Liebe Kerstin, auch wenn die Sprachfragen bei populären Quizsendungen nur die unteren Ränge der fünfzehn Fragen bis zur Million besetzen, sind sie deshalb nicht zu verachten. Denn eigentlich sollte jeder Angehörige einer Sprachgemeinschaft seine Sprache so gut kennen, dass es sich überhaupt nicht lohnen würde, eine Sprachfrage zu stellen. Dass das aber so ist, zeigt, dass ein Anwenderwissen, wie wir es für viele andere Dinge auch besitzen, deren Wesen wir eigentlich kaum durchschauen, noch lange nicht ausreichen muss, um etwas Profundes von der Sache zu wissen. Und wenn jedermann alles von der Sprache wüsste, bräuchte man ja auch keine Sprachwissenschaft. Ich will damit nicht behaupten, dass die Sprachwissenschaft in ihrer Geschichte und in ihren Schulen immer das Gelbe vom Ei entdeckt hätte. Aber wenn bereits Jacob Grimm im zweiten Teil seiner „Deutschen Grammatik“ 600 Seiten über die Wortbildung des Deutschen und ihre geschichtliche Entwicklung schreiben kann, dann mag das andeuten, dass Sprachwissenschaft mehr ist als die vordergründigen Späße bei Herrn Jauch. In diesem Vordergrund steckt ein Hintergrund. Bezogen auf die substantivische Komposition besteht der Hintergrund darin, dass diese Wortbildungsart in der Gegenwartssprache aus der einfachen Zusammensetzung von zwei Wörtern zu bestehen scheint. Keinerlei weiteres morphologisches Signal deutet an, wie das inhaltliche Verhältnis der beiden Wörter zueinander beschaffen ist. Ob also der „Kuchenteller“ ein 'Teller mit Kuchen' oder ein 'Teller für Kuchen' ist, ist Sache des sprachlichen und sachlichen Wissens der Sprachträger. Und auch da, wo es nur eine Lesart gibt, ist es so. Und auch da, wo das Erstglied nach dem Muster alter syntaktisch begründeter Kompositionen ein echtes oder scheinbares Genitivmorphem zeigt wie in „Bundestag“ beziehungsweise „Arbeitsamt“, kann das semantische Verhältnis dennoch etwas beinhalten, als es der Genitiv von seiner Kasusbedeutung her eigentlich mit sich brächte. In der morphologisch einfachen Wortbildungsart steckt damit der Hinweis darauf, dass die Bedeutung einer Wortbildung sich durchaus nicht in den verwendeten Morphemen spiegeln muss, sondern dass es auch sprachliches Wissen gibt, das sich morphologisch gerade nicht zeigt. Damit ist eine schlichte Morphemtheorie ad absurdum geführt, die gerade diese 1:1-Spiegelung annehmen würde. Was nun deine Spiegelei betrifft, ist sie dreideutig. Einmal ist „Spiegelei“ eine Ableitung mit dem Suffix „-ei“, mit dem in diesem Fall ein Wort erzeugt wird, das sowohl den Vorgang als auch das Resultat dessen bedeuten kann, was im Grundmorphem ausgedrückt wird, also den Vorgang oder das Resultat des Spiegelns. Zweitens ist „Spiegelei“ ein Kompositum mit der normalen Lesart 'Spiegelei', womit das flach aufgeschlagene und gebratene Ei bedeutet wird, dessen Eigelb dann den 'Spiegel' bildet. Damit ist aber diese normale Lesart auch bereits wieder das Resultat einer bildlichen Sprech- und Denkweise; in dem Wort steckt eine Metapher. Drittens ist „Spiegelei“ die Dekonstruktion eben dieser gewohnheitsmäßigen Metapher, indem die Lesart 'Ei auf dem Spiegel' ist. Mit dem Aufbrechen gewohnheitsmäßiger Lesarten bei Ableitungen und Kompositionen werden nicht selten interessante Effekte erzielt, die auch den „Nur-Anwendern“ von Sprache deutlich machen, dass hinter den Wörtern einiges an strukturellen Voraussetzungen steckt. Ich erinnere nur an die in den siebziger Jahren erzeugte Remotivierung von „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“; mit einigem Recht wurde von der damaligen linken Szene festgestellt, dass derjenige, der normalerweise „Arbeitnehmer“ genannt wird, in Wirklichkeit seine Arbeit gibt, und dass der „Arbeitgeber“ in Wirklichkeit Arbeit nimmt und den „Arbeitnehmer“ = „Geber“ dafür bezahlt. Aus dieser Zeit stammt auch die Remotivierung „Linksanwalt“ statt „Rechtsanwalt“, die zugleich, was vielleicht weniger deutlich gesehen wurde, das „Recht“ als „rechts“ diffamierte. Als Sprachwissenschaftler hat man fast täglich Gelegenheit, sich zu fragen, wer da eigentlich welches Wort wie aus welchem Interesse gebildet hat. So zum Beispiel das Wort „Frontalunterricht“, das die überkommene Form des Unterrichts denunzieren soll, bei der der Lehrer vor der Klasse steht und mit ihr als Ganzer kommuniziert. Leider stammt „frontal“ aber aus der Sprache des Krieges und wurde etwa in „Frontalangriff“ verbaut. Man bemerkt die Absicht und kann auf die Psyche der Wortschöpfer schließen. Leider steht man damit aber meistens allein, weil die meisten Menschen einer primitiven Variante des Sprachrealismus huldigen: Sie meinen, wenn es für etwas ein Wort gibt, gäbe es auch die Sache, eine Einstellung, die natürlich von allen Manipulatoren der Menschheit für ihre Zwecke ausgenutzt worden ist. So gibt es objektiv bei den Menschen keine Rassen, aber als das Wort „Rasse“ in der Welt war, konnte man daran glauben und mit diesem Anschein des Seienden fürchterlichsten Schindluder treiben. Oder der wunderbare Ausdruck „Derivat“. Normalerweise hat ein Derivat eine Basis, etwas Seiendes, von dem es abgeleitet wurde, etwa in der Werkstoffkunde. Die „Derivate“ skrupelloser Banker aber bestanden aus nichts als Luft – eigentlich bestanden sie aus nichts als der Lüge. Daran zeigt sich, dass es wohl doch seinen Sinn hat, dass es die Sprachwissenschaft gibt. Eckhard
Lange Zeit glaubte ich immer besonders kluge Sätze sprechen
oder schreiben zu müssen. Sätze die nachwirken und wie Denk-
mäler sind oder sein könnten. Ich wollte halt einfach toll sein, also
in den Augen der Anderen und mich so aus der Masse heraushe-
ben. Dabei habe ich über sehr lange Zeit ignoriert, dass das Le-
ben im intellektuellen (oder eigenen) Elfenbeinturm gar nicht das
Leben ist, es ist eher ein Scheinleben. Jetzt, im Alter, da sage ich
gerne so "profane" Sätze wie: "Ich liebe dich" oder "Du fehlst mir"
oder "Wenn ich dich sehe oder höre, dann ist in mir so ein wohli-
ges Gefühl, einfach nur schön" oder "Ich mag es wenn Du kochst;
ich sehe Dir gerne dabei zu" oder "Wenn ich Dich sehe, dann
schlägt mein Herz Purzelbäume" oder "Bei Dir kann ich der sein
der ich bin und das tut mir so gut" oder "Ich denke so gerne an
Dich" ... und und und
Jetzt im Moment, nach dem Aufstehen, sage ich zu meinem Kaf-
fee in meiner Tasse: "Du schmeckst mir; leider muß ich Dich al-
leine trinken" ...............
Danke Dir! Das tut mir leid, lieber Neydhart, aber immerhin sind Kaffeetassen - ausgenommen die 'to-go'-Varianten - recht treue Wesen. :-)
Ich melde mich später wieder, da ich gesundheitlich momentan etwas angeschlagen bin.
LG, Kerstin
Der Dotter ist schon einmal wunderschön.
Die Lichtsterne machen sich dann sowieso noch einmal so gut.
Aber die Idee, ein Ei auf einer Glasplatte, oder einem Spiegel zu drappieren, ist eine besonders Gute.
Alle Achtung.
Da stimmt einfach alles.
@alle: Danke für Eure durchweg positiven Anmerkungen. Die Resonanz auf diesen Versuch hat mich gefreut und macht mir Mut und Lust, in dieser Richtung weiter zu experimentieren.
LG. Kerstin
E. W. R. 13/11/2008 15:36
Liebe Kerstin, auch wenn die Sprachfragen bei populären Quizsendungen nur die unteren Ränge der fünfzehn Fragen bis zur Million besetzen, sind sie deshalb nicht zu verachten. Denn eigentlich sollte jeder Angehörige einer Sprachgemeinschaft seine Sprache so gut kennen, dass es sich überhaupt nicht lohnen würde, eine Sprachfrage zu stellen. Dass das aber so ist, zeigt, dass ein Anwenderwissen, wie wir es für viele andere Dinge auch besitzen, deren Wesen wir eigentlich kaum durchschauen, noch lange nicht ausreichen muss, um etwas Profundes von der Sache zu wissen. Und wenn jedermann alles von der Sprache wüsste, bräuchte man ja auch keine Sprachwissenschaft. Ich will damit nicht behaupten, dass die Sprachwissenschaft in ihrer Geschichte und in ihren Schulen immer das Gelbe vom Ei entdeckt hätte. Aber wenn bereits Jacob Grimm im zweiten Teil seiner „Deutschen Grammatik“ 600 Seiten über die Wortbildung des Deutschen und ihre geschichtliche Entwicklung schreiben kann, dann mag das andeuten, dass Sprachwissenschaft mehr ist als die vordergründigen Späße bei Herrn Jauch. In diesem Vordergrund steckt ein Hintergrund. Bezogen auf die substantivische Komposition besteht der Hintergrund darin, dass diese Wortbildungsart in der Gegenwartssprache aus der einfachen Zusammensetzung von zwei Wörtern zu bestehen scheint. Keinerlei weiteres morphologisches Signal deutet an, wie das inhaltliche Verhältnis der beiden Wörter zueinander beschaffen ist. Ob also der „Kuchenteller“ ein 'Teller mit Kuchen' oder ein 'Teller für Kuchen' ist, ist Sache des sprachlichen und sachlichen Wissens der Sprachträger. Und auch da, wo es nur eine Lesart gibt, ist es so. Und auch da, wo das Erstglied nach dem Muster alter syntaktisch begründeter Kompositionen ein echtes oder scheinbares Genitivmorphem zeigt wie in „Bundestag“ beziehungsweise „Arbeitsamt“, kann das semantische Verhältnis dennoch etwas beinhalten, als es der Genitiv von seiner Kasusbedeutung her eigentlich mit sich brächte. In der morphologisch einfachen Wortbildungsart steckt damit der Hinweis darauf, dass die Bedeutung einer Wortbildung sich durchaus nicht in den verwendeten Morphemen spiegeln muss, sondern dass es auch sprachliches Wissen gibt, das sich morphologisch gerade nicht zeigt. Damit ist eine schlichte Morphemtheorie ad absurdum geführt, die gerade diese 1:1-Spiegelung annehmen würde. Was nun deine Spiegelei betrifft, ist sie dreideutig. Einmal ist „Spiegelei“ eine Ableitung mit dem Suffix „-ei“, mit dem in diesem Fall ein Wort erzeugt wird, das sowohl den Vorgang als auch das Resultat dessen bedeuten kann, was im Grundmorphem ausgedrückt wird, also den Vorgang oder das Resultat des Spiegelns. Zweitens ist „Spiegelei“ ein Kompositum mit der normalen Lesart 'Spiegelei', womit das flach aufgeschlagene und gebratene Ei bedeutet wird, dessen Eigelb dann den 'Spiegel' bildet. Damit ist aber diese normale Lesart auch bereits wieder das Resultat einer bildlichen Sprech- und Denkweise; in dem Wort steckt eine Metapher. Drittens ist „Spiegelei“ die Dekonstruktion eben dieser gewohnheitsmäßigen Metapher, indem die Lesart 'Ei auf dem Spiegel' ist. Mit dem Aufbrechen gewohnheitsmäßiger Lesarten bei Ableitungen und Kompositionen werden nicht selten interessante Effekte erzielt, die auch den „Nur-Anwendern“ von Sprache deutlich machen, dass hinter den Wörtern einiges an strukturellen Voraussetzungen steckt. Ich erinnere nur an die in den siebziger Jahren erzeugte Remotivierung von „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“; mit einigem Recht wurde von der damaligen linken Szene festgestellt, dass derjenige, der normalerweise „Arbeitnehmer“ genannt wird, in Wirklichkeit seine Arbeit gibt, und dass der „Arbeitgeber“ in Wirklichkeit Arbeit nimmt und den „Arbeitnehmer“ = „Geber“ dafür bezahlt. Aus dieser Zeit stammt auch die Remotivierung „Linksanwalt“ statt „Rechtsanwalt“, die zugleich, was vielleicht weniger deutlich gesehen wurde, das „Recht“ als „rechts“ diffamierte. Als Sprachwissenschaftler hat man fast täglich Gelegenheit, sich zu fragen, wer da eigentlich welches Wort wie aus welchem Interesse gebildet hat. So zum Beispiel das Wort „Frontalunterricht“, das die überkommene Form des Unterrichts denunzieren soll, bei der der Lehrer vor der Klasse steht und mit ihr als Ganzer kommuniziert. Leider stammt „frontal“ aber aus der Sprache des Krieges und wurde etwa in „Frontalangriff“ verbaut. Man bemerkt die Absicht und kann auf die Psyche der Wortschöpfer schließen. Leider steht man damit aber meistens allein, weil die meisten Menschen einer primitiven Variante des Sprachrealismus huldigen: Sie meinen, wenn es für etwas ein Wort gibt, gäbe es auch die Sache, eine Einstellung, die natürlich von allen Manipulatoren der Menschheit für ihre Zwecke ausgenutzt worden ist. So gibt es objektiv bei den Menschen keine Rassen, aber als das Wort „Rasse“ in der Welt war, konnte man daran glauben und mit diesem Anschein des Seienden fürchterlichsten Schindluder treiben. Oder der wunderbare Ausdruck „Derivat“. Normalerweise hat ein Derivat eine Basis, etwas Seiendes, von dem es abgeleitet wurde, etwa in der Werkstoffkunde. Die „Derivate“ skrupelloser Banker aber bestanden aus nichts als Luft – eigentlich bestanden sie aus nichts als der Lüge. Daran zeigt sich, dass es wohl doch seinen Sinn hat, dass es die Sprachwissenschaft gibt. EckhardKerstin Stolzenburg 26/10/2008 15:36
@Roland: Danke!Gruß. Kerstin
E-Punkt 09/08/2007 14:03
Das Spiegel - Ei hochstilisiert. Eine Kunstform. Nie hätte ich gedacht, daß das geht.Du hast es bewiesen.
Chapeau !
Lg.Elfi
Edith Howitz-Leitzmüller 09/08/2007 11:38
Der Dotter ist schon einmal wunderschön.Die Lichtsterne machen sich dann sowieso noch einmal so gut.
Aber die Idee, ein Ei auf einer Glasplatte, oder einem Spiegel zu drappieren, ist eine besonders Gute.
Alle Achtung.
Da stimmt einfach alles.
LG Edith
Kerstin Stolzenburg 08/08/2007 18:47
@alle: Danke für Eure durchweg positiven Anmerkungen. Die Resonanz auf diesen Versuch hat mich gefreut und macht mir Mut und Lust, in dieser Richtung weiter zu experimentieren.LG. Kerstin
Martin Fuchs . 07/08/2007 23:15
aber Hallo !gut dass ich jetzt hier mal reingeschaut habe !
das ist super !
bin begeistert !
sagenhaft !
schönen Gruss !
Martin
Renate Bonow 07/08/2007 22:21
!!!renate
Hendrik Schuld 06/08/2007 22:31
Ein tolles Foto und eine originelle Idee - ganz klasse gemacht!Schönen Dank für deine Anmerkungen.
lg Hendrik
Claus-Dieter Jahn 06/08/2007 22:12
Klasse Idee und ebensolche Umsetzung!Die Sternchen sind der Hit.
LG Cl.-D.
Kerstin Stolzenburg 06/08/2007 20:21
@Stefan: weder noch, die Sternchen sind original !LG. Kerstin
ston 06/08/2007 19:28
Hammerbild, Bravo. Hast Du einen Sternchenfilter benutzt oder eher Photoshop ?LG Stefan
Hanne L. 06/08/2007 17:29
Da läuft mir doch das Wasser nicht nur den Rücken runter sondern auch im Mund zusammen ...Liebe Grüße, Hanne
Micha Busch 06/08/2007 16:05
Prima Idee sehr schön umgesetzt!Salut
Kerstin Stolzenburg 06/08/2007 16:03
@Bastian: genau so, Du weißt ja ...Grüße. Kerstin
J-La 06/08/2007 14:44
Klasse Aufnahme, Idee ist sehr gut, die Bildgestaltung ebenfalls.Gefällt mir sehr gut.
Gruß Jürgen