Vielen Dank, lieber Eckhard, für Deine lieben Wünsche und den anregenden Gedankenanstoß zum Ausklang des Jahres!
Das Weihnachtsfest 2008 gehört nun auch schon wieder zu einer (sehr schönen) Erinnerung wie auch der übrige Teil des Jahres. Wir müssen froh und dankbar sein, wenn Erinnerungen zumindest einen überwiegend positiven Anteil haben. Diese, aber selbst weniger positiv erlebte Dinge, beeinflussen unsere Gegenwart, beeinflussen oder leiten gar unser Handeln bewusst oder unbewusst.
Wir erinnern uns meist bewusst an etwas oder an jemanden, wenn uns ein unmittelbarer Bezug oder Anstoß durch eine Situation gegeben ist. Aber es lohnt sich auch, nach dem riesigen Erinerungspotenzial des Eisbergs zu forschen, der sich unter der Wasserlinie befindet, wie Kerstin es andeutete.
Dem Erinnern Raum und Zeit geben. Das gelingt gut in der Stille mit sich selbst, an einem emotionalen Ort oder im Gespräch mit lieben Wegbegleitern. Aber wie in Deinem Vorspann beschrieben, ist es wichtig, die Gegenwart und auch die Zukunft in das erinnernde Denken einzuflechten und dieses nicht zum Hauptzweck des Lebens werden zu lassen.
So wünsche ich auch Dir, lieber Eckhard, eine positive Rückschau auf das vergangene Jahr, dass wir unsere Erfahrungen nützlich in das neue Jahr übernehmen können und dass wir die uns wert gewordenen Fotofreundschaften weiterhin pflegen können! Aber natürlich auch sonst Gesundheit und alles Gute!
Liebe Grüße Karl-Dieter
Als ich mir das Bild ganz kurz angeschaut habe, dachte ich an
;-)
Aber die Geschichte ist wohl komplexer.
Ich wünsche Dir Eckhard für das neue Jahr alles Gute.
Gott sei Dank, man spricht in dem Forum nicht nur über Fotografie.
Adrian
Lieber Eckhard, der von Nabokov gewählte Begriff "Eisberge des Paradieses" ist allein bereits als Wortkonstruktion sehr interessant und, was eine mögliche Interpretation im Zusammenhang mit dem Bild betrifft - selbst wenn man die entsprechende Textpassage in „Lolita“ kennt - keinesfalls eindeutig, da allein die Metapher, aber auch der Paradiesbegriff verschiedene Möglichkeiten umfasst. Die Überlegungen zum Bild werden deshalb nur Annäherungen sein, die sich letztlich auch nicht nur, wenn sie es überhaupt könnten, mit der Auffassung Nabokovs decken werden bzw. sollen.
Unter "Paradies" verstehen wir zunächst einmal das irdische Paradies als den in der Genesis beschriebenen Garten Eden. Eine andere Vorstellung ist die vom Reich Gottes im Zusammenhang mit der Apokalypse. Darüber hinaus existieren, vor allem auch in anderen Religionen, inhaltlich differenzierte Ideen von einer Stätte oder einem Zustand der Ruhe, des Glücks, des Friedens am Anfang und am Ende aller Zeiten. In diesem Kontext ist sicher auch das sogenannte "Goldene Zeitalter" anzusprechen, ein Begriff aus der griechischen Mythologie, der einerseits eine als Idealzustand betrachtete Phase der Menschheitsgeschichte beschreibt, in der alle Lebewesen sorglos und ohne Streitigkeiten miteinander existierten, andererseits, wie beispielsweise von Bloch herausgearbeitet, eher als Vision, als Utopie einer klassenlosen Gesellschaft zu verstehen ist. "Soll aber die wirkliche Essenz der Hoffnungsgehalte zureichend in Existenz einschlagen, Boden, Hand und Fuß gewinnend, dann heißt die Eintrittsstelle, mit Prosa und Symbolwert zugleich versehen, klassenlose Gesellschaft." (Das Prinzip Hoffnung, stw, Kap. 55, S. 1622). Daneben werden gelegentlich auch die Zwanziger Jahre des 20. Jh. als "Goldenes Zeitalter" bezeichnet. - Aus dem allgemeinen und alltäglichen Sprachgebrauch sind zahlreiche weitere Bezüge des Wortes Paradies bekannt. Die Sichtweise muss dabei auch nicht einheitlich sein. Am vergangenen Dienstag hörte ich beispielsweise in einer Radiosendung den sinngemäß anzuwendenden Satz: 'Das Paradies des Teufels ist die Hölle'.
Wie Du bereits zitiert hast, verwendete Nabokov bei der Schilderung der wunderbaren Erinnerungen in „Lolita“ den Begriff Paradies. Für ihn selbst war dieses Gefühl wohl, einmal losgelöst von den Romanen, untrennbar mit der Zeit seiner scheinbar ausgesprochen schönen Kindheit verbunden, die ihn mit den damit verbundenen inneren Bildern auch im Exil sein Leben lang trug. "Die Flucht aus der Heimat war für ihn eine Vertreibung aus dem Paradies seiner Kindheit und Jugend, und so trübe und tragisch es in seinen Büchern vielfach auch zugeht, in ihrem Hintergrund gibt es ein sonderbares, irritierendes Leuchten, nach dem man in der modernen Literatur sonst lange suchen muss. Es bedeutet: Ich war einmal im Paradies, und ich habe es im Kopf in diese zweifelhafte Welt mitgebracht." (Dieter E. Zimmer in Vertreibung aus dem Paradies, Interview, FOCUS Magazin, Nr. 16/1999)
"Schauplatz jener verlorenen glücklichen Kindheit, die als Folie in Nabokovs Werk bis zuletzt gegenwärtig blieb, war das vorrevolutionäre Petersburg und das Nabokov'sche Landgut Wyra." http://www.d-e-zimmer.de/HTML/VNnachruf1977.htm
Das „gelebte“ Paradies, all die wundervollen Augenblicke, das bzw. die man kennengelernt hat, im Herzen, in der Seele zu tragen und sie mit den Dingen der Gegenwart und der nahen Zukunft verknüpfen zu können, ist absolut voraussetzungsreich; das wird gewiss jeder für sich kennen und nutzen. „Close Your Eyes“ von James Taylor passt ganz wunderbar dazu; schön, wenn man auf manche Dinge vertrauen kann. Nicht zuletzt kann auch eine Fotografie eine solche Bedeutung haben. „Diepholz, 1980“: Die Gedanken, die Erinnerungen, die Zeit, die Du mit dem Bild verknüpfst, können wir natürlich nicht kennen, nicht einmal erahnen; wir sehen es vor allem im Kontext eigener Erinnerungen, auch mit aktuellem Bezug und natürlich im Hinblick auf das, was uns dauerhaft oder zeitweise umgibt, emotional und symbolisch.
Was nun die Eisberge betrifft, könnte man zunächst an die oft und in vielen Bereichen verwendete "Eisberg-Metapher" denken. Etwa 90 % eines solchen Gebildes befinden sich unter der Wasseroberfläche und nur 10 % ragen sichtbar darüber hinaus. Rein wissenschaftlich betrachtet, erklärt sich dieses Phänomen bekanntlich aus der Dichte des Eises.
In der Form eines solchen Eisberges könnte man sich vielleicht auch Erinnerungen vorstellen. Vieles von dem, was man einmal erlebt und erfahren, woran man geglaubt hat, dürfte in diesem großen Bereich des nach Außen hin Unsichtbaren aufbewahrt werden; man trägt es in sich, manches als leuchtenden, funkelnden "Schatz", manches als wärmendes Gefühl, manches vielleicht auch als traurige Mahnung oder als Moment, den man mit einem Schrecken verbindet. Manchmal erscheint etwas davon an der Oberfläche, vielleicht, weil man es bewusst aus der Tiefe holt, vielleicht auch, weil äußere Umstände, Situationen, kleinste Erscheinungen, entsprechende Bilder wachrufen, sie in neuer Form zum Leben erwecken. Aus diesem Reservoir kann man schöpfen, es trägt einen, gibt Sicherheit, ist zugleich aber auch ein Quell für eine Weiterentwicklung sowie eine Basis für die persönliche Einstellung zum Leben, zu sich selbst, zu anderen Menschen.
Eine sehr geläufige Anwendung findet sich in der Theorie des Bewusstseins nach Freud, nach der der sichtbare Teil des Eisberges in einer groben Beschreibung das
, also das Bewusstsein darstellt, das "Es" und das "Über-Ich" hingegen unter der Wasseroberfläche, im Unterbewusstsein verborgen sei. In diesem Zusammenhang sehr interessant erscheinen mir neueste Ergebnisse der Hirnforschung, die möglicherweise auch im Hinblick auf den Glauben und die Ethik weitreichende Auswirkungen haben könnten. "Nicht das ICH entscheidet, sondern mein Gehirn hat längst entschieden." http://www.dradio.de/download/95845/ In diesem Kontext ist der Begriff "Die Eisberge des Paradieses" ein äußerst interessanter Diskussionsansatz, den man an dieser Stelle leider gar nicht umfassend vertiefen kann.
Für Nabokov dürfte ein Bezug zum Eisbergmodell Freuds allerdings nie in Frage gekommen sein. Er lehnte Freuds Arbeiten rundheraus ab, so dass in den „Eisbergen des Paradieses“ wohl auch keine Verknüpfung mit diesem bewusstseinstheoretischen Ansatz zu vermuten ist. "... und ich möchte gleich sagen, dass ich die vulgäre, schäbige, durch und durch mittelalterliche Welt Freuds mit ihrer spinnerten Suche nach sexuellen Symbolen und ihren verbitterten kleinen Embryos, die von ihrem natürlichen Unterschlupf aus das Liebesleben ihrer Eltern bespitzeln, ganz und gar ablehne." Zitat aus "Erinnerung, sprich." http://www.lit06.de/archiv_rat/head/thema/thema_0606.html
Nun muss man die "Eisberge" auf einer Betrachtungsebene auch als "Eindringlinge" mit negativen Folgen sehen. In der Schifffahrt stellen Eisberge nach wie vor eine große Gefahr dar. Beispielsweise brachten sie mit Leichtigkeit das schwimmende "Paradies" namens Titanic zum Sinken. Dies symbolisch zu sehen und auf andere paradiesische Zustände zu übertragen, dürfte möglich und auf viele Bereiche anwendbar sein. Wenn die Spitzen der Eisberge in einem Gebiet auftauchen, wird mit tief liegenden Ursachen zu rechnen sein, die es aufzuspüren und wenn möglich zu umfahren gilt. Oder man wird der Gefahr entgegentreten müssen. Könnte hier Nabokovs Ansatz (im Roman) liegen?
"Ich entsinne mich gewisser Augenblicke, nennen wir sie Eisberge im Paradies, in denen ich, nachdem ich mich an ihr sattgeliebt hatte – nach phantastischen, wahnwitzigen Strapazen, die mich erschlafft und mit himmelblauen Streifen über dem Körper zurückließen –, sie mit einem stummen Stöhnen endlich doch noch menschlicher Zärtlichkeit in die Arme nahm (ihre Haut schimmernd im Neonlicht, das vom gepflasterten Motelhof durch die Jalousiespalten hereindrang, ihre rußschwarzen Wimpern verfilzt, die ernsten grauen Augen teilnahmsloser denn je – ganz und gar eine kleine Patientin, die nach schwerer Operation noch nicht ganz aus der Narkose erwacht ist) –, und die Zärtlichkeit vertiefte sich zu Scham und Verzweiflung, und ich lullte und wiegte meine leichte, einsame Lolita in meinen Marmorarmen ein, vergrub mein Gesicht schnurrend in ihr warmes Haar, streichelte sie blindlings, bat sie stumm um ihren Segen – und auf dem Gipfel dieser menschlichen, qualvollen, selbstlosen Zärtlichkeit (da meine Seele über ihrer Nacktheit hing und bereit war zu bereuen) schwoll plötzlich, höhnisch, entsetzlich die Begierde von neuem – und Lolita sagte mit zum Himmel erhobenen Augen seufzend 'Ogottogott', und im nächsten Augenblick sank alles, Zärtlichkeit und Bläue, in Trümmer"... http://www.d-e-zimmer.de/HTML/WederEinLiebesromanNochKeiner.htm
Kann man Eisberge in einem Paradies zum Schmelzen bringen?
Besonders im Vorschaubild werden die Formationen des Eises sehr deutlich; als Illusion erscheinen Tafeleisberge, steil aus dem Wasser aufragend, unnahbar in diesem Licht, in unfassbaren Dimensionen und scheinbar unüberwindlich für den Menschen. - Fast könnte man sich so sinnbildlich auch die Grenzen zum Paradies vorstellen, wie es in der Genesis erwähnt wird, wenn man es finden würde und suchen wollte. Es geht ein Zauber von diesen Eis-Gebilden aus. Man möchte, und die beiden ersten verlinkten Bilder fordern fast dazu auf, wie magisch angezogen und ungeachtet der Brandung auf diesen Ort zugehen, geleitet vom Licht, um zu sehen, was hinter ihm ist.
Betrachtet man einen Eisberg, der im Meer treibt, symbolisch und stellt sich die Frage nach seiner Entstehung, so könnte man doch sagen, das Meer hat ihn aus sich heraus erschaffen (wissenschaftlich gesehen natürlich nicht in jedem Fall! ;-)). Wie der Ozean selbst, besteht er aus Wasser, also aus demselben Material. In ähnlicher Weise könnte man sich die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes vorstellen. Indem das Meer den Eisberg aus sich selbst hervorbrachte, befindet es sich in ihm und rings um ihn her.
Wenn man die Entstehung des Menschen also vor diesem Hintergrund sieht, wäre auch das Handeln der Menschen in diesem Sinne notwendig, um eine Art Paradies auf Erden zu schaffen, jedenfalls in einer Form, die sich in Menschenwürde, Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung und Liebe ausdrückt.
Dann müssten auch die Menschen selbst nicht hin und wieder als Eisberge im Paradies gelten (ein Paradies, das auch der Planet, den wir bewohnen, ist, wenn wir genau hinschauen).
In dem Sinne, wie Du es interpretiert haben möchtest, ein wunderbares Weihnachtsbild, mit dem man den Blick auf wirklich relevante Dinge lenken kann - wie zum Beispiel Freundschaft und die damit verbundenen Erinnerungen. Dazu noch das Lied von Herrn Taylor im Meer der Eisberge, die ich hier mal als Erinnerungsfragmente deute.
Auch, wenn es nicht hier hin gehört: habe vor ein paar Tagen einen mittlerweile pensionierten Lehrer kennengelernt, der nach langjähriger Ehe seine Frau für eine 19jährige Schülerin verlassen hat - sie hatten zweieinhalb Jahre. Er erinnert sich gerne an diese Zeit!
In diesem Sinne noch schöne Weihnachten,
Gruß,
Stefan
Nun, lieber Eckhard, ich habe noch ein klein wenig Zeit, bevor der heilige Abend anbricht und die Familie zum Essen rufen wird, und soweit ist bereits alles gerichtet.
"Lolita" war sicherlich ein Skandalroman in der damaligen Zeit, allerdings ist das Sujet der Pädophilie auch heutzutage nicht gerade wirklich politisch korrekt.
Allerdings könnte man die Tatsache, dass ein älterer Mann ein junges Mädchen liebt, vielleicht ein wenig beiseite schieben, wenn man sich die Frage stellt, was in dem Werk eventuell auch thematisiert werden sollte.
Und wenn Pamuk vom "Goldenen Zeitalter" spricht, vom Gedächtnis, welches uns die Vergangenheit wieder zurück bringt, ist das eine doch etwas einseitige Sicht der Dinge.
Natürlich wurden wir aufgrund der Vergangenheit zu dem, was wir heute, im Hier und Jetzt, sind und es wäre verkehrt, die Vergangenheit zu leugnen.
"Lolita" ist eventuell nicht so pädophil, wie man oberflächlich betrachtet denken könnte, denn Dolores kann man sinnbildlich beziehen auf das, was wir im Vergangenen immer noch suchen.
Jugend, eine in der Jugend nur ganz verschwommen Ahnung der eigenen Sterblichkeit, das Leben, welches wir noch vor uns haben.
Alles ganz erstrebenswerte Dinge, so scheint es.
Aber, und ich denke, in diesem Punkt irrt Pamuk ein wenig, sollte uns die Vergangenheit nicht beherrschen und uns dem Hier und Jetzt entrücken, denn es gitb auch, bis zu unserem letzten Atemzug, auch immer eine Zukunft. Und auch diese sollten und dürfen wir doch nicht vergessen.
Wer den Sinn seiner Existenz nur in der Vergangenheit sucht, wird an den Eisbergen zerschellen.
Natürlich sind die Eisberge auf Deinem Bild Wolkenformationen. Und diese sind schleierhaft, verschleiern, verbergen.
Und so, wie die Vergangenheit sich von uns entfernt, ist auch die Zukunft nicht immer gewiss und bleibt verschleiert.
Möglicherweise bleibt uns nur das Heute, mit dem Licht der Hoffnung, welches uns vielleicht den richtigen Weg weist.
Ein ( weitestgehend ) ähnliches Motiv, wie bei "Lolita" findet sich ja auch im "Tod in Venedig" von Thomas Mann wieder. Auch hier verstrickt sich der Protagonist in einen Jugendwahn, von dem er nicht lassen kann, und der letztendlich zum Tod führt ( auch wenn in letzter Konsequenz daran natürlich die Cholera Schuld ist). Immerhin folgt mit dem letzten Atemzug dem Blick aufs Meer, was doch auch wieder etwas Tröstliches hat - einen Blick in die (mögliche) Zukunft, wie es auch die letzte Strophe des Liedes von Taylor nahelegt.
Und schliesslich ist auch der christliche Glaube doch auf die Zukunft gerichtet, auf ein Leben nach unserer eigenen Vergangenheit, auf eine Zeit, die uns niemand mehr nehmen kann.
Karl-Dieter Frost 29/12/2008 16:45
Vielen Dank, lieber Eckhard, für Deine lieben Wünsche und den anregenden Gedankenanstoß zum Ausklang des Jahres!Das Weihnachtsfest 2008 gehört nun auch schon wieder zu einer (sehr schönen) Erinnerung wie auch der übrige Teil des Jahres. Wir müssen froh und dankbar sein, wenn Erinnerungen zumindest einen überwiegend positiven Anteil haben. Diese, aber selbst weniger positiv erlebte Dinge, beeinflussen unsere Gegenwart, beeinflussen oder leiten gar unser Handeln bewusst oder unbewusst.
Wir erinnern uns meist bewusst an etwas oder an jemanden, wenn uns ein unmittelbarer Bezug oder Anstoß durch eine Situation gegeben ist. Aber es lohnt sich auch, nach dem riesigen Erinerungspotenzial des Eisbergs zu forschen, der sich unter der Wasserlinie befindet, wie Kerstin es andeutete.
Dem Erinnern Raum und Zeit geben. Das gelingt gut in der Stille mit sich selbst, an einem emotionalen Ort oder im Gespräch mit lieben Wegbegleitern. Aber wie in Deinem Vorspann beschrieben, ist es wichtig, die Gegenwart und auch die Zukunft in das erinnernde Denken einzuflechten und dieses nicht zum Hauptzweck des Lebens werden zu lassen.
So wünsche ich auch Dir, lieber Eckhard, eine positive Rückschau auf das vergangene Jahr, dass wir unsere Erfahrungen nützlich in das neue Jahr übernehmen können und dass wir die uns wert gewordenen Fotofreundschaften weiterhin pflegen können! Aber natürlich auch sonst Gesundheit und alles Gute!
Liebe Grüße Karl-Dieter
Adrian K 28/12/2008 13:12
Als ich mir das Bild ganz kurz angeschaut habe, dachte ich an;-)
Aber die Geschichte ist wohl komplexer.
Ich wünsche Dir Eckhard für das neue Jahr alles Gute.
Gott sei Dank, man spricht in dem Forum nicht nur über Fotografie.
Adrian
Kerstin Stolzenburg 26/12/2008 15:13
Lieber Eckhard, der von Nabokov gewählte Begriff "Eisberge des Paradieses" ist allein bereits als Wortkonstruktion sehr interessant und, was eine mögliche Interpretation im Zusammenhang mit dem Bild betrifft - selbst wenn man die entsprechende Textpassage in „Lolita“ kennt - keinesfalls eindeutig, da allein die Metapher, aber auch der Paradiesbegriff verschiedene Möglichkeiten umfasst. Die Überlegungen zum Bild werden deshalb nur Annäherungen sein, die sich letztlich auch nicht nur, wenn sie es überhaupt könnten, mit der Auffassung Nabokovs decken werden bzw. sollen.Unter "Paradies" verstehen wir zunächst einmal das irdische Paradies als den in der Genesis beschriebenen Garten Eden. Eine andere Vorstellung ist die vom Reich Gottes im Zusammenhang mit der Apokalypse. Darüber hinaus existieren, vor allem auch in anderen Religionen, inhaltlich differenzierte Ideen von einer Stätte oder einem Zustand der Ruhe, des Glücks, des Friedens am Anfang und am Ende aller Zeiten. In diesem Kontext ist sicher auch das sogenannte "Goldene Zeitalter" anzusprechen, ein Begriff aus der griechischen Mythologie, der einerseits eine als Idealzustand betrachtete Phase der Menschheitsgeschichte beschreibt, in der alle Lebewesen sorglos und ohne Streitigkeiten miteinander existierten, andererseits, wie beispielsweise von Bloch herausgearbeitet, eher als Vision, als Utopie einer klassenlosen Gesellschaft zu verstehen ist. "Soll aber die wirkliche Essenz der Hoffnungsgehalte zureichend in Existenz einschlagen, Boden, Hand und Fuß gewinnend, dann heißt die Eintrittsstelle, mit Prosa und Symbolwert zugleich versehen, klassenlose Gesellschaft." (Das Prinzip Hoffnung, stw, Kap. 55, S. 1622). Daneben werden gelegentlich auch die Zwanziger Jahre des 20. Jh. als "Goldenes Zeitalter" bezeichnet. - Aus dem allgemeinen und alltäglichen Sprachgebrauch sind zahlreiche weitere Bezüge des Wortes Paradies bekannt. Die Sichtweise muss dabei auch nicht einheitlich sein. Am vergangenen Dienstag hörte ich beispielsweise in einer Radiosendung den sinngemäß anzuwendenden Satz: 'Das Paradies des Teufels ist die Hölle'.
Wie Du bereits zitiert hast, verwendete Nabokov bei der Schilderung der wunderbaren Erinnerungen in „Lolita“ den Begriff Paradies. Für ihn selbst war dieses Gefühl wohl, einmal losgelöst von den Romanen, untrennbar mit der Zeit seiner scheinbar ausgesprochen schönen Kindheit verbunden, die ihn mit den damit verbundenen inneren Bildern auch im Exil sein Leben lang trug. "Die Flucht aus der Heimat war für ihn eine Vertreibung aus dem Paradies seiner Kindheit und Jugend, und so trübe und tragisch es in seinen Büchern vielfach auch zugeht, in ihrem Hintergrund gibt es ein sonderbares, irritierendes Leuchten, nach dem man in der modernen Literatur sonst lange suchen muss. Es bedeutet: Ich war einmal im Paradies, und ich habe es im Kopf in diese zweifelhafte Welt mitgebracht." (Dieter E. Zimmer in Vertreibung aus dem Paradies, Interview, FOCUS Magazin, Nr. 16/1999)
"Schauplatz jener verlorenen glücklichen Kindheit, die als Folie in Nabokovs Werk bis zuletzt gegenwärtig blieb, war das vorrevolutionäre Petersburg und das Nabokov'sche Landgut Wyra." http://www.d-e-zimmer.de/HTML/VNnachruf1977.htm
Das „gelebte“ Paradies, all die wundervollen Augenblicke, das bzw. die man kennengelernt hat, im Herzen, in der Seele zu tragen und sie mit den Dingen der Gegenwart und der nahen Zukunft verknüpfen zu können, ist absolut voraussetzungsreich; das wird gewiss jeder für sich kennen und nutzen. „Close Your Eyes“ von James Taylor passt ganz wunderbar dazu; schön, wenn man auf manche Dinge vertrauen kann. Nicht zuletzt kann auch eine Fotografie eine solche Bedeutung haben. „Diepholz, 1980“: Die Gedanken, die Erinnerungen, die Zeit, die Du mit dem Bild verknüpfst, können wir natürlich nicht kennen, nicht einmal erahnen; wir sehen es vor allem im Kontext eigener Erinnerungen, auch mit aktuellem Bezug und natürlich im Hinblick auf das, was uns dauerhaft oder zeitweise umgibt, emotional und symbolisch.
Was nun die Eisberge betrifft, könnte man zunächst an die oft und in vielen Bereichen verwendete "Eisberg-Metapher" denken. Etwa 90 % eines solchen Gebildes befinden sich unter der Wasseroberfläche und nur 10 % ragen sichtbar darüber hinaus. Rein wissenschaftlich betrachtet, erklärt sich dieses Phänomen bekanntlich aus der Dichte des Eises.
In der Form eines solchen Eisberges könnte man sich vielleicht auch Erinnerungen vorstellen. Vieles von dem, was man einmal erlebt und erfahren, woran man geglaubt hat, dürfte in diesem großen Bereich des nach Außen hin Unsichtbaren aufbewahrt werden; man trägt es in sich, manches als leuchtenden, funkelnden "Schatz", manches als wärmendes Gefühl, manches vielleicht auch als traurige Mahnung oder als Moment, den man mit einem Schrecken verbindet. Manchmal erscheint etwas davon an der Oberfläche, vielleicht, weil man es bewusst aus der Tiefe holt, vielleicht auch, weil äußere Umstände, Situationen, kleinste Erscheinungen, entsprechende Bilder wachrufen, sie in neuer Form zum Leben erwecken. Aus diesem Reservoir kann man schöpfen, es trägt einen, gibt Sicherheit, ist zugleich aber auch ein Quell für eine Weiterentwicklung sowie eine Basis für die persönliche Einstellung zum Leben, zu sich selbst, zu anderen Menschen.
Eine sehr geläufige Anwendung findet sich in der Theorie des Bewusstseins nach Freud, nach der der sichtbare Teil des Eisberges in einer groben Beschreibung das , also das Bewusstsein darstellt, das "Es" und das "Über-Ich" hingegen unter der Wasseroberfläche, im Unterbewusstsein verborgen sei. In diesem Zusammenhang sehr interessant erscheinen mir neueste Ergebnisse der Hirnforschung, die möglicherweise auch im Hinblick auf den Glauben und die Ethik weitreichende Auswirkungen haben könnten. "Nicht das ICH entscheidet, sondern mein Gehirn hat längst entschieden." http://www.dradio.de/download/95845/ In diesem Kontext ist der Begriff "Die Eisberge des Paradieses" ein äußerst interessanter Diskussionsansatz, den man an dieser Stelle leider gar nicht umfassend vertiefen kann.
Für Nabokov dürfte ein Bezug zum Eisbergmodell Freuds allerdings nie in Frage gekommen sein. Er lehnte Freuds Arbeiten rundheraus ab, so dass in den „Eisbergen des Paradieses“ wohl auch keine Verknüpfung mit diesem bewusstseinstheoretischen Ansatz zu vermuten ist. "... und ich möchte gleich sagen, dass ich die vulgäre, schäbige, durch und durch mittelalterliche Welt Freuds mit ihrer spinnerten Suche nach sexuellen Symbolen und ihren verbitterten kleinen Embryos, die von ihrem natürlichen Unterschlupf aus das Liebesleben ihrer Eltern bespitzeln, ganz und gar ablehne." Zitat aus "Erinnerung, sprich." http://www.lit06.de/archiv_rat/head/thema/thema_0606.html
Nun muss man die "Eisberge" auf einer Betrachtungsebene auch als "Eindringlinge" mit negativen Folgen sehen. In der Schifffahrt stellen Eisberge nach wie vor eine große Gefahr dar. Beispielsweise brachten sie mit Leichtigkeit das schwimmende "Paradies" namens Titanic zum Sinken. Dies symbolisch zu sehen und auf andere paradiesische Zustände zu übertragen, dürfte möglich und auf viele Bereiche anwendbar sein. Wenn die Spitzen der Eisberge in einem Gebiet auftauchen, wird mit tief liegenden Ursachen zu rechnen sein, die es aufzuspüren und wenn möglich zu umfahren gilt. Oder man wird der Gefahr entgegentreten müssen. Könnte hier Nabokovs Ansatz (im Roman) liegen?
"Ich entsinne mich gewisser Augenblicke, nennen wir sie Eisberge im Paradies, in denen ich, nachdem ich mich an ihr sattgeliebt hatte – nach phantastischen, wahnwitzigen Strapazen, die mich erschlafft und mit himmelblauen Streifen über dem Körper zurückließen –, sie mit einem stummen Stöhnen endlich doch noch menschlicher Zärtlichkeit in die Arme nahm (ihre Haut schimmernd im Neonlicht, das vom gepflasterten Motelhof durch die Jalousiespalten hereindrang, ihre rußschwarzen Wimpern verfilzt, die ernsten grauen Augen teilnahmsloser denn je – ganz und gar eine kleine Patientin, die nach schwerer Operation noch nicht ganz aus der Narkose erwacht ist) –, und die Zärtlichkeit vertiefte sich zu Scham und Verzweiflung, und ich lullte und wiegte meine leichte, einsame Lolita in meinen Marmorarmen ein, vergrub mein Gesicht schnurrend in ihr warmes Haar, streichelte sie blindlings, bat sie stumm um ihren Segen – und auf dem Gipfel dieser menschlichen, qualvollen, selbstlosen Zärtlichkeit (da meine Seele über ihrer Nacktheit hing und bereit war zu bereuen) schwoll plötzlich, höhnisch, entsetzlich die Begierde von neuem – und Lolita sagte mit zum Himmel erhobenen Augen seufzend 'Ogottogott', und im nächsten Augenblick sank alles, Zärtlichkeit und Bläue, in Trümmer"... http://www.d-e-zimmer.de/HTML/WederEinLiebesromanNochKeiner.htm
Kann man Eisberge in einem Paradies zum Schmelzen bringen?
Besonders im Vorschaubild werden die Formationen des Eises sehr deutlich; als Illusion erscheinen Tafeleisberge, steil aus dem Wasser aufragend, unnahbar in diesem Licht, in unfassbaren Dimensionen und scheinbar unüberwindlich für den Menschen. - Fast könnte man sich so sinnbildlich auch die Grenzen zum Paradies vorstellen, wie es in der Genesis erwähnt wird, wenn man es finden würde und suchen wollte. Es geht ein Zauber von diesen Eis-Gebilden aus. Man möchte, und die beiden ersten verlinkten Bilder fordern fast dazu auf, wie magisch angezogen und ungeachtet der Brandung auf diesen Ort zugehen, geleitet vom Licht, um zu sehen, was hinter ihm ist.
Betrachtet man einen Eisberg, der im Meer treibt, symbolisch und stellt sich die Frage nach seiner Entstehung, so könnte man doch sagen, das Meer hat ihn aus sich heraus erschaffen (wissenschaftlich gesehen natürlich nicht in jedem Fall! ;-)). Wie der Ozean selbst, besteht er aus Wasser, also aus demselben Material. In ähnlicher Weise könnte man sich die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes vorstellen. Indem das Meer den Eisberg aus sich selbst hervorbrachte, befindet es sich in ihm und rings um ihn her.
Wenn man die Entstehung des Menschen also vor diesem Hintergrund sieht, wäre auch das Handeln der Menschen in diesem Sinne notwendig, um eine Art Paradies auf Erden zu schaffen, jedenfalls in einer Form, die sich in Menschenwürde, Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung und Liebe ausdrückt.
Dann müssten auch die Menschen selbst nicht hin und wieder als Eisberge im Paradies gelten (ein Paradies, das auch der Planet, den wir bewohnen, ist, wenn wir genau hinschauen).
Kerstin
Stefan Adam 25/12/2008 11:22
In dem Sinne, wie Du es interpretiert haben möchtest, ein wunderbares Weihnachtsbild, mit dem man den Blick auf wirklich relevante Dinge lenken kann - wie zum Beispiel Freundschaft und die damit verbundenen Erinnerungen. Dazu noch das Lied von Herrn Taylor im Meer der Eisberge, die ich hier mal als Erinnerungsfragmente deute.Auch, wenn es nicht hier hin gehört: habe vor ein paar Tagen einen mittlerweile pensionierten Lehrer kennengelernt, der nach langjähriger Ehe seine Frau für eine 19jährige Schülerin verlassen hat - sie hatten zweieinhalb Jahre. Er erinnert sich gerne an diese Zeit!
In diesem Sinne noch schöne Weihnachten,
Gruß,
Stefan
Carsten Mundt 24/12/2008 16:09
Nun, lieber Eckhard, ich habe noch ein klein wenig Zeit, bevor der heilige Abend anbricht und die Familie zum Essen rufen wird, und soweit ist bereits alles gerichtet."Lolita" war sicherlich ein Skandalroman in der damaligen Zeit, allerdings ist das Sujet der Pädophilie auch heutzutage nicht gerade wirklich politisch korrekt.
Allerdings könnte man die Tatsache, dass ein älterer Mann ein junges Mädchen liebt, vielleicht ein wenig beiseite schieben, wenn man sich die Frage stellt, was in dem Werk eventuell auch thematisiert werden sollte.
Und wenn Pamuk vom "Goldenen Zeitalter" spricht, vom Gedächtnis, welches uns die Vergangenheit wieder zurück bringt, ist das eine doch etwas einseitige Sicht der Dinge.
Natürlich wurden wir aufgrund der Vergangenheit zu dem, was wir heute, im Hier und Jetzt, sind und es wäre verkehrt, die Vergangenheit zu leugnen.
"Lolita" ist eventuell nicht so pädophil, wie man oberflächlich betrachtet denken könnte, denn Dolores kann man sinnbildlich beziehen auf das, was wir im Vergangenen immer noch suchen.
Jugend, eine in der Jugend nur ganz verschwommen Ahnung der eigenen Sterblichkeit, das Leben, welches wir noch vor uns haben.
Alles ganz erstrebenswerte Dinge, so scheint es.
Aber, und ich denke, in diesem Punkt irrt Pamuk ein wenig, sollte uns die Vergangenheit nicht beherrschen und uns dem Hier und Jetzt entrücken, denn es gitb auch, bis zu unserem letzten Atemzug, auch immer eine Zukunft. Und auch diese sollten und dürfen wir doch nicht vergessen.
Wer den Sinn seiner Existenz nur in der Vergangenheit sucht, wird an den Eisbergen zerschellen.
Natürlich sind die Eisberge auf Deinem Bild Wolkenformationen. Und diese sind schleierhaft, verschleiern, verbergen.
Und so, wie die Vergangenheit sich von uns entfernt, ist auch die Zukunft nicht immer gewiss und bleibt verschleiert.
Möglicherweise bleibt uns nur das Heute, mit dem Licht der Hoffnung, welches uns vielleicht den richtigen Weg weist.
Ein ( weitestgehend ) ähnliches Motiv, wie bei "Lolita" findet sich ja auch im "Tod in Venedig" von Thomas Mann wieder. Auch hier verstrickt sich der Protagonist in einen Jugendwahn, von dem er nicht lassen kann, und der letztendlich zum Tod führt ( auch wenn in letzter Konsequenz daran natürlich die Cholera Schuld ist). Immerhin folgt mit dem letzten Atemzug dem Blick aufs Meer, was doch auch wieder etwas Tröstliches hat - einen Blick in die (mögliche) Zukunft, wie es auch die letzte Strophe des Liedes von Taylor nahelegt.
Und schliesslich ist auch der christliche Glaube doch auf die Zukunft gerichtet, auf ein Leben nach unserer eigenen Vergangenheit, auf eine Zeit, die uns niemand mehr nehmen kann.
In diesem Sinne, ein besinnliches Fest.
lg Carsten