Es sind besonders zwei Aspekte, die mich selber im Zusammenhang mit den vielen Demonstrationen in Heiligendamm/Rostock zum G8 beschäftigen.
1. Der Durchbruch zum Zaun war ein wichtiges Symbol
In der Folge von 9/11 hat die Unterhöhlung der Grundrechte in den demokratischen Nationen nördlich des Äquators dramatische Fortschritte gemacht. Da das Versammlungsrecht nicht umsonst einer der Grundpfeiler unserer Demokratie ist, war es wichtig, zu sehen, dass es den Demonstranten möglich war, ihre Demonstration auch in der rechtlich nicht unumstrittenen Sperrzone, also in sichtbarer Nähe zu den Teilnehmern am Gipfeltreffen durchzuführen. Und dass dieser Durchbruch und der anschließende Aufenthalt in der Sperrzone gewaltfrei durchführbar war, zeigt, dass es verbindliche Rechtsstaatlichkeit gab. Auch wenn das z.T. nur den Demonstranten selber zu verdanken war, die z.B. von der Polizei eingeschleuste Provokateure an die Einheiten zurückgegeben haben.
2. Der Wechsel in der Bedeutung der Medien ist schon sehr weit vollzogen
Die klassischen Printmedien haben ja eigentlich ihre Berechtigung darin, dass sie ihre Leser mit echten Informationen von den Geschehnissen außerhalb derer eigenen Sicht versorgen. Nun wurden aber die Printmedien von Anfang an dazu missbraucht, mittels einseitiger Berichterstattung, bis hin zu gefälschten Informationen, politische und der Marktwirtschaft dienliche Beeinflussung ihrer Leserschaft vorzunehmen. Mit dem Internet ist eine radikal anders funktionierende Kommunikationsart entstanden. Informationen werden nicht mehr ausschließlich im Broadcast-Modell verbreitet, also von einigen wenigen Informationsquellen ausgehend, gerichtet an viele Empfängern, sondern auch im Multicast-Modell, also von unzählig vielen Informationsquellen an viele Empfänger. Die letztere Art der Informationsverbreitung entzieht sich weitgehenst der Kontrolle durch "Chefredakteure", ist also logischerweise authentischer.
Wer in den letzten zwei Wochen aufmerksam die Informationen zu den Demonstrationen in Heiligendamm/Rostock in klassischen Printmedien mit den Informationen in den neuen Medien, sprich im Internet, verglichen hat, wird mir wahrscheinlich zustimmen. Ich halte das insofern für bedeutungsvoll, als damit eine neue Möglichkeit geschaffen wird (und eben teilweise auch schon geschaffen wurde) der nicht kontrollierbaren Beeinflussung durch die etablierten Medien zu entgehen.
@Julia, mich würde schon eine genauere Erklärung interessieren.
Ich meinerseits habe gestern kurz nachgedacht. Ich selbst kenne viele Leute aus dem ehemaligen Osten gut. Ja, sogar meine erste deutsche Freunde (ich bin ja ein spanischer Kanake) waren Ostler. Ich hatte auch mal eine ostdeutsche Freundin. Es ist ein sehr langes Thema (und auch sehr heikel, wegen heikle Generalisierungen), aber ich fasse mich kurz. Natürlich habe ich immer unterschiede festgestellt und natürlich, viele davon sind auf die unterschiedliche Sozialisierung zurückzuführen, wie Andrea richtig anmerkt. Jedoch ist mir in dieser Diskussion zum ersten mal etwas klar geworden, weil erst hier habe ich in der Person von Matthias eine Haltung in reinen Zusatnad angetroffen, die ich vorher nicht in der Lage war, so zu sagen unter Laborbedingungen zu beobachten. Die Frage bleibt natürlich immer offen, in wie fern man das alles durch die Umstände der neueren Geschichte erklären kann und darf. Aber wenn es stimmt, und sämtliche Kontakte von Matthias, wie er immer wieder betont, derselben Meinung wie er sind, dann ist die Lage offensichtlich ernst.
Ich meine, bei Matthias finden wir einen Menschen, der das Durchgreifen der Ordnungskräfte bedingungslos verteidigt und rechtfertigt, und der a) nicht bereit ist, Fakten gelten zu lassen, die Zweifeln an der Rechtmässigkeit des polizeiliches Vorgehens ankommen lassen könnten, und der (und noch wichtiger) b) auch nicht bereit ist, eine übergreifende Perspektive einzunehmen und auch den politischen Aspekt und Sinn der ganzen Geschehnisse nachzufragen - mehr noch, der das alles auch ausblenden will. Da entdecke ich eine freiwillige Einschränkung der Urteilsfähigkeit im Bereich des Faktischen und eine freiwillige Eiinschränkung der Perspektive. Das ist teilweise ein Merkmal der Bürokratie: es gibt eine Ordnung, jeder hat einen kleinen Kompetenzbereich innerhalb dieser Ordnung, und der Burokrat fragt nciht nach dem Sinn der Ordnung selbst und auch nicht nach dem allegmeinen Sinn der eigenen Handlungen innerhalb dieser Ordnung - und kann und darf auch nciht danach fragen. Im Finanzamt zum Beispiel ist es so und soll es auch so sein, wenn alles reibungslos funktionieren soll - aber doch nciht in der Zivilgeselleschaft!
Konkret heisst es hier: die Polizei hat konkrete Vorgaben gemacht; wer sich daran hält wird selig, wer sich nciht daran hält hat die Schläge verdient. Das mag in der DDR eine wichtige Überlebensstrategie gewesen sein, zeugt aber auch von politischen Unkultur und Missverständnis davon, was eine Demokratie im Kern ausmacht: nachfragen, in Frage stellen, die eigene Rechte wahrnehmen - wohlwissend, dass diese Rechte sonst niemand für einen selbst wahrnehmen wird. Das Tragischte dabei ist für mich die Feststellung hier, dass Matthias nicht einmal merkt, dass die von ihm verurteilte Demonstranten auch für ihn seine eigene Freiheiten verteidigt haben. Die Handlungen der Ordnungsmächten sind nicht neutral - im burokratischen Sinne - sondern haben auch politisch einen Sinn. Hier war es auch klar, dass nicht alles rechtens vor sich ging, und auch, dass es eine politisch gewollte Skalation schon davor gab. Dem muss man sich nciht ohhne weiteres fügen.
Aber worauf ich hin wollte. Diese typisch bürokratische Halltung des Nicht-Nachfragen und des Nicht-Problematisieren von Handlungszusammenhänge, die über das eigene Kompetenzbereich hinausgehen, dieses "sich fraglos in einem grossen Handlungszusammenhang einzuordnen", diese Übertragung des bürokratischen Prinzis auf die Zivilgeselllschaft, ist auch eine sehr gefährliche Sache. Vor einiger Zeit habe ich ein Buch von Zygmunt Bauman gelesen: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. So wie ich es in Erinnerung habe, da hat der Autor die Möglichkeit des Holocauts unter anderem auch durch diese bürokratische Haltung des Nicht-In-Frage-Stellen der vorhandene Ordnung erklärt. Jeder kleine Teil eines grossen Komplexes übernimmt nicht die Verantwortung für den ganzen Ablauf als solches.
Wenn es stimmt, dass alle Bekannte von Matthias, wie er sagt, seine Einstellung teilen, so macht mir das insgesamt, ehrlich gesagt, auch ein bisschen Angst.
Unabhängig von der Rocky Horrot Picture Show, die nur noch Horror Show ist, ich glaube nach Jahren der Euphorie, absolut verschiedene Sozialisation lässt die Mauer weiter bestehen, natürlich gibt es Ausnahmen........
Andrea
@Matthias
Aus den Nachrichten wirst du ja inzwischen wissen, wie sich die Polizei gegenüber den rechten Schlägern verhalten hat: Laufen lassen und zunächst die Daten der z.T. schwer verletzten Schauspieler aufnehmen. Bravo!!
Ist ja klar, dass die Ex-DDRler mit der verruchten .... horror picture show nichts anfangen können.
Die rechte Szene wurde schon immer geschützt, vor allem bei EUCH.
Vielleicht sollte man die Mauer wieder aufbauen.
Ahhhh - jetzt hab ich es gerafft. Das Authentische ist der BEZUG der beiden Bilder zueinander, der Perspektivenwechsel von einem Bild zum anderen!!
Wow, das ist schlau, Sel !! Ist aber bei der beschriebenen Privatisierung des Einzelbildes dringend von Nöten.
Ich bin beeindruckt! Im Perspektivenwechsel das Authentische zu sehen, das war wirklich sehr klug!!!
[Im Übrigen scheint mir diese Szene durch die Presse gefaket. Denn in dem dazugehörigen Film http://www.interpool.tv/video/g8_rostock_ausschreitungen_020607.wmv sieht man, wie der betreffenende Demonstrant (blaue Jeans und schwarze Jacke) sich kurz zur Kamera weit hinten orientiert, was in dem Gemenge und der Distanz des Fotografen eher eine unwahrscheinliche Handlung ist]
Hey Matthias,
danke für die lang ersehnte Antwort. Leider hatte ich mich wohl etwas hineingesteigert und schließlich Unmut über Dein Ausbleiben - trotz FM - empfunden, den ich wohl auf andere dann ungerecht übertragen habe. Ich dachte, ich könnte von Dir als Augenzeugen konkretere Nachricht über die Aggression der 'Schwarzen' erhalten.
Leider ist über das ganz oben Gesagte nicht viel Neues, d.h. Konkreteres hier nun gepostet worden. Dein obiges Selbst-Zitat von 0:51 impliziert, dass von der Bühne aus zur Gewalt aufgerufen wurde (dass man gegen die Hubschrauber anschreit und die Polizei zum Rückzug auffordert, ist kein Aufruf zur Gewalt, das ist ja klar). Grade Dein Selbstzitat legte für mich nahe, Du hättest entsprechende Aufrufe mit eigenen Ohren gehört. Nun, dem war offensichtlich nicht so. Du selbst schreibst oben (3.06.2007, 14:55): "Als die dann angegriffen wurden, dauerte es etwas, bis die Wasserwerfer und Panzerfahrzeuge kamen." Auch das klang nach Erlebnisbericht. Weiter schreibst Du dort: "Redner der Demonstranten beschimpften und beleidigten die Polizei", was wohl nach den anfänglichen Handgreiflichkeiten stattfand. WER angefangen hat, war für Dich offensichtlich nicht zu beobachten und ob von der Bühne herab - neben den gereizten Rückzugsaufforderungen - zur aktiven Gewalt aufgerufen wurde, hast Du nicht gehört. Du bist also alles in allem kein zuverlässiger Augenzeuge.
Und was Deine Überlegungen und Schlüsse angeht, so beziehen die sich - soweit ich sehe - auf Vagheiten.
Immerhin, das legt die Auslieferung eines schwarz vermummten Polizisten durch die Demonstranten nahe, kann es auch sein, dass die Polizei in Gestalt von vermummten Demonstranten selbst zur Gewalt aufgerufen hat (der vermummte Polizist konnte ja nur deshalb enttarnt werden, weil er irgendwie Aufsehen erregte. Wie kann er das gemacht haben? Die Demonstranten sagen, wegen des Aufrufs zur Gewalt. Vielleicht hast Du eine plausiblere Erklärung, wie der vermummte Polizist anders Aufsehen erregt haben könnte).
Was mich an Deinem Thread vom 3.06.2007 um 16:26 Uhr irritiert, ist, dass Du schreibst:
"Denn linke Gewalt will in Rostock keiner haben."
Das kann ich nachvollziehen, doch warum schreibst Du 'linke'????
In Rostock hat es bisher aber mehr rechte Gewalt gegeben. Warum schreibst Du nicht: Denn Gewalt will in Rostock niemand haben.
Ich persönlich entdecke darin eine Einseitigkeit.
"Was Fernando dazu gefunden hat, hat mit dem, was ich meine, nicht viel zutun. Ich habe nichtmal was davon gelesen."
Das wundert mich, oder hast Du in der Zeit gar keine Nachrichten gelesen. Das ist durch alle Medien gegangen weil es eine Falschmeldung der dpa war.
"Zudem solche Aktionen wie Greenpeace (hat nix mit der Bühne zutun). Die stürmen da mit einem Rudel von Schlauchbooten auf die gefährdetsten Politiker der Welt zu. Schon ein Wunder, daß dort nicht geschossen wurde."
Geschossen??? wo sind wir denn? Das Greenpeace solche Aktionen startet ist doch bekannt, darauf dürfte die Polizei schon vorbereitet sein. Außerdem, hätten sie es bis zum Strand geschafft, wären sie sowieso dort in Empfang genommen worden. Aber wahrscheinlich war die Greenpeace Aktion schon im Vorfeld bekannt, seitens der Polizei und der Medien, die zufällig in diesem Moment ihre Kameras gleich draufhielten
"Daß die Polizei nach dem Samstag die Taktik geändert hat, war ja angekündigt und angemessen. Trotzdem kann man auch mit Polizei prima demonstrieren. "
klar, sozusagen Seite an Seite, wahrscheinlich war der Typ im schwarzen Pulli neben Dir auf der Demo auch ein Polizist...
"Die Demonstrierenden dagegen sorgten mit ihren
Unterhaltungs- und Informationsmitteln für Entspannung trotz aller Anspannung."
warst Du denn bei den Sitzblockaden an den Kontrollpunkten anwesend? da soll es doch recht friedlich zugegangen sein. Ich gehe mal nicht davon aus dass Du dort warst, es war gehörte ja zur Sperrzone
Matthias: "Ich könnte nicht sagen, daß ich enttäuscht bin, da ich sowieso noch kein Eingehen auf irgendwelche Argumente feststellen konnte."
- Argumente habe ich keine gelesen, nur wiederholte Behauptungen und ein lehrbuchmäsiges Abblocken sämtlichen Fakten, Beobachtungen und Ansichten, die sich nicht mit einer seltsamen obrigkeitshörigen, blinden, augenklappenartigen und unbedingten Verteidigungshaltung der Polizei vereinigen lassen.
Es passt schon, was weiter oben über selektive Wahrnehmung gesagt wurde, und hier würde auch gut passen, was Popper über geschlossene Systeme geschrieben hat. Im Gegensatz zu einer offenen Haltung, ist bei einem geschlossenen System einfach unmöglich, Fakten, Instanzen, Argumente herbeizuführen, die dieses System in irgendeinerweise zur Veränderung bringen könnten.
@Matthias. Ich bin sehr enttäuscht von dir, denn du nimmst nur das wahr, was in deinem gefestigten Schablonen sich pressen lässt. Durch deine Worte scheint eine Obrigkeitshörigkeit durch, die Angst macht. Denn dank der hier geführten Diskussion solltest du mittlerweile eigentlich auch über weitergehende Informationen verfügen.
Wenn es in der Tat so wäre, dass alle rostocker so denken wie du, dann wäre es nicht so gut bestellt dort mit der demokratischen Kultur, und es läge nahe, eine Erklärung in der neueren Geschichte zu suchen - Im Sinne Horsts.
Ich möchte abschliessend auf eine ausgewogene Zusammenfassung der Ereignisse von dem Komitee für Grundrechte und Demokratie verweisen:
Fazit: "Polizei ist Protest von Beginn an eskalierend und kriminalisierend begegnet
Erstes zusammenfassendes Resümee aus den Demonstrationsbeobachtungen des Komitees für Grundrechte und Demokratie während der Proteste gegen den G8-Gipfel" http://www.grundrechtekomitee.de/files/articles/g8-protest-resumee.pdf
gegenwart 12/06/2007 16:49
Da ist viel dran, an dem was Du schreibst, Uri.Es sind besonders zwei Aspekte, die mich selber im Zusammenhang mit den vielen Demonstrationen in Heiligendamm/Rostock zum G8 beschäftigen.
1. Der Durchbruch zum Zaun war ein wichtiges Symbol
In der Folge von 9/11 hat die Unterhöhlung der Grundrechte in den demokratischen Nationen nördlich des Äquators dramatische Fortschritte gemacht. Da das Versammlungsrecht nicht umsonst einer der Grundpfeiler unserer Demokratie ist, war es wichtig, zu sehen, dass es den Demonstranten möglich war, ihre Demonstration auch in der rechtlich nicht unumstrittenen Sperrzone, also in sichtbarer Nähe zu den Teilnehmern am Gipfeltreffen durchzuführen. Und dass dieser Durchbruch und der anschließende Aufenthalt in der Sperrzone gewaltfrei durchführbar war, zeigt, dass es verbindliche Rechtsstaatlichkeit gab. Auch wenn das z.T. nur den Demonstranten selber zu verdanken war, die z.B. von der Polizei eingeschleuste Provokateure an die Einheiten zurückgegeben haben.
2. Der Wechsel in der Bedeutung der Medien ist schon sehr weit vollzogen
Die klassischen Printmedien haben ja eigentlich ihre Berechtigung darin, dass sie ihre Leser mit echten Informationen von den Geschehnissen außerhalb derer eigenen Sicht versorgen. Nun wurden aber die Printmedien von Anfang an dazu missbraucht, mittels einseitiger Berichterstattung, bis hin zu gefälschten Informationen, politische und der Marktwirtschaft dienliche Beeinflussung ihrer Leserschaft vorzunehmen. Mit dem Internet ist eine radikal anders funktionierende Kommunikationsart entstanden. Informationen werden nicht mehr ausschließlich im Broadcast-Modell verbreitet, also von einigen wenigen Informationsquellen ausgehend, gerichtet an viele Empfängern, sondern auch im Multicast-Modell, also von unzählig vielen Informationsquellen an viele Empfänger. Die letztere Art der Informationsverbreitung entzieht sich weitgehenst der Kontrolle durch "Chefredakteure", ist also logischerweise authentischer.
Wer in den letzten zwei Wochen aufmerksam die Informationen zu den Demonstrationen in Heiligendamm/Rostock in klassischen Printmedien mit den Informationen in den neuen Medien, sprich im Internet, verglichen hat, wird mir wahrscheinlich zustimmen. Ich halte das insofern für bedeutungsvoll, als damit eine neue Möglichkeit geschaffen wird (und eben teilweise auch schon geschaffen wurde) der nicht kontrollierbaren Beeinflussung durch die etablierten Medien zu entgehen.
Fernando O.M. 12/06/2007 9:31
@Julia, mich würde schon eine genauere Erklärung interessieren.Ich meinerseits habe gestern kurz nachgedacht. Ich selbst kenne viele Leute aus dem ehemaligen Osten gut. Ja, sogar meine erste deutsche Freunde (ich bin ja ein spanischer Kanake) waren Ostler. Ich hatte auch mal eine ostdeutsche Freundin. Es ist ein sehr langes Thema (und auch sehr heikel, wegen heikle Generalisierungen), aber ich fasse mich kurz. Natürlich habe ich immer unterschiede festgestellt und natürlich, viele davon sind auf die unterschiedliche Sozialisierung zurückzuführen, wie Andrea richtig anmerkt. Jedoch ist mir in dieser Diskussion zum ersten mal etwas klar geworden, weil erst hier habe ich in der Person von Matthias eine Haltung in reinen Zusatnad angetroffen, die ich vorher nicht in der Lage war, so zu sagen unter Laborbedingungen zu beobachten. Die Frage bleibt natürlich immer offen, in wie fern man das alles durch die Umstände der neueren Geschichte erklären kann und darf. Aber wenn es stimmt, und sämtliche Kontakte von Matthias, wie er immer wieder betont, derselben Meinung wie er sind, dann ist die Lage offensichtlich ernst.
Ich meine, bei Matthias finden wir einen Menschen, der das Durchgreifen der Ordnungskräfte bedingungslos verteidigt und rechtfertigt, und der a) nicht bereit ist, Fakten gelten zu lassen, die Zweifeln an der Rechtmässigkeit des polizeiliches Vorgehens ankommen lassen könnten, und der (und noch wichtiger) b) auch nicht bereit ist, eine übergreifende Perspektive einzunehmen und auch den politischen Aspekt und Sinn der ganzen Geschehnisse nachzufragen - mehr noch, der das alles auch ausblenden will. Da entdecke ich eine freiwillige Einschränkung der Urteilsfähigkeit im Bereich des Faktischen und eine freiwillige Eiinschränkung der Perspektive. Das ist teilweise ein Merkmal der Bürokratie: es gibt eine Ordnung, jeder hat einen kleinen Kompetenzbereich innerhalb dieser Ordnung, und der Burokrat fragt nciht nach dem Sinn der Ordnung selbst und auch nicht nach dem allegmeinen Sinn der eigenen Handlungen innerhalb dieser Ordnung - und kann und darf auch nciht danach fragen. Im Finanzamt zum Beispiel ist es so und soll es auch so sein, wenn alles reibungslos funktionieren soll - aber doch nciht in der Zivilgeselleschaft!
Konkret heisst es hier: die Polizei hat konkrete Vorgaben gemacht; wer sich daran hält wird selig, wer sich nciht daran hält hat die Schläge verdient. Das mag in der DDR eine wichtige Überlebensstrategie gewesen sein, zeugt aber auch von politischen Unkultur und Missverständnis davon, was eine Demokratie im Kern ausmacht: nachfragen, in Frage stellen, die eigene Rechte wahrnehmen - wohlwissend, dass diese Rechte sonst niemand für einen selbst wahrnehmen wird. Das Tragischte dabei ist für mich die Feststellung hier, dass Matthias nicht einmal merkt, dass die von ihm verurteilte Demonstranten auch für ihn seine eigene Freiheiten verteidigt haben. Die Handlungen der Ordnungsmächten sind nicht neutral - im burokratischen Sinne - sondern haben auch politisch einen Sinn. Hier war es auch klar, dass nicht alles rechtens vor sich ging, und auch, dass es eine politisch gewollte Skalation schon davor gab. Dem muss man sich nciht ohhne weiteres fügen.
Aber worauf ich hin wollte. Diese typisch bürokratische Halltung des Nicht-Nachfragen und des Nicht-Problematisieren von Handlungszusammenhänge, die über das eigene Kompetenzbereich hinausgehen, dieses "sich fraglos in einem grossen Handlungszusammenhang einzuordnen", diese Übertragung des bürokratischen Prinzis auf die Zivilgeselllschaft, ist auch eine sehr gefährliche Sache. Vor einiger Zeit habe ich ein Buch von Zygmunt Bauman gelesen: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. So wie ich es in Erinnerung habe, da hat der Autor die Möglichkeit des Holocauts unter anderem auch durch diese bürokratische Haltung des Nicht-In-Frage-Stellen der vorhandene Ordnung erklärt. Jeder kleine Teil eines grossen Komplexes übernimmt nicht die Verantwortung für den ganzen Ablauf als solches.
Wenn es stimmt, dass alle Bekannte von Matthias, wie er sagt, seine Einstellung teilen, so macht mir das insgesamt, ehrlich gesagt, auch ein bisschen Angst.
Adrena Lin 11/06/2007 23:57
Unabhängig von der Rocky Horrot Picture Show, die nur noch Horror Show ist, ich glaube nach Jahren der Euphorie, absolut verschiedene Sozialisation lässt die Mauer weiter bestehen, natürlich gibt es Ausnahmen........Andrea
Horst Witte 11/06/2007 23:42
Julia,menno, das ist Satire!!!
Und Satire darf alles . . . alles.
Ist aber nicht 1 zu 1 auf die Haltung und Meinung des Verfassers zu übertragen.
Dich meine ich ganz sicher nicht. :-)))))
LG
Horst
Horst Witte 11/06/2007 22:07
@MatthiasAus den Nachrichten wirst du ja inzwischen wissen, wie sich die Polizei gegenüber den rechten Schlägern verhalten hat: Laufen lassen und zunächst die Daten der z.T. schwer verletzten Schauspieler aufnehmen. Bravo!!
Ist ja klar, dass die Ex-DDRler mit der verruchten .... horror picture show nichts anfangen können.
Die rechte Szene wurde schon immer geschützt, vor allem bei EUCH.
Vielleicht sollte man die Mauer wieder aufbauen.
(Der letzte Teil war zynische Satire)
gegenwart 11/06/2007 21:44
Jede gerichtete Information (ich bezeichne hier den Menschen als eine richten wollende Informationsquelle) ist eine Manipulation, Uri.Der Bückling 11/06/2007 21:25
Ahhhh - jetzt hab ich es gerafft. Das Authentische ist der BEZUG der beiden Bilder zueinander, der Perspektivenwechsel von einem Bild zum anderen!!Wow, das ist schlau, Sel !! Ist aber bei der beschriebenen Privatisierung des Einzelbildes dringend von Nöten.
Ich bin beeindruckt! Im Perspektivenwechsel das Authentische zu sehen, das war wirklich sehr klug!!!
[Im Übrigen scheint mir diese Szene durch die Presse gefaket. Denn in dem dazugehörigen Film http://www.interpool.tv/video/g8_rostock_ausschreitungen_020607.wmv sieht man, wie der betreffenende Demonstrant (blaue Jeans und schwarze Jacke) sich kurz zur Kamera weit hinten orientiert, was in dem Gemenge und der Distanz des Fotografen eher eine unwahrscheinliche Handlung ist]
gegenwart 11/06/2007 20:55
Ein Beispiel für beispielhafte, überzeugend authentische Reportage ist http://www.interpool.tv/Der Bückling 11/06/2007 11:09
Hey Matthias,danke für die lang ersehnte Antwort. Leider hatte ich mich wohl etwas hineingesteigert und schließlich Unmut über Dein Ausbleiben - trotz FM - empfunden, den ich wohl auf andere dann ungerecht übertragen habe. Ich dachte, ich könnte von Dir als Augenzeugen konkretere Nachricht über die Aggression der 'Schwarzen' erhalten.
Leider ist über das ganz oben Gesagte nicht viel Neues, d.h. Konkreteres hier nun gepostet worden. Dein obiges Selbst-Zitat von 0:51 impliziert, dass von der Bühne aus zur Gewalt aufgerufen wurde (dass man gegen die Hubschrauber anschreit und die Polizei zum Rückzug auffordert, ist kein Aufruf zur Gewalt, das ist ja klar). Grade Dein Selbstzitat legte für mich nahe, Du hättest entsprechende Aufrufe mit eigenen Ohren gehört. Nun, dem war offensichtlich nicht so. Du selbst schreibst oben (3.06.2007, 14:55): "Als die dann angegriffen wurden, dauerte es etwas, bis die Wasserwerfer und Panzerfahrzeuge kamen." Auch das klang nach Erlebnisbericht. Weiter schreibst Du dort: "Redner der Demonstranten beschimpften und beleidigten die Polizei", was wohl nach den anfänglichen Handgreiflichkeiten stattfand. WER angefangen hat, war für Dich offensichtlich nicht zu beobachten und ob von der Bühne herab - neben den gereizten Rückzugsaufforderungen - zur aktiven Gewalt aufgerufen wurde, hast Du nicht gehört. Du bist also alles in allem kein zuverlässiger Augenzeuge.
Und was Deine Überlegungen und Schlüsse angeht, so beziehen die sich - soweit ich sehe - auf Vagheiten.
Immerhin, das legt die Auslieferung eines schwarz vermummten Polizisten durch die Demonstranten nahe, kann es auch sein, dass die Polizei in Gestalt von vermummten Demonstranten selbst zur Gewalt aufgerufen hat (der vermummte Polizist konnte ja nur deshalb enttarnt werden, weil er irgendwie Aufsehen erregte. Wie kann er das gemacht haben? Die Demonstranten sagen, wegen des Aufrufs zur Gewalt. Vielleicht hast Du eine plausiblere Erklärung, wie der vermummte Polizist anders Aufsehen erregt haben könnte).
Was mich an Deinem Thread vom 3.06.2007 um 16:26 Uhr irritiert, ist, dass Du schreibst:
"Denn linke Gewalt will in Rostock keiner haben."
Das kann ich nachvollziehen, doch warum schreibst Du 'linke'????
In Rostock hat es bisher aber mehr rechte Gewalt gegeben. Warum schreibst Du nicht: Denn Gewalt will in Rostock niemand haben.
Ich persönlich entdecke darin eine Einseitigkeit.
Beste Grüße und Dank für Deine Antwort
Nadia T. 11/06/2007 11:00
"Was Fernando dazu gefunden hat, hat mit dem, was ich meine, nicht viel zutun. Ich habe nichtmal was davon gelesen."Das wundert mich, oder hast Du in der Zeit gar keine Nachrichten gelesen. Das ist durch alle Medien gegangen weil es eine Falschmeldung der dpa war.
"Zudem solche Aktionen wie Greenpeace (hat nix mit der Bühne zutun). Die stürmen da mit einem Rudel von Schlauchbooten auf die gefährdetsten Politiker der Welt zu. Schon ein Wunder, daß dort nicht geschossen wurde."
Geschossen??? wo sind wir denn? Das Greenpeace solche Aktionen startet ist doch bekannt, darauf dürfte die Polizei schon vorbereitet sein. Außerdem, hätten sie es bis zum Strand geschafft, wären sie sowieso dort in Empfang genommen worden. Aber wahrscheinlich war die Greenpeace Aktion schon im Vorfeld bekannt, seitens der Polizei und der Medien, die zufällig in diesem Moment ihre Kameras gleich draufhielten
"Daß die Polizei nach dem Samstag die Taktik geändert hat, war ja angekündigt und angemessen. Trotzdem kann man auch mit Polizei prima demonstrieren. "
klar, sozusagen Seite an Seite, wahrscheinlich war der Typ im schwarzen Pulli neben Dir auf der Demo auch ein Polizist...
"Die Demonstrierenden dagegen sorgten mit ihren
Unterhaltungs- und Informationsmitteln für Entspannung trotz aller Anspannung."
warst Du denn bei den Sitzblockaden an den Kontrollpunkten anwesend? da soll es doch recht friedlich zugegangen sein. Ich gehe mal nicht davon aus dass Du dort warst, es war gehörte ja zur Sperrzone
Fernando O.M. 11/06/2007 10:56
Matthias: "Ich könnte nicht sagen, daß ich enttäuscht bin, da ich sowieso noch kein Eingehen auf irgendwelche Argumente feststellen konnte."- Argumente habe ich keine gelesen, nur wiederholte Behauptungen und ein lehrbuchmäsiges Abblocken sämtlichen Fakten, Beobachtungen und Ansichten, die sich nicht mit einer seltsamen obrigkeitshörigen, blinden, augenklappenartigen und unbedingten Verteidigungshaltung der Polizei vereinigen lassen.
Es passt schon, was weiter oben über selektive Wahrnehmung gesagt wurde, und hier würde auch gut passen, was Popper über geschlossene Systeme geschrieben hat. Im Gegensatz zu einer offenen Haltung, ist bei einem geschlossenen System einfach unmöglich, Fakten, Instanzen, Argumente herbeizuführen, die dieses System in irgendeinerweise zur Veränderung bringen könnten.
Fernando O.M. 11/06/2007 9:23
@Matthias. Ich bin sehr enttäuscht von dir, denn du nimmst nur das wahr, was in deinem gefestigten Schablonen sich pressen lässt. Durch deine Worte scheint eine Obrigkeitshörigkeit durch, die Angst macht. Denn dank der hier geführten Diskussion solltest du mittlerweile eigentlich auch über weitergehende Informationen verfügen.Wenn es in der Tat so wäre, dass alle rostocker so denken wie du, dann wäre es nicht so gut bestellt dort mit der demokratischen Kultur, und es läge nahe, eine Erklärung in der neueren Geschichte zu suchen - Im Sinne Horsts.
Ich möchte abschliessend auf eine ausgewogene Zusammenfassung der Ereignisse von dem Komitee für Grundrechte und Demokratie verweisen:
Fazit: "Polizei ist Protest von Beginn an eskalierend und kriminalisierend begegnet
Erstes zusammenfassendes Resümee aus den Demonstrationsbeobachtungen des Komitees für Grundrechte und Demokratie während der Proteste gegen den G8-Gipfel"
http://www.grundrechtekomitee.de/files/articles/g8-protest-resumee.pdf
Schöne Grüße
Fernando
gegenwart 11/06/2007 1:13
http://www.piafridhill.de/files/mp3/Triptychon%201%20-%20It%27s%20time/Let%20the%20world%20slide_Hi.MP3N8
Fernando O.M. 11/06/2007 0:30
@Gute Nacht Uri. Deschner ist wirklich wert, gelesen zu werden. Ein echter nietzscheaner. Ich bin auch auf die Antwort con Mattthias sehr gespannt.Der Bückling 11/06/2007 0:24
Gut, werde ich auch noch lesen :-)Gute Nacht.
P.S. Ich bin einfach enttäuscht über das lange Ausbleiben von Matthias und das Offenbleiben meiner sehr konkreten Frage!!!