Gelassen bleiben: Dornfinger über dem Bett
Arachnophobie ist vielleicht die am weitesten verbreitete Angst des Menschen, sie scheint in archaische Zeiten zurückzureichen, und es bis heute nicht geklärt, ob sie in den Genen steckt oder anerzogen wird. Selbst Menschen, die sich beruflich oder in ihrer Freizeit mit Spinnen beschäftigen, können nicht von sich behaupten, ihrem Metier gänsehautfrei zu frönen. Schon der Vater der modernen Arachnologie, William S. Bristowe, konnte seine Scheu nie ganz überwinden, auch nicht mit dem ihm empfohlenen Mittel, eine lebende Spinne zu verschlucken.
Mit Hauswinkelspinnen, derer es in alten Häusern mit Kellern zu Hauf gibt und die der Klassiker des Spinnenekels sind, kann ich gut umgehen. Ich fange sie ein und lasse sie im Hausflur oder im Keller wieder frei – dort lauern oder jagen sie ungestört nach Insekten und anderen Gliederfüßern. Springspinnen und Plattbauchspinnen hingegen haben in meinem Arbeitszimmer grundsätzlich Bleiberecht, wir haben quasi stillschweigend einen Arbeitsvertrag mit Pauschalverpflegung geschlossen.
Meine Grenze der Toleranz endet aber dort, wo ein Dornfinger-Männchen (Cheiracanthium punctorium) über dem Bett an der Decke ein Gespinst anlegt. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, wie die Spinne überhaupt in das Zimmer gekommen ist, weil sie eigentlich an die Vegetation in Trockengebieten gebunden ist, ist dieses Gespinst eine Notunterkunft, die sie bei nächster Gelegenheit verlassen wird. Eine unbewußte, weil traumbedingte Bewegung im Schlaf, während das Männchen nach einem Ausweg aus seiner Misere sucht, könnte fatale, jedenfalls unangenehme Folgen haben.
Auch wenn all das, was dieses Jahr über Spinnen und Insekten durch die Medien ging und geht, sei es die Nosferatu-Spinne oder der Ölkäfer, durchweg falsch und geradezu infantiler Unfug ist – nein, das Dornfinger-Männchen möchte ich nicht über dem Bett haben. Und ich bin mir sicher, das Männchen möchte auch nicht hier sein.
Wir haben uns also schnell geeinigt: ich porträtiere den kleinen Kerl und trage ihn dann auf eine Wiese in der Hoffnung, er möge ein Weib finden und sein Glück machen.
Bartifoto 30/09/2023 10:53
Schöne Entdeckung und Geschichte dazuVG Günter
artspektral 29/09/2023 23:47
Richtig gehandelt. Sehr gutes Spinnenporträt! Noch nie gesehen. Gruß Hajo