Gedenken an die Shoah 5/4 - Auschwitz
Am Eingang des Stammlagers
Der Brief, der nicht abgesandt wurde
Mama, ich schreibe Dir
Jeden Monat den offiziellen Brief.
Fast immer das gleiche, von hier,
Der Text gut bekannt, banal.
Daß ich lebe, daß ich gesund
Und für die Pakete danke.
Was denkst Du, wenn Du diese Worte liest?
Wie verstehst Du sie, was fühlst Du?
Ob Du weißt, wie groß diese Lüge?
Du allein weißt es, Gott,
Wie sie aussieht, die Wahrheit, die nackte,
Irgendwann antworte ich Dir, vielleicht...
Vorbei sind überschwang und Entzücken,
Der Teufel zerstörte die Romantik,
Weißt Du wohin meine Wünsche gehen?
Nach reinem Bettzeug sehne ich mich.
O wie sehr möchte man
Immer heißes Wasser haben...
Mama, ob Du weißt - mein Leib
Ist ein einziges großes Geschwür.
Hier quälen mich Läuse und Flöhe,
Ach, ich heule vor Verzweiflung,
Und dort, in Freiheit, weiß man,
Was das Wort "Durchfall" bedeutet?
Man kann wandern im grünen Wald
Und singen, hat man dazu Lust.
Mama, Du weißt nicht
Von der Sehnsucht, die plötzlich überwältigt.
Ich tobe wie wahnsinnig
In Qual und Hilflosigkeit,
Ich strecke meine Arme in die Leere,
Zum Leben...ach, zur Freiheit...
Auf den Stallpritschen
Stirbt ein Mensch, neben Dir,
Seine Augen sind verwirrt und er schreit,
Doch der Tod wählt seine Opfer aus...
Sie schreit, daß sie noch leben wolle,
Daß sie zu den Kindern müsse, nach Hause;
Fieber und Schauder verzehren sie,
Der Tod naht im Geheimen...
Vergeblich wartet Ihr, Kinder,
In ungeheurer Trauer und Sehnsucht,
Wie gut, daß Ihr nicht wißt,
Daß ihre Leiche im Kot lag.
Neben dem Block mit anderen Leichen,
Oh...sie lag dort nicht einsam
Viele Stunden lang,
Eure Mama, die Liebe.
Gleich daneben... nicht weit
Stirbt noch eine;
Eine Träne steht im Auge
Und kraftlos ist sie schon, die Arme.
Ein Mädchen, zwanzigjährig,
Und irgendwo, jenseits der Drähte,
Sehnt sich einer, gedenkt
Ihrer mit bitteren Tränen.
Dort kränkt sich ihre Mama,
Wartet seit vielen Monaten.
Sie kehrt niemals zurück,
So wie andere - so viele Tausende.
Vor mir sehe ich nur immerzu
Dutzende Leiber voller Blattern;
Mama, wie sehr mir ekelt,
Hier ist jeder aussätzig.
In langen Nächten ohne Schlaf
Spreche ich mit Dir, Mama.
Der Schein der Lampe oben flackert
Und immer träumt mir das Gleiche:
Du neigst Dich über mich,
Wie ehemals über die Wiege.
Deine Hand ist so angenehm,
So lange bist Du nahe.
Mit aller Kraft sehne ich mich, Dich zu halten,
O Mama, meine Liebe!
Obgleich ich weiß - das war nur geträumt,
Hinter mir wieder eine schlaflose Nacht.
Von: Krystyna Zywulska, eigentlich Sonia Landau (1918 - 1992)
Tom Paul 10/11/2002 23:10
NIE WIEDER !!!t.