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Horst Waschinski


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Kalte Fackel

Der Mond hängt tief am Nachthimmel und taucht die schneebedeckte Straße in ein kaltes, blasses Licht. Sein silberner Schein fällt auf die Überreste eines verlorenen Ortes – eine einst blühende Fabrik, die nun als ausgehöhltes Relikt einer vergangenen Ära zurückbleibt. Die zerbrochenen Fenster des alten Gebäudes starren leer in die Nacht, ihre zerschlagenen Scheiben reflektieren nur Stille. Dahinter erhebt sich ein verrosteter, runder Turm aus Eisen, stumpf und trist, wie eine längst erloschene Fackel.

Das Gelände um die Fabrik ist karg und zerfurcht, eine verödete Fläche, auf der einst Maschinen dröhnten und Menschen arbeiteten. Jetzt wächst hier nur noch hartnäckiges Gestrüpp und kleine Bäume, die langsam das zurückerobern, was die Zeit vergessen hat. Es ist ein stilles Abbild des Verfalls, ein Echo der einstigen Betriebsamkeit, die nun erloschen ist.

Einst war diese Fabrik ein Symbol des Wohlstands. Ihre Schornsteine spuckten Rauch in den Himmel, angetrieben von einem nie endenden Strom der Nachfrage. Doch die Zeiten änderten sich. Ideale wandelten sich, Märkte brachen zusammen, und was einst blühte, verfiel nun. Die Arbeitsplätze verschwanden zuerst, dann die Menschen, und zurück blieb nur diese leere Hülle.

Vielleicht war es die Veränderung der Welt, das neue Streben nach anderen Lebensweisen, die dieses Schicksal besiegelten. Stimmen riefen nach einer besseren Zukunft, frei von den schwarzen Rauchschwaden der Vergangenheit. Doch auf dem Weg dorthin ging etwas verloren – eine Balance, ein Gleichgewicht. Die Fabrik konnte sich nicht an die neue Vision anpassen. Sie wurde zu einem Mahnmal des Fortschritts, der in Schieflage geraten war, zu dem seltsamen Glauben, dass man die treibende Kraft der Industrie, den Puls der Nationen, einfach so aufgeben konnte – ohne Konsequenzen.

Der Mond scheint kälter, als der Wind aufkommt und das Rascheln in den dürren Bäumen mit sich trägt. Niemand ist mehr da, um es zu hören. Keine Arbeiter auf dem Heimweg nach langen Schichten. Kein Lachen auf den Straßen. Nur Stille – eine unheimliche, gefrorene Stille. Und doch liegt unter allem etwas, das verweilt – eine unbeantwortete Frage, ein nicht eingeschlagener Weg.

Die Fabrik, der verrostete Turm, die zerbrochenen Fenster – sie alle zeugen von einer Welt, die sich verirrt hat. Aber ist es wirklich die Schuld der Maschinen, der Arbeiter, der Schornsteine? Oder liegt das Problem vielleicht ganz woanders – in einem missverstandenen Traum vom Fortschritt, der durch Unsicherheit und Verlust ersetzt wird?

Langsam fallen Schneeflocken vom Himmel und legen sich sanft auf das rissige Pflaster. Die Fabrik wird noch viele Jahre dort stehen, ihre Geschichte in den kalten Wind flüsternd, eine flackernde Erinnerung an das, was einst war und was vielleicht anders hätte sein können.

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