... and I'm on heroin ...
Es ist ein Freitagabend. Wir sind auf dem Weg ein paar Kleinigkeiten einzukaufen, als wir ein bekanntes Gesicht auf dem Parkplatz eines Geschäftes sehen.
Ob er mich noch erkennt? Ich zücke ein paar Dollar und gehe zu ihm hinüber. Sein Gesicht hellt sich auf. Natürlich erkennt er mich .... ich bin der Deutsche, der Bilder von ihm gemacht hat. Er scheint sich wirklich zu freuen mich wieder zu sehen.
Es folgt eine Eröffnung, die mir für einen Moment Sprachlosigkeit beschert:
„Weißt Du, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben, wußte ich nicht was ich von Dir halten sollte. Du mußt wissen: Ich bin auf Heroin und hatte Angst, Du wärst von Polizei oder Drogenfahndung. Deshalb war ich zurückhaltend, als wir uns gesehen haben, erzählte Dir nicht alles ... Wenn Du willst können wir uns treffen und ich erzähle Dir ein wenig mehr ...“ Natürlich will ich ....
Er schreibt mir eine Adresse auf, unter der er zu finden sei und lädt mich ein, ihn zu besuchen.
Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg. Die Adresse liegt Downton El Paso. Es ist wie im Film: Die Straße ist leer, kaum ein Geräusch zu hören, keine Menschenseele zu sehen. Irgendwie erwarte ich, daß jeden Augenblick einer dieser vertrockneten Büsche vom Wind über die Straße getrieben wird ... Mir ist nicht ganz wohl in meiner Haut: Was wird mich in der „Drogenhöhle“ erwarten??? Es wird ganz schön übel sein, ich bin mir sicher! Schließlich bin ich mit Christiane F. aufgewachsen ....
Ich klopfe und nach einer Weile macht eine alte Frau die Tür auf. Sie sagt, sie kenne Deryll nicht, aber ich merke, daß sie lügt. Es dauert eine Weile, bis ich sie überzeugt habe, daß ich ihm nichts Böses will und nicht von der Polizei bin ... (Dabei sehe ich doch angeblich aus wie ein „Heiliger“ – Gruß nach Spanien!)
Nach einer Weile und tiefem Blick in meine Augen führt sie mich hinter das Haus, wo sich ein kleiner Anbau befindet, deutet auf die Eingangstür und verschwindet wieder in ihren eigenen vier Wänden.
Der Anbau hat eine eigene Haustür und ich sehe zwei Fenster, von denen eins mit Pappe verklebt ist und damit den Raum dahinter gegen neugierige Blicke von draußen schützt. Ich atme tief durch ... klopfe an ...
„Wer ist da???“ ... Ich gebe mich zu erkennen .... Es dauert einen ewig langen Sekundenbruchteil, bis ein Türschloß entriegelt wird. Dann noch eins ... Die Tür öffnet sich und Deryll zieht mich schnell in den Raum. Hinter mir werden zwei Schlösser sorgfältig abgeschlossen ...
Mein erster Blick gilt dem Mexikaner, der mitten im Raum auf einem Stuhl sitzt und in der Maxim liest. Er nimmt erst Kenntnis von mir, als Deryll ihn anspricht und mich vorstellt. Ein freundliches Nicken, dann zurück in die Zeitung. Ich werde in einen Nebenraum gezogen. Ein Mann mittleren Alters liegt auf einer halbgefüllten Luftmatratze, die den einzigen Einrichtungsgegenstand des Raums darstellt. Er wird mir als Mike vorgestellt und nach einem kurzen „Hi!“ widmet er sich wieder der Zeitung, in der er gelesen hatte.
Zurück im ersten Raum habe ich Zeit mich umzusehen. Ich merke, wie wenig dieser Ort meiner Vorstellung (meinen Vorurteilen???) entspricht. Nichts von Dreck und Elend, keine halbtoten Junks, die sich in ihren eigenen Fäkalien winden. Statt dessen eine absolut einfach eingerichtete Wohnung mit spärlicher Möblierung, aber von Grund auf sauber. Der erste Raum ist wohl so etwas wie eine Küche. Herd, Spüle, ein Kühlschrank, ein paar Stühle und ein kleiner Tisch. Aber alles sauber ...
Deryll weist mir einen Stuhl ... Er setzt sich hinter den Tisch. Erst jetzt merke ich: Er ist nervös, hat Schwierigkeiten das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bekommen, als er den Geldschein, den ich auf den Tisch gelegt habe aufklaubt und in seinen Taschen verschwinden läßt.
„Ist kein guter Tag heute, wir haben einige Probleme ... große Probleme ... kein guter Tag heute!“
Stille.
Ich warte ab ... Er setzt wieder an: „Heute werde ich nicht mit Dir reden können ... wir haben große Probleme!“
Draußen regt sich etwas. Stimmen ... Auf Spanisch wird etwas gerufen. Der Mexikaner legt sein Magazin zur Seite und geht raus. Direkt hinter ihm schließt Deryll die Tür wieder ab, bleibt aber gleich dahinter stehen. Ich verhalte mich ruhig, gespannt was jetzt kommen mag. Deryll wird hinaus gerufen, verschwindet. Ich bin alleine ... bis auf Mike, der immer noch auf seiner Luftmatratze zu liegen scheint und keinen Laut von sich gibt.
Irgendwann geht die Tür wieder auf und Deryll betritt lächelnd den Raum. In seinem Windschatten der Mexikaner. Als wäre nichts gewesen, setzen sie sich hin. „Die Welt ist gut, die Welt ist gut!“ lächelt Deryll. Ob seine Probleme gelöst seien? Ja, sie sind aus der Welt geschafft und irgendwie bin ich mir sicher, daß sich in diesem Moment mein Geldschein nicht mehr in Derylls Tasche, sondern in der eines Dealers befindet
„Jetzt können wir reden, mein Freund ... jetzt können wir reden!“
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Fortsetzung folgt
Nächstes Bild der Serie:
Sabine Schönberger 10/11/2003 7:56
Viel Gefühl...Respekt.
Bine
S. Dietrich 30/10/2003 9:21
mir fehlen an dieser stelle die worte, ich bin begeistert. nicht nur die fotos zählen bei dir, sondern der mensch und das ist etwas wunderbares.stefan
Gabriela Ürlings 28/10/2003 14:30
...ja...beeindruckend und ich bin Dir dankbar, das Du diese Bilder und auch die Geschichte mit uns teilst...thanx for sharing...Gabriela :-)
Vera Boldt 14/10/2003 11:13
Riesenkompliment für das porträt, ehrlich, ausdrucksstark überzeugend.LG
Vera
Dirk Hofmann 14/10/2003 6:49
hallo meiko!du hast nicht ganz unrecht - wie von dir beschrieben sollten die dinge normalerweise laufen ... und sie laufen auch ähnlich, wenn ich zum ersten mal mit den menschen kontakt habe, oder wenn ich sie auf der straße wieder treffe ...
seit dem ich diese geschichten hier erzähle, werde ich regelmäßig (manchmal eher unsachlich) gefragt, ob ich denn auch etwas gegeben habe, oder ich "mich auf kosten dieser armen menschen hier in der fc in den vordergrund spielen möchte". in extremen fällen wird aus der frage eine behauptung gebastelt und mir vor die füße geworfen ...
also erwähne ich zu jedem bild brav, daß ich ein paar bucks gegeben habe ....
in diesem konkreten fall lag die sache allerdings ein wenig anders:
die obdachlosen "arbeiten" etwa 10-12 stunden pro tag auf der straße. während der mittagsstunden halten sie sich meist (unproduktiv) im schatten auf, da hier in der sonne häufig unerträglich hohe temperaturen herrschen, die das sammeln von geld nahezu unmöglich machen oder das risiko eines hitzschlages in sich bergen.
siehe auch:
deryll hat an diesem morgen von mir einen größeren schein im voraus bekommen, weil ich ihm von vorneherein den druck nehmen wollte. er konnte sich anhand der summe genau ausrechnen, daß ein teil seiner tageseinnahmen "gesichert" sind und so in einer eher entspannten atmosphäre mit mir reden.
jeder, der einen süchtigen (und damit meine ich nicht nur heroin, sondern sucht im allgemeinen) kennt weiß, daß der mensch primär die befriedigung seiner sucht im kopf hat und sich auf alles weitere nur bedingt konzentriert ....
die "spende" hat ihm merklich den druck genommen - zumal sie offenbar sofort "umgesetzt" wurde und ein haushaltsloch des vortages gestopft hat ...
sicher "kämpft" er nicht so ums "überleben" wie vorher von mir gezeigte menschen, aber dennoch hat auch er nicht viel zeit zu verschenken ... das ist mir schon bei unserem ersten kontakt klar geworden ....
aus diesem aspekt heraus halte ich persönlich mein verhalten nicht für respektlos ... er hat mich in sein leben eingeladen, ohne etwas dafür zu verlangen und ohne die aussicht auf geld zu haben ... dies zeigt mir recht deutlich, daß er mein interesse an seiner person durchaus zu schätzen weiß ...
der fortgang der geschichte wird zeigen, daß man diese einladung und die erlaubnis ihn beim fixen zu zeigen durchaus ideell und monetär bewerten kann ....
gruß
dirk
Mike Peuker 13/10/2003 11:51
sehr interessant, bin auf mehr gespannt!LG Mike
Jörg Böh 13/10/2003 8:44
Sehr gute gänsekostümerzeugende beklemmende Schreibe! Das Bild sieht man mit anderen Augen, wenngleich das Foto ein gutes Zeitdokument ist, aber eben eher ein journalistisches, also dokumentiert den Text....LG
Jörg
A.-B. Bernhard 12/10/2003 23:32
schön daß an Deinen Bildern immer eine Reportage hängt, die macht das Foto wertvoll und aussagestark.Der Biege 12/10/2003 22:49
Das Portrait finde ich schon stark und auch gefühlvoll, wie ich sowieso gut finde, Leute aus der "anderen" Welt zu so fotografieren. Die Geschichte noch dazu und schon ist ein sehr guter und spannender Erlebnisbericht (besser als der Begriff Reportage) fertig.Gruss Biege
Dirk Hofmann 12/10/2003 21:32
danke euch allen .... :-)insbersondere freut mich, daß offenbar aus der präsentation zu erkennen ist, daß mir der respekt den dargestellten personen gegenüber sehr wichtig ist - diese resonanz ist eine wichtige bestätigung für mich und sagt mir: "was du da machst ist ok!"
(ich bin allerdings auch in der glücklichen lage, buddys zu haben, die mir auch offen sagen, wann sie der meinung sind, daß dies nicht aus einem bild erkennbar ist .... ebenfalls ungemein wichtig solche leute zu haben!!!)
ich gebe gerne zu: ich hatte schon meine bedenken dort mehr oder weniger "ungeschützt" hinzufahren. habe zu hause die adresse hinterlassen und einem vertrauten hier in der fc noch morgens, bevor ich hingefahren bin ebenfalls die adresse gegeben ... hat mich in gewisser weise beruhigt ....
das t-shirt ist übrigens nicht von mir - fiel mir allerdings auch sofort auf. er habe es aus einem müllcontainer gezogen, sagte er als ich ihn danach fragte ....
Steffen Schöll 12/10/2003 21:19
Hi Dirk,ich finde dein Bilder immer klasse. Ich finde es auch gut, dass du keine Berührungsängste hast, auf Leute zugehst. Aber das ist ja schon krass hier, ich glaube ich hätte mordsmässig Angst gehabt sowas durchzuziehen, vor allem da man ja aus den Medien doch stark beeinflusst ist wie sich Drogenabhängige verhalten (können). Und das alles noch in Downtown El Paso.
Aber hättest dues nicht gemacht, gäbe es keine interessante Geschichte dazu, und das ist es in meinen Augen allemal wert :).
Grüssle,
Steffen.
Marie Meyer 12/10/2003 19:55
jo..das hast du raus, dirk!Nicht nur, daß das foto leben pur widerspiegelt, du kannst es auch noch in worte verpacken..das leben!. Worte, die einen in den bann ziehen, weil man wissen will, wie es weitergeht. Nicht jeder beherrscht das. Gefühle..die du nicht versteckst..nicht die des anderen, nicht deine eigenen. Eigenwillig, stil-und würdevoll schaust du den menschen auf die finger, in ihre seele. Du erzählst geschichten, die raum lassen für zwischenmenschliches und menschliches. Die menschen schenken dir vertrauen, weil sie wissen oder ahnen, daß du es nicht mißbrauchst. Du bist eben kein rücksichtsloser betrachter.Du tolerierst, nein ..du akzeptierst die individualität und besitzt die fähigkeit , darüber zu berichten. Menschen sind für dich keine OBJEKTE, vor denen du sitzt wie der sabbernde wissenschaftler vorm terrarium (wie hier so mancher andere). Deine fotos entstehen nicht aus profilierungssucht, neurotischer selbstdarstellung oder misanthropischem denken(wie hier bei so manchem anderen), sondern aus der ehrlichen wahrnehmung und dem aufrichtigem interesse an deinen mitmenschen. Hee.....ich gratuliere dir..:-))
Grüße von marie
Katrin Adam 12/10/2003 17:03
Bewegende Geschichte, ehrliches Bild. Beeindruckend gut.Gruß
Katrin
Thomas Meyer 12/10/2003 16:59
P.S. Ist das T-Shirt auch von Dir?Thomas Meyer 12/10/2003 16:59
Die Geschichte ist bewegend. Das Foto selbst ist diesmal nicht so mein Fall. Bin aber gespannt, was noch kommt.