Zentren leidet erheblich, wie die Forscher in den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften berichten (Bd. 106, S. 9866). Was bis zur Pubertät noch funktionierte und dann im Erwachsenen völlig selbstverständlich ist, scheint bei diesen Jugendlichen massiv gestört. Uhlhaas und seine Kollegen deuten ihren Befund so, dass die Aktivitätsmuster im Kortex erst spät reifen und „mit einer vorübergehenden Destabilisierung kortikaler Netzwerke verbunden“ sind.“
„Nun ja, das ist ja ein sehr spezielles Gebiet. Sind Sie sicher, dass die Probanden kein Speed genommen hatten? Und sonst?“
„Capitán, Sie wohnen gerade einem historischen Umbruch in der Hirnforschung bei, und es langweilt Sie bereits wieder. Na ja, die Verschrullung … wie soll man sie eigentlich bei Männern nennen? Veronkelung? Aber es gibt noch ein anderes Feld, auf dem man dieses Chaos der Jugend beobachtet hat.“
„Im Outfit und in der Sprache.“
„Der Outfit ist ein Symptom. Über die Jugendsprache werde ich mich hier aus gegebenem Anlass nicht auslassen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nein, es geht um das Träumen:“
„Hinweise auf einen solch tiefgreifenden Umbruch haben auch Ian Campbell und Irwin Feinberg von der University of California in Davis entdeckt. Sie beobachteten die Hirnaktivität im Schlaf. Dabei konzentrierten sie sich in ihren EEG-Aufzeichnungen auf die langsamen synchronisierten Delta-Wellen, die in den traumlosen Tiefschlafphasen – dem „Non-Rem-Schlaf“ – auftauchen, sowie auf die etwas höherfrequenten Thetawellen, die beim leichten Schlaf vorherrschen. Seit langem weiß man, dass sich der Schlaf im Laufe der Kindheits- und Jugendentwicklung verändert. Im Alter zwischen zehn und zwanzig Jahren nimmt der Anteil der Tiefschlafphasen in der Nacht spürbar ab.
Campbell und Feinberg haben nun allerdings zum ersten Mal gezeigt, wie tief dieser Einbruch wirklich ist: Der Anteil der synchronisierten langsamen Hirnströme sinkt bei den Elf- bis Siebzehnjährigen um zwei Drittel ab. Offensichtlich werden die Jugendlichen in dieser kognitiven Wendezeit im Schlaf plötzlich intensiv – und für einige Jahre immer intensiver – von Träumen geschüttelt. Die Reifung unseres Gehirns fordert ihren Preis von der Jugend.“
„Hmm … doch sehr interessant, lieber Aronnax. Und das Ganze unter zehn Seiten Text; nur sieben, mit acht verlinkten Bildern; Sie haben noch eines frei. Und was ist mit der Jugendsprache?“
Dein Bild fasziniert mich in dieser Bearbeitung. Irgendwie zweifelnd, unsicher, mit anderen Dingen beschäftigt, sehe ich sie, die Ausstellung gar nicht wahrnehmend.
VG Ernst
Gute Fotoarbeit, genau die Stilmittel verwendet, um das Unbewusste, das Traumland, die anderen Welten gut auszudrücken. Auch das Format ist interessant und betont die Aussage.
LG Sabine
manchmal aus sich herausgehen wollen ... die Hülle abstreifen ... jemand anderes sein wollen ... typisches Jugendverhalten, das ich auch von meiner Tochter kenne
Fotografisch gut dargestellt.
Sehe ich jetzt erst. Ist ja wirklich klasse. So muss man sich ein Leben im Wunderland / in einer Fantasiewelt meiner Meinung nach tatsächlich vorstellen. Alles ein wenig unscharf und nichts wird so wirklich ernst genommen ;-) John Lennon würde vermutlich "Lucy in the Sky with Diamonds" zitieren ;-)
LG, Stefan
Klasse erfaßt, Kerstin! Die lange Belichtungszeit erzeugt hier einen faszinierenden Effekt. Für mich hat 'Alice' outfitmäßig bereits ihre Persönlichkeit geprägt. Gefallen mir sehr - dein Foto und Alice!
Liebe Grüße, Hanne
@Andreas Denhoff: Lieber Andreas, diese Ausstellung konnte man durchaus als Wunderland bezeichnen. Es waren etliche Bilder der Maler der Leipziger Schule ausgestellt, von Neo Rauch beispielsweise das oder dervon David Schnell. Interessante Werke, die vor allem ins Innere, in die Gedanken- und Gefühlswelt führen, voller Symbolik und irgendwie durchaus eine Fantasiewelt.
Die Fantasiewelt in anderen Bereichen schöpft auch aus unseren Erfahrungen und unserer Vorstellungskraft. Den Rahmen setzen wir selbst; jeder Einzelne.
Na ja, ob das Mädchen, es wird etwa 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein, an dem Vormittag bewusst etwas von seiner Umgebung wahrnahm oder in ihrem inneren Wunderland versunken war, vermag ich nicht zu sagen. Sie hörte eigentlich nur Musik und lief den Eltern hinterher, die sich die Bilder anschauten.
@Marianne Th: Liebe Marianne, das Bild ist eigentlich nachträglich kaum bearbeitet worden. Das "Verwischte" war geplant und kam aufgrund der Kameraeinstellung zustande. Natürlich sind die Ergebnisse all dieser Versuche in gewisser Weise Zufall; man kann nie genau vorhersagen, wie das Resultat aussehen und wirken wird. Von 20-30 solcher Aufnahmen dieser Art an dem Tag, war wohl auch nur diese eine brauchbar.
Liebe Grüße. Kerstin
@Udo: Diese Aufnahme hat natürlich nicht den Anspruch - kann sie nicht haben - einer Auslegung. Das war auch nicht meine Absicht. In seiner Widersprüchlichkeit, auch seiner Märchenhaftigkeit ist es vielleicht Gedankenanstoß ... für mich, für den Betrachter ...
Erbmasse: Dazu fand ich auch einen interessanten Artikel: http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/lectures/Intelligenz09.pdf
Grüße. Kerstin
tolle Arbeit
sie hat so etwas Puppenhaftes, deshalb passt der Titel auch hervorragend
wenn man bedenkt, wo es aufgenommen ist, passt dieses Foto auch zu perfekt in diese Umgebung.
Diese Kleidung könnte auch ein Kind vor 50 Jahren getragen haben
LG Birgitt
@Sanne W.: Liebe Susanne, Danke! Habe gerade wieder einmal in deinen Bildern gestöbert. Klasse! Das sind sehr schöne Aufnahmen! Ich komme auf deiner Seite aber noch vorbei!
Das Mädchen strahlte schon beim Gehen etwas Märchenhaftes aus. Natürlich ist die fotografische Umsetzung in dieser Form auch immer ein Zufall ... oder vor allem Zufall.
Kerstin Stolzenburg 18/08/2010 6:57
@Eckhard: Lieber Arronax, lieber Capitán, lieber Eckhard ;-), ganz herzlichen Dank für die Glückwünsche und die wunderbare Unterhaltung in Bezug auf das Bild und das Leben :-).Eine ausführlichere Antwort kommt etwas später, wenn ich von einer kleinen Reise zurück bin.
Kerstin
E. W. R. 18/08/2010 0:01
"1999 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution 54/120 den 12. August als Internationalen Tag der Jugend (International Youth Day) festgelegt.""So, nun wissen wir das auch."
"In der Tat, es musste einmal gesagt werden. Sonst bemerkt es vielleicht niemand. Wie das Jubiläum des Mauerbaus. Das ist ja ein verrückter Ausdruck, ‚Jubiläum’, für so etwas."
Pierre Aronnax (seufzt): "Sie brauchen ihn ja nicht verwenden, den Ausdruck. ‚Jahrestag’ genügt – es müsste eigentlich ‚Schandtag’ heißen –, genügt, wie übrigens auch ‚15 Grad’ statt ‚kühle 15 Grad’ im Wetterbericht oder ‚guten Morgen’ statt ‚schönen guten Morgen’. Ich habe es aber aufgegeben, mich darüber aufzuregen. Das Leben wird für die Griesgrame nicht länger, nur widerlicher. Lassen Sie uns lieber – in Ihrem Fall zwar unbekannterweise – Frau Stolzenberg zum Geburtstag gratulieren."
"Stolzenburg. Stimmt, sie erwähnte es einmal vor ziemlich langer Zeit.
Also, herzliche Glückwünsche auch von mir!"
"Wie haben Sie denn den Tag der Jugend verbracht?"
"Na ja ... eigentlich hat mich am 12. August mehr das erstaunliche Faktum beschäftigt, dass das russische Atom-U-Boot K-141 Kursk bereits am 12. August 2000 untergegangen war. Gefühlsmäßig ist das für mich erst drei Jahre her und entschieden NACH dem 11. September 2001 passiert."
"Was war denn da los ... ach so!"
"Sind sie sicher, dass das mit der Kursk stimmt?"
"Die Medien berichteten darüber und in Wikipedia steht's auch. Die Medien berichteten auch über die Waldbrände in Rußland und über die Überschwemmung in Pakistan, der Atommacht ... komisch, der Tag der Jugend kam gar nicht vor."
"Es wurde etwas über die Ausbildungssituation der Jugend in Europa berichtet."
"Stimmt, aber der Kontext war nicht klar. Außerdem beschäftigt die Leute zur Zeit mehr das Problem, ob sie gegen die Abbildung ihrer Ville und Paläste in Google Street View Protest einlegen sollen oder nicht."
"Wovon man dringend abraten muss, denn wenn sich die Ganoven eine Datei aus dem Google-Server heraushacken, dann diese. Tja, die Leute interessiert's halt, im Unterschied zur deutschen Bundesregierung mit dem schönen neuen Sprecher."
"Aronnax ... beherrschen Sie sich! Das braucht SIE doch nicht zu interessieren, so wie Sie drauf sind ... Dafür kam aber am 12. August im Abendprogramm eine Sendung über die 25 beliebtesten Sketche der Deutschen."
"Die haben Sie sich doch nicht etwa 'reingezogen?"
"Doch, natürlich. Als Psychogramm der deutschen Bevölkerung war diese Sendung von höchstem Wert."
"Genügt Ihnen denn da Anderes nicht bereits in genügendem Maße als Anschauungsmaterial? Was war denn der beliebteste Sketch? ‚Die Nudel’ von ... wie heißt er noch mal ... Viktor von Trübow?"
"Nein, 'Dinner for one'."
"Auch gut. Sehe ich mir jedes Jahr an. 'Weil's einfach Pflicht ist!' Hmm ... vom eigentlichen Thema des Bildes sind wir jetzt aber wie üblich schon etwas abgekommen."
"Immer noch besser als .... Nun kann es an dieser Stelle gewiss nicht darum gehen, wieder so eine akademische Abhandlung über das Problem der Jugend an sich, im allgemeinen und besonderen zu produzieren."
"Muss ja nicht sein. Außerdem wurde das Thema bereits einmal anderswo behandelt."
"’Schöhner Bildt, gefellt mich!!!’ Oder so. Sie verlinken ja auch fast nur die eigenen Bilder!"
"Frechheit ... nun gut; wenn sich der Tag der Jugend bislang nur in Jugoslawien so richtig durchgesetzt hat, liegt das auch vielleicht daran, dass es ja noch den Tag des Kindes gibt und dass man aufgrund der heutigen gesetzlichen Regelungen gar nicht mehr so recht weiß, wann jemand Jugendlicher und wann Erwachsener ist."
"Jugoslawien? Das assoziiere ich mit etwas anderem; da gab’s doch auch diesen Gedenktag, den gerade aus schlechtem Grund in Deutschland kaum jemand interessiert, wie’s scheint.
Übrigens verwechseln Sie da etwas, lieber Aronnax, nämlich die gesetzliche Volljährigkeit mit dem inneren Erwachsensein. Die gesetzliche Volljährigkeit haben doch in Deutschland die Roten, äh Sozis von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt, weil sie glaubten, die jugendlichen Volljährigen würden sie wählen."
"Klappte aber dann irgendwie nicht, wie stets, wenn man sich mit Gewalt bei der Jugend anbiedern will. Übrigens vermisse ich das Foto der Eltern von Alice bei den verlinkten Fotos. Sie wird sich ja wohl nicht allein in der friedliche Burda-Museum gebeamt haben. Dafür könnte ich auf dieses überbelichtete Etwas ‚Ins Ungewisse’ durchaus verzichten."
"Sicher aus der Zeit, als dieser Psychologe aus B. sich noch unter den Bildern von K. äußerte; der konnte seine Kamera auch nicht bedienen und stellte den Quark dann ein. Wie übrigens auch andere Leute."
"Das ist Kunst, mein Lieber! Lassen Sie das ja nie K. hören ... aber SIE können sich ihre Freundschaft ja auch nicht verscherzen, unbekannterweise. Auf jeden Fall ist die Jugend ein schwieriges Alter. Ich habe ja auch beruflich dauernd mit jungen Leuten zu tun. Letztens kam es doch tatsächlich vor, dass mich drei Leute betrügen wollten; sie reichten Seminararbeiten ein, die sie nicht geschrieben hatten, zu Seminaren, an denen sie nicht teilgenommen hatten."
"Nun, ich stehe diesen Dingen ja bereits etwas ferner und will hier nicht wie der Blinde von der Farbe reden. Klar ist jedenfalls, dass die Theorie, die Jugendlichen würden nur das machen, was sie aus ihrer Umgebung lernen, völlig veraltet ist."
"Wie der Behaviorismus in der Sprachwissenschaft, in der Tat. Wir sind heute gottlob weiter in der kognitiven Linguistik, die paradigmatisch für die ganze Kognitionsforschung stehen kann. Selbstverständlich nehmen die Jugendlichen, zumal in der sogenannten globalisierten Welt, die kürzlich entdeckt wurde, die ihnen zugehenden Umwelteinflüsse zur Kenntnis, aber bauen sich auf deren Grundlage ein eigenes Regel- und Verhaltensrepertoire auf. Dieses Wechselspiel ist im Grunde genommen genauso unabsehbar und faszinierend wie die Genommischung, die jeder von uns mitbekommt."
"Stimmt ... die Vererbung. Deren Rolle wird ja auch mal bedeutender mal unbedeutender gesehen."
"Auch da darf man nichts übertreiben. Sie spielt eine Rolle, aber nicht nur. Das ist natürlich auch weithin erforscht. Jedenfalls braucht heute keiner mehr kommen und bei Gericht die traurige Kindheit als Argument anführen, wenn er einen Verbrecher verteidigt. Wir hatten uns doch kürzlich über die gräßlichen Bücher von diesem Clemens Meyer ...
... auch so ein Bild, das mehr Interesse verdient hätte ...
unterhalten. Nun gut, es gibt die kleinkriminelle Subkultur wie die wohlstandsgeschädigten Partyidioten. Die Eltern können, wie die Wissenschaft festgestellt hat, wirklich viel durch ihre Erziehung dazu beitragen, dass die Kinder auf den rechten Weg kommen. Weniger durch Strenge und Ermahnungen – haben Sie den Film ‚Das weiße Band’ gesehen? Er lief natürlich nur im Szenekino an der Ausfallstraße, nicht im Cinema-Protzpalast an der Stadthafen-City – als durch faktisches Vor-Leben. Wenn sie denn ein Vor-Leben zu bieten haben. Übrigens eine sehr schwere Aufgabe."
"Der Sie sich ja nie gestellt haben."
"Ich fühlte mich dazu nicht geeignet. Natürlich kann jeder eine Mutter oder ein Vater werden, der da dazu biologisch in der Lage ist. Aber mit dem In-die-Welt-Setzen ist es nicht getan. Es ist im Grunde die schönste und schwerste Entscheidung im Leben, Kinder zu bekommen. Und ich habe da wundervolle und grauenvolle Ergebnisse der Kindererziehung gesehen; glauben Sie mir."
"Na ja, wir beide haben es ja auch irgendwie geschafft. In Ihrem Fall Ihre Frau Großmutter."
„Nun ja ... Rente mit 65, und dann erst einmal richtig Pflichten übernehmen (lächelt). Das hat ihr gut gefallen. ¬– Übrigens ist die Gehirnentwicklung Jugendlicher ein interessanter Gegenstand, auf den wir das Verschwommene, Verwischte des Bildes, das sozusagen eine nicht in sich ruhende, in Entwicklung befindliche Persönlichkeit symbolisiert, mit einiger Wahrscheinlichkeit beziehen können.“
„Gibt es denn überhaupt feste Persönlichkeiten?“
„Das ist natürlich alles relativ, Capitán. Wenn jemand mit 55 anfängt, sich von der Welt überholen zu lassen, was wir bei den Frauen 'verschrullen' nennen, ist er/sie natürlich eine 'festere' Persönlichkeit als jemand, dessen Gehirnentwicklung noch im Gang befindlich ist, der jeden Tag Neues erfährt und in sein Leben integriert. Die Bezeichnung 'fest' ist also nicht unbedingt positiv zu werten. Wir wollen damit nur Phasen relativ geringer Entwicklungsgeschwindigkeit des Charakters andeuten, die ebenso zum Leben gehören wie die Phasen hoher Entwicklungsgeschwindigkeit. Und natürlich muss man mit 55 nicht verschrullen. Ich kannte einen akademischen Lehrer, der es sich bis ins hohe Alter angelegen sein ließ, immer an der Spitze der Forschung zu stehen.“
„Bevor er dann starb.“
„Sie sind einfach ein verdammter Zyniker, Capitán. Das ist doch immer noch besser, als die letzten 30 Jahre seines Lebens als Misfit durch die Zeit getrieben zu werden. Was nun aber die Jugendlichen betrifft ...“
„Aber jetzt bitte keine akademische Abhandlung!“
„... was die Jugendlichen betrifft … glauben Sie eigentlich, dass die Welt durch die Flut des Geschwätzes vorangebracht wird, das tagtäglich um die Welt twittert? Da lobe ich mir doch die exakte Welt der Forschung! ‚Kein Wort zuviel’ sagen ist etwas anderes, als Trivialstuss von sich zu geben, der wie die Flut in Pakistan die Welt überschwemmt! Also, was die Gehirnentwicklung Jugendlicher angeht, empfehle ich Ihnen, wo Sie doch immer so wenig Zeit haben, den Artikel ‚Denn sie wissen nicht, was ihr Kopf tut’, den Joachim Müller-Jung am 26. 8. 2009 in der FAZ veröffentlicht hat.“
„Woher haben Sie den denn?“
„Einiges hebe ich auf, um es schwarz auf weiß zu besitzen. Haben sie nicht
gelesen? Müller-Jung führt unter anderem aus:“
„Die Jugend hat viele Privilegien. Wenn es allerdings um die Entwicklung des Gehirns geht, ist das Erwachsenwerden ein geradezu erbarmungswürdiger Zustand. Die Seele schwankt zwischen den Extremen, und der Kopf wird buchstäblich zum Hexenkessel. Nimmt man die jüngsten Befunde der Hirnforschung, kann man sogar mit Fug und Recht behaupten, dass wohl niemals mehr im Leben Anspruch und Auftreten so weit entfernt von den tatsächlichen kognitiven Verhältnissen sind wie bei den Heranwachsenden. Nach außen geben sie sich gerne gereift, selbstbewusst und aggressiv, drinnen im Kopf aber bricht sich das Chaos scheinbar Bahn, werden sie sensibler und schwankender – ist der neuronale Kuddelmuddel zumindest für die letzten Jahre vor dem Erwachsenwerden der vorherrschende Zustand.“
„Gute Schreibe, würde ich sagen. Komisch, mir kam es gar nicht so schlimm vor.“
„Sie waren sicher gleich nach dem Kindesalter erwachsen. Übrigens verweist Ihre unqualifizierte Äußerung auf die frühere Phase der Hirnforschung, in der man eine lineare Reifung unseres Zentralorgans erkennen wollte:“
„Zentralorgan! Dass ich nicht lache!“
„Keine Ahnung, was Sie als Ihr Zentralorgan auffassen. Also: „Paul Thompson von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen von den amerikanischen National Institutes of Health in Bethesda waren es, die mit ihren zweijährig wiederholten und über viele Jahre konsequent an denselben Personen vorgenommenen Kernspinaufnahmen beeindruckende Zeugnisse von den anatomischen Umbrüchen in der Architektur des jugendlichen Gehirns geliefert hatten. Darauf konnte man noch einen linearen Reifeprozess erkennen. So etwa, dass die grauen Zellen im Großhirn – Großhirnrinde oder Kortex genannt – im Laufe der Kindheit bis kurz zur Pubertät zuerst zunehmen, dann aber kontinuierlich bis zum Erwachsenwerden abnehmen. Das entspricht der alten These, dass in der Kindheit eine Art Überproduktion von Nervenzellen und Nervenverbindungen aufgebaut wird, die ungenutzten Leitungen aber im Laufe der Zeit ebenso konsequent wieder aussortiert werden und verschwinden. Nur die wichtigen Nervennetze bleiben erhalten oder werden gar verstärkt.
Im Lichte der Evolution betrachtet, hatten die von Thompsons Gruppe dokumentierten Sequenzen eine innere Logik: die höheren motorischen und sensorischen Zentren reifen zuerst, ebenso schnell die für Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen, gefolgt von den Verarbeitungszentren für die räumliche Orientierung, später etwa jene für die Sprache und die Feinkoordination von Bewegungen. Der Eindruck einer stabilen linearen, evolutionsbiologisch vorgegebenen und womöglich weitgehend genetisch gesteuerten Entwicklung wurde durch die imposanten Detailbilder aus dem Innern des Kopfes also eher noch gestärkt. Auch die anatomischen Studien, die zeigten, dass die weiße Substanz mit ihren schnellleitenden, myelinisierten Nervenbahnen im Laufe des Lebens mehr oder weniger ununterbrochen zunimmt, deuteten in diese Richtung.“
„Und?“
„Nur Geduld, lieber Capitán. Geduld! Haben Sie noch Zeit? Also:“
„Neuere Untersuchungen an Kindern und Jugendlichen jedoch, die ähnlich wie in Thompsons Studie mit denselben Personen über viele Jahre vorgenommen wurden, sprechen für einen deutlich komplexeren Entwicklungsvorgang. Offenbar zeigen die Bilder und Messungen der grauen Zellen im Kortex nur die halbe Wahrheit. Hinter dem Umbau der Hirnanatomie verbergen sich offensichtlich tiefgreifende, oft aber auch nur vorübergehende Umbrüche in den „sensiblen Phasen“ des Heranwachsenden.
Den jüngsten Befund dafür lieferte kürzlich die Gruppe um Peter J. Uhlhaas, Ruxandra Sireteanu, Frederic Roux und Wolf Singer am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Die Wissenschaftler haben sich nicht die anatomischen, sondern die physiologischen Veränderungen im Gehirn betrachtet. Mit Dutzenden Elektroden am Schädel und als Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet, hat man die elektrischen Hirnströme ins Visier genommen. Das Augenmerk galt dabei jenen über die gesamte Großhirnrinde verteilten funktionalen Netzwerken.“
„Von Wolf Singer habe ich bereits gehört. Der schreibt ja öfter über vergleichbare Themen.“
„Jedenfalls in der Zeitung, die Sie lesen, Capitán. Aber weiter:“
„Besonders interessiert war man auf die voneinander entfernten Nervenzellpopulationen, die gleichzeitig feuern – synchron schwingen. Das deutet auf eine gute Koordination, gleichsam auf einen höheren Reifegrad hin. Steven Petersen von der Washington University School of Medicine in St. Louis haben mit beeindruckenden Simulationen vor Augen geführt, wie das Gehirn im Laufe der Zeit von lokalen Knoten nahe beinander liegender Hirnareale auf Kommunikationsnetze weit entfernter Nervenzentren umsteigt und sich dabei komplett neu organisiert (“Plos Computational Biology“, Bd. 5, S. e1000381).
Bei Erwachsenen hat man in dieser Hinsicht auch am Frankfurter Max-Planck-Institut eindeutige Verhältnisse gefunden: Ihre Gehirne zeigen, wenn man sie vor die Aufgabe stellt, lückenhafte Bilder von menschlichen Gesichtern zu ergänzen und wiederzuerkennen, wohlkoordinierte synchrone Oszillationen über einen großen Frequenzbereich. Die Gesichter wurden schnell und sicher erkannt. Tatsächlich nahm in den Frankfurter Experimenten mit zunehmendem Alter der 68 Probanden auch die Reaktionszeit ab. Die Bilder wurden umso schneller verarbeitet, je älter die Teilnehmer waren, und die Synchronität der Nervennetzwerke, die sich über Theta-, Beta- und höherfrequente Gammawellen miteinander koppelten, nahm zu.“
„Daraus entnehme ich erst einmal die tröstliche Nachricht, dass die Verblödung nicht bereits mit 18 Jahren beginnt, obwohl vieles dafür spricht.“
„Capitán … ganz ruhig. Die Dinge sind etwas komplexer als die Kategorien des Alltagsverstandes:“
„Überraschenderweise aber gab es dennoch einen deutlichen Einbruch: Die Jugendlichen nach den Flegeljahren, also im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, reagierten physiologisch völlig anders: Ausgerechnet im höheren Frequenzbereich der Hirnwellen, den Betawellen zwischen 14 und 30 Hertz und den Gammawellen über 30 Hertz, die bei starker Konzentration und Lernprozessen auftreten, kommt es zu auffallend kleineren und chaotischeren Ausschlägen.
Die Synchronisierung und damit die Koordination der höheren Zentren leidet erheblich, wie die Forscher in den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften berichten (Bd. 106, S. 9866). Was bis zur Pubertät noch funktionierte und dann im Erwachsenen völlig selbstverständlich ist, scheint bei diesen Jugendlichen massiv gestört. Uhlhaas und seine Kollegen deuten ihren Befund so, dass die Aktivitätsmuster im Kortex erst spät reifen und „mit einer vorübergehenden Destabilisierung kortikaler Netzwerke verbunden“ sind.“
„Nun ja, das ist ja ein sehr spezielles Gebiet. Sind Sie sicher, dass die Probanden kein Speed genommen hatten? Und sonst?“
„Capitán, Sie wohnen gerade einem historischen Umbruch in der Hirnforschung bei, und es langweilt Sie bereits wieder. Na ja, die Verschrullung … wie soll man sie eigentlich bei Männern nennen? Veronkelung? Aber es gibt noch ein anderes Feld, auf dem man dieses Chaos der Jugend beobachtet hat.“
„Im Outfit und in der Sprache.“
„Der Outfit ist ein Symptom. Über die Jugendsprache werde ich mich hier aus gegebenem Anlass nicht auslassen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nein, es geht um das Träumen:“
„Hinweise auf einen solch tiefgreifenden Umbruch haben auch Ian Campbell und Irwin Feinberg von der University of California in Davis entdeckt. Sie beobachteten die Hirnaktivität im Schlaf. Dabei konzentrierten sie sich in ihren EEG-Aufzeichnungen auf die langsamen synchronisierten Delta-Wellen, die in den traumlosen Tiefschlafphasen – dem „Non-Rem-Schlaf“ – auftauchen, sowie auf die etwas höherfrequenten Thetawellen, die beim leichten Schlaf vorherrschen. Seit langem weiß man, dass sich der Schlaf im Laufe der Kindheits- und Jugendentwicklung verändert. Im Alter zwischen zehn und zwanzig Jahren nimmt der Anteil der Tiefschlafphasen in der Nacht spürbar ab.
Campbell und Feinberg haben nun allerdings zum ersten Mal gezeigt, wie tief dieser Einbruch wirklich ist: Der Anteil der synchronisierten langsamen Hirnströme sinkt bei den Elf- bis Siebzehnjährigen um zwei Drittel ab. Offensichtlich werden die Jugendlichen in dieser kognitiven Wendezeit im Schlaf plötzlich intensiv – und für einige Jahre immer intensiver – von Träumen geschüttelt. Die Reifung unseres Gehirns fordert ihren Preis von der Jugend.“
„Hmm … doch sehr interessant, lieber Aronnax. Und das Ganze unter zehn Seiten Text; nur sieben, mit acht verlinkten Bildern; Sie haben noch eines frei. Und was ist mit der Jugendsprache?“
„NEIN!“
Ernst Seifert 17/08/2010 7:47
Dein Bild fasziniert mich in dieser Bearbeitung. Irgendwie zweifelnd, unsicher, mit anderen Dingen beschäftigt, sehe ich sie, die Ausstellung gar nicht wahrnehmend.VG Ernst
Sabine Jandl-Jobst 16/08/2010 18:37
Gute Fotoarbeit, genau die Stilmittel verwendet, um das Unbewusste, das Traumland, die anderen Welten gut auszudrücken. Auch das Format ist interessant und betont die Aussage.LG Sabine
Ralf J. Diemb 16/08/2010 13:04
manchmal aus sich herausgehen wollen ... die Hülle abstreifen ... jemand anderes sein wollen ... typisches Jugendverhalten, das ich auch von meiner Tochter kenneFotografisch gut dargestellt.
LG Ralf
Stefan Adam 15/08/2010 14:14
Sehe ich jetzt erst. Ist ja wirklich klasse. So muss man sich ein Leben im Wunderland / in einer Fantasiewelt meiner Meinung nach tatsächlich vorstellen. Alles ein wenig unscharf und nichts wird so wirklich ernst genommen ;-) John Lennon würde vermutlich "Lucy in the Sky with Diamonds" zitieren ;-)LG, Stefan
Daniel Borberg 15/08/2010 11:23
Sehr schöne Bewegungsunschärfe. Ein Spiel zwischen Mensch und Geist.Gut Licht aus Moers,
Daniel
Hanne L. 14/08/2010 16:16
Klasse erfaßt, Kerstin! Die lange Belichtungszeit erzeugt hier einen faszinierenden Effekt. Für mich hat 'Alice' outfitmäßig bereits ihre Persönlichkeit geprägt. Gefallen mir sehr - dein Foto und Alice!Liebe Grüße, Hanne
Kerstin Stolzenburg 12/08/2010 23:57
@BiSa: Liebe Birgitt, genau so sah ich das Mädchen auf dem Bild auch! Danke und LG. KerstinKerstin Stolzenburg 12/08/2010 23:52
@Andreas Denhoff: Lieber Andreas, diese Ausstellung konnte man durchaus als Wunderland bezeichnen. Es waren etliche Bilder der Maler der Leipziger Schule ausgestellt, von Neo Rauch beispielsweise das oder dervon David Schnell. Interessante Werke, die vor allem ins Innere, in die Gedanken- und Gefühlswelt führen, voller Symbolik und irgendwie durchaus eine Fantasiewelt.Die Fantasiewelt in anderen Bereichen schöpft auch aus unseren Erfahrungen und unserer Vorstellungskraft. Den Rahmen setzen wir selbst; jeder Einzelne.
Na ja, ob das Mädchen, es wird etwa 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein, an dem Vormittag bewusst etwas von seiner Umgebung wahrnahm oder in ihrem inneren Wunderland versunken war, vermag ich nicht zu sagen. Sie hörte eigentlich nur Musik und lief den Eltern hinterher, die sich die Bilder anschauten.
Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 12/08/2010 23:52
@Marianne Th: Liebe Marianne, das Bild ist eigentlich nachträglich kaum bearbeitet worden. Das "Verwischte" war geplant und kam aufgrund der Kameraeinstellung zustande. Natürlich sind die Ergebnisse all dieser Versuche in gewisser Weise Zufall; man kann nie genau vorhersagen, wie das Resultat aussehen und wirken wird. Von 20-30 solcher Aufnahmen dieser Art an dem Tag, war wohl auch nur diese eine brauchbar.Liebe Grüße. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 12/08/2010 23:51
@Biggi und Bringe: Danke euch! :-)LG. Kerstin
Kerstin Stolzenburg 12/08/2010 23:35
@Udo: Diese Aufnahme hat natürlich nicht den Anspruch - kann sie nicht haben - einer Auslegung. Das war auch nicht meine Absicht. In seiner Widersprüchlichkeit, auch seiner Märchenhaftigkeit ist es vielleicht Gedankenanstoß ... für mich, für den Betrachter ...Erbmasse: Dazu fand ich auch einen interessanten Artikel: http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/lectures/Intelligenz09.pdf
Grüße. Kerstin
BiSa 12/08/2010 23:18
tolle Arbeitsie hat so etwas Puppenhaftes, deshalb passt der Titel auch hervorragend
wenn man bedenkt, wo es aufgenommen ist, passt dieses Foto auch zu perfekt in diese Umgebung.
Diese Kleidung könnte auch ein Kind vor 50 Jahren getragen haben
LG Birgitt
Kerstin Stolzenburg 12/08/2010 21:53
@Sanne W.: Liebe Susanne, Danke! Habe gerade wieder einmal in deinen Bildern gestöbert. Klasse! Das sind sehr schöne Aufnahmen! Ich komme auf deiner Seite aber noch vorbei!Das Mädchen strahlte schon beim Gehen etwas Märchenhaftes aus. Natürlich ist die fotografische Umsetzung in dieser Form auch immer ein Zufall ... oder vor allem Zufall.
Viele Grüße. Kerstin