Blende acht, die Sonne lacht
Das Photo oben entstand im Leica Museum in Wetzlar
Werner ließ das soeben belichtete Blatt Photopapier in die Entwicklerschale gleiten, stellte die Stoppuhr auf drei Minuten und drehte nach etwa fünfzehn Sekunden das Blatt mit der Entwicklerzange um, so dass die Schichtseite nach oben zeigte. An der Schmalseite hob er in regelmäßigen Abständen die Schale leicht an, um die Entwicklerflüssigkeit in Bewegung zu halten und so dafür zu sorgen, dass mittels stets frischer Chemie das zunächst latente Bild auf der Schichtseite sichtbar gemacht wurde. Nach weiteren 30 Sekunden wurden erste Schwärzungen sichtbar. Auch nach unzähligen Vergrößerungen, die Werner schon in der Dunkelkammer angefertigt hatte, war es für ihn immer noch wunderbar, diesem Entwicklungsvorgang zu folgen, in dessen Verlauf das zunächst Unsichtbare langsam sichtbar wurde, zu erleben, wie eine verborgene Realität im roten Laborlicht schwimmend Gestalt annahm, wie sich erste Strukturen und dunkle Flächen erahnen ließen, langsam, geheimnisvoll anwachsend zu Figuren, zu Körpern: Vier Uniformierte. Noch kopflos. Wenig später schon ließen sich vage Gesichtszüge erkennen und Helme, die die Augen der Träger beschatteten. Drei Hände, verschiedenen Polizisten zuzuordnen, trugen in Hüfthöhe zwischen sich einen menschlichen Kopf an dessen langen Haaren. Der Kopf gehörte offenbar einem jungen Menschen, der über den Boden geschleift wurde und dessen Körper durch die Uniformmäntel weitgehend verdeckt war, auf den aber der vierte Uniformierte mit einem Schlagstock deutlich sichtbar eindrosch. Die Wellenbewegungen in der Schale ließen den Vorgang erschreckend lebendig erscheinen. Die Zeitschaltuhr klingelte. Werner nahm die Vergrößerung aus dem Entwicklerbad und beförderte sie, nachdem er zuvor die Entwicklerflüssigkeit hatte abtropfen lassen, in das Unterbrecherbad, um schließlich in einer dritten Schale mit Fixierbad dem Zeitzeugnis Dauer zu verleihen. Er schaltete das Licht an, um das Photo genauer betrachten zu können. Die Aufnahme war leicht unterbelichtet. Das vom Schnee reflektierte Licht am Tag der Aufnahme hatte die genaue Belichtungsmessung erschwert. In den dunklen Bildpartien fehlte etwas die Zeichnung. Da würde man mit einer weicheren Papiergradation mehr rauskitzeln können. Aber Werner war sofort klar, dass er das hier gar nicht wollte. Die Bildschwärzen und die harten Kontraste unterstrichen in seinen Augen die Wirkung dieser Photographie.
(Textauszug, Blende acht, die Sonne lacht)
Li.B. 18/08/2023 13:15
Sehr schönes Foto.mond.rose 22/07/2023 10:48
schon nach wenigen Kapiteln muss ich gestehen, es liesst sich äusserst spannend, Bilder als Untermalung finde ich immer sehr gut. Man kann förmlich sehr gut nachvollziehen, was vor sich ging.. Ich bin echt gespannt auf den Roman!LG kathrin
s. monreal 11/07/2023 13:49
Liest sich gut erzählt und macht Lust auf mehr...Lawoe 04/07/2023 14:07
ich habe es nie gelerntdie Gnade/ der Fluch der späten Geburt ???
wer weiß
lg frank
Dragomir Vukovic 02/07/2023 6:01
great 1 !!!Thomas Tilker 27/06/2023 10:41
Leider bin ich nie in den "Genuss" des eigenständigen Entwickelns gekommen...kann jedoch die Spannung nach Belichten des Photopapiers nachvollziehen...das Dunkelkammer - Stillleben kam mir doch gleich bekannt vor ;-))Herbert Rulf 25/06/2023 21:52
Ein wunderbare Ausflug ins Rotlicht der Dunkelkammer und eine so präzise und gefühlvolle Beschreibung die mich an viele Abende und Nächte in meiner Dunkelkammer erinnert. Diese Erwartungshaltung und Freude wenn das erste Schwarz bei der Papierentwicklung auftaucht habe ich heute nach 60 Jahren immer noch. Kein Vergleich mit Photoshop :-))LG, Herbert
mohane 25/06/2023 14:59
souvenir d'une chambre noire...Caroluspiel 25/06/2023 13:42
vorzügliche Lichtregie.ciao Philipp
Mario Fox 25/06/2023 10:55
sensbel erzählt und abgelichtetNorbert Borowy 25/06/2023 10:26
damals ....Guess whA 25/06/2023 9:37
Hallo und erstmal vielen Dank dass du uns an deinem feinen Photographie Liebhaber Buch teilnehmen lässt!Mein persönliches Highlight hier in der FC gerade!
Die Spannung haltend und voller Details führst du uns in die Leica Welt hinein... Manche werden sich mit erinnern jüngere Generationen viel entdecken, ein wunderbares Projekt Zeitzeugen des Zeitzeugen zu werden und das immer wieder aufs neue
Bitte mehr!
Grüße
Ulrich Hollwitz 25/06/2023 8:17
Tolles Bild, feiner Erzählstil. Oh ja, da werden Erinnerungen an die Matscherei im Labor wach. Als Pressefotograf hätte ich da auch einen ganzen Fundus voller Geschichten.Andreas Beier Fotografie 24/06/2023 20:35
klasse !