Leben in Sanaa.......
Manchmal ist das Leben so seltsam, dass man am liebsten die Küchentür hinter sich zumachen würde. Fatima bereitet das Frühstück. Sie hockt auf dem steinernen Fußboden, wo sich eine Schüssel mit Brotteig, den sie mit einem Messingstößel knetet. Ab und zu stößt sie den dreijährigen Jussif beiseite, ihren Jüngsten, der immer wieder versucht, auf ihren Schoß zu klettern:Yallah, lass mich in Ruhe!
Fatima ist verwirrt. Es hätte ein ganz normaler Tag werden können: Morgens Brot backen, später beten, Reis kochen, Tee trinken mit der Familie, abends Ziegen füttern im Hof. Aber nun ist alles anders. Fremde sind im Haus, die gestern angekommen sind.
Durch die Küchentür hört Fatima Stimmen. Anfangs hat sie sich gewundert über den merkwürdigen Dialekt der drei Besucherinnen. Bis sie gemerkt hat, dass sie gar kein Arabisch sprechen, sondern eine völlig fremde Sprache. Zwei von den dreien können überhaupt kein Arabisch, die armen Seelen!
Fatima kennt ausländische Frauen bisher fast nur aus dem Fernsehen. Was heißt kennen: Manchmal, beim Essen oder beim Fegen, wirft sie einen flüchtigen Blick auf das geschminkte Gesicht einer ägyptischen Filmschauspielerin oder die exaltierten Lippenbewegungen einer amerikanischen Moderatorin. Was sie sieht, macht sie nicht wirklich neugierig.
Natürlich, die Ausländerinnen haben schöne Kleider, Autos und oft reich aussehende Männer. Aber was hat man von alldem, wenn man dafür jeden Tag unverschleiert aus dem Haus gehen muss?
Fatima wundert sich, wie vieles diese drei nicht können und nicht wissen. Zum Beispiel sind sie kaum imstande, mit den Fingern zu essen. Fatima hat ihnen daraufhin Gabeln hingelegt, ein Geschenk der in Saudi Arabien verheirateten Tochter, das hier im Hause niemand nutzt.
Und sie stellen so seltsame Fragen. Ab wann ein Mädchen sich verschleiern muss. Muss!!!! Als sei es nicht eine Ehre und ein Zeichen weiblicher Reife, sich vor den Blicken Fremder zu verbergen. Gestern, beim Tee, wollte die eine, die Arabisch spricht, wissen, ob Fatimas ältester Sohn verheiratet ist. Vor so viel Direktheit ist Fatima regelrecht erschrocken. Was sollte sie mit so einer als Schwiegertochter? Würde die ernsthaft erwarten, dass man für sie Brautgeld zahle?
Fatima hat den Gästen Tee eingeschenkt und Weihrauch für sie angezündet, hat ihnen gezeigt, wie man sich die Schale so unter den Rock hält, dass der duftende, erfrischende Rauch die Beine hinaufstreicht.
Und gleich wird sie ihnen Brot backen, gutes Frühstücksbrot aus Weizenmehl. Mit einer Zange stanzt Fatima ein feines Strichmuster in die Fladen.
Die Gäste staunen und Fatima lächelt. Es ist ungewohnt und zugleich schmeichelhaft, für Dinge bewundert zu werden, die eigentlich selbstverständlich sind. Stolz zählt Fatima auf, was sie alles kann: Backen, kochen, nähen lesen und schreiben.
Und das hier kann sie auch. Sie setzt eine vielsagende Miene auf und schlägt mit der Faust ein paarmal gegen die flache Hand. Die Gäste kichern. Fatima lächelt. Ausländerinnen hin oder her - unter Frauen versteht man sich doch irgendwie.
Um die Mittagszeit geht Fatima aus dem Haus. Vorher legt sie den Scharschaf an, das schwarze Übergewand aus Mantel, Kopftuch und Gesichtsschleier. Sie tut das mit flinken, beiläufigen Handbewegungen, so, wie eine Europäerin sich an einem kalten Wintertag noch einen schal umlegt. Dann macht sie sich auf den Weg zum Haus ihrer Schwägerin Asme, zusammen mit Jussif und dem sechsjährigen Ibrahim, ihrem Zeitjüngsten.........
Wie ein Schatten huscht sie mit ihren Söhnen durch die Gassen. Fatima hat sich am Hauseingang die Schuhe abgestreift und den Gesichtsschleier zurückgeklappt. Sie muss nicht befürchten, in diesem Haus nicht-verwandten Männern zu begegnen. Sie nickt kurz ihren Schwägern und Neffen zu. Dann geht sie in den 4. Stock zu den Frauen.
Ein Fremder, der nach längerem Aufenthalt in einer konservativen arabischen Stadt unverhofft in den oberen, den privaten Teil eines Hauses geriete, ein solcher Fremder müsste spontan den Eindruck gewinnen, dass es in der Stadt zwei völlig verschiedene Arten von Frauen gibt: Schwarze, schweigsame, scheu zu Boden blickende Schattenschwestern auf der Straße und bonbonbunte, redselige, ausgelassen lachende Müßiggängerinnen in den oberen Etagen der Häuser.
Zu zwölft hocken sie in einem Raum. Die Enge lässt die Versammlung noch bunter wirken: Eine Symphonie aus lila, rosa, hellgrün- und orangefarbenen, zum Teil ziemlich durchsichtigen Gewändern und Kopftüchern. Kinderschwärme driften vom Flur ins Zimmer und wieder hinaus, Gebetsteppiche werden ausgerollt und Koransuren gemurmelt, während drumherum weiter Melonenkerne geknackt und Neuigkeiten ausgetauscht werden.
"Ich hab dich gestern in Sihail gesehen". "Übermorgen treffen wir uns bei Chudra, kommst du auch?" "Wie findest du diesen Stoff?" "Meine Nachbarin macht Ärger wegen des Telefons".......usw.
Nun kommen auch die Gäste von Fatima, Fadl hat sie zu Asmes Haus begleitet, denn alleine hätten sie Asmes Haus nie gefunden. Ausführlich und mit einem gewissen Stolz erklären die Frauen den Ausländerinnen das weitverzweigte Geflecht der Familie. Hennarote Finger recken sich hoch, um Geschwister und Kinderzahlen aufzuzählen, kreuzen sich, um Verwandtschaftsgrade zu veranschaulichen. Fatimas Gäste lächeln freundlich, aber etwas verwirrt.
Jetzt wollen die Frauen erst einmal wissen, wie es um die Verhältnisse der Fremden bestellt ist. Seid ihr verheiratet? Habt ihr Kinder? Nur zwei? Nur eins? Gar keins? Ach.
Ihr müsst arbeiten?? Warum denn???? Habt ihr keine Männer???
Es scheint, als folge dieses Beisammensein, so ungezwungen es wirkt, einer unausgesprochenen Dramaturgie.
Schön langsam wird Fatima wieder nach Hause gehen. Es wird Abend, die Sonne ist untergegangen. Fatima hockt im Hof und füttert ihre Ziegen. Ihre Nachbarinnen sind auch gekommen, wie jeden Abend. Hier im Hof ist es dunkel, dass sich die Frauen mit hochgeklappten Gesichtsschleier unterhalten können.
"Ich habe 30 Ziegen, sagt Medine, die Nachbarin. Drei sind schwanger. Und dies hier ist ein Böckchen, fühl mal, was es für einen Penis hat.....haha!!!!!!!
Ein Windstoß bläst eine Staubwolke in den Hof. Fatima erhebt sich, schüttelt den Staub vom Scharschaf. Sie wird jetzt ins Haus gehen, Ahmed und den Kindern das Abendessen bereiten. "Unser Leben ist schön, nicht wahr?" - UND ES HATTE NICHT WIE EINE FRAGE GEKLUNGEN.
Karin Meinert 24/05/2010 18:07
Dein Foto und der entsprechende Text sind sehr beeindruckend und interessant und es stimmt schon nachdenklich. Wir kommen wirklich aus ganz verschiedenen Welten und Kulturen und können uns das jeweils andere Leben kaum vorstellen. Wichtig ist einzig und allein, dass der Einzelne glücklich und zufrieden in seiner Welt sein kann.LG Karin
Pezi aus Wien 11/03/2007 18:49
Deine Berichte sind genial, wie tausend und eine Nacht verstehst mit den Worten zu spielen, eine Freude zu lesen, die Fotos sind ja immer top.alles liebe aus Wien...........pezi
Sylvia M. 24/07/2006 15:56
@Ich freue mich riesig über die Anmerkungen, die hier immer noch eintrudeln.Dickes DANKE!!!!!!!!!!
Germán Porten 23/07/2006 22:47
Erstaunlich!Eine ganz andere Welt, in der man sich erstmal wirklich hineindenken muss.
Wie immer, eine faszinierende Stadtaufnahme von Dir, mit einer wunderbaren Beschreibung des Alltags von Fatima.
Ich bin mir sicher, dass Du bei dem Text jedes einzelne Wort sorgfältig ausgewählt hast, damit uns die Weltanschauung dieser Menschen auch richtig nahekommt. Das ist, meines Erachtens, auch der einzige Weg zur Volkerverständigung. Wie ich es sehe, handelt es sich keinesfalls um andere Weltanschungen zu ändern (oder etwa die eigene verändern); es handelt sich vielmehr um andere Denkensweisen kennen zu lernen, um uns untereinander besser verständigen zu können. Aus Deinem Text ist zu ersehen, dass es für Fatima unmöglich ist, unsere hastige Welt zu durchschauen, genauso wie wir ihre Weltanschaung nicht 100%tig wahrnehmen können. Selbst ihre tochter ist ihr vielleicht schon ein wenig "fremd" geworden, da das Besteck aus Saudi-Arabien, als eine Art "Sourvenir" betrachtet wird. Daran glaube ich zu erkennen, dass im arabischen Raum selbst, das jegliche Weltbild von Ort zu Ort, und von Stamm zu Stamm, ganz unterschiedlich ist (keine Neuigkeit, im Westen ist es ja auch der Fall). Leider habe ich den Eindruck dass die Differenzen in Zukunft immer gewaltiger sein werden, da nur wenige Menschen den Mut haben etwas daran zu ändern, und das meine ich jetzt auch beidseits. Ich hoffe Deine Botschaft nicht falsch verstanden zu haben und Danke Dir für Deinen ständigen Einsatz für den Frieden und die Völkerverständigung.
Möge Gott, der einzige Gott aller Menschen, wie immer er auch genannt wird, Dir und uns allen helfen.
Liebe Grüße aus dem Winter am Río de la Plata, unter dem Kreuz des Südens,
Germán
Gerhard Hein 05/06/2006 11:36
Hallo Sylvia,mir ging's wie Manfred. Soooo ein langer Text. Aber ich habe es genossen zu lesen. Eingetaucht für einen kurzen Moment in eine andere Kultur, die ich faszinierend finde. Von alltäglichen Dingen, die wir nicht so mitbekommen. Vor allen Dingen der letzte Satz ist wichtig. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Sichtweise der Rolle der Frau im Islam unbedeutend ist, denn diese Frauen wachsen in dieser Rolle auf und kennen dies nicht anders und wollen auch dies meist nicht anders sehen.
Bitte weiter so!
Gruß Gerhard
Sylvia M. 04/06/2006 20:43
@Manfred: Ich danke dir - solche Anmerkungen ermutigen mich zum weitermachen hier in der FC!Herzlichst Sylvia
Manfred Jochum 04/06/2006 20:22
Sylvia, das Bild hat mich wie Deine anderen Yemen-Bilder sehr angemacht und der lange Text hat mich völlig abgeschreckt. Dann las ich oberflächlich quer über die Anmerkungen und dann beschloss ich den Text zu lesen -- und bin sooooo froh dass ich es getan habe. Lege Dir alle meine Komplimente zu Füßen! Mehr sowas!Liebe Grüße
Manfred
Sylvia M. 04/06/2006 19:24
@Vielen Dank an ALLE!Falk 26/05/2006 6:41
hallosehr schön sind deine fotos und die zeilen dazu,
danke auch für die anmerkungen,
viele liebe grüsse ...
falk
Trautel R. 14/05/2006 17:56
mir geht es wie rainer, die zeit für deine geschichten zu lesen muss sein und ich habe mir auch dieses motiv lange betrachtet, viel gibt es hier zu sehen.lg trautel
Rainer Switala 13/05/2006 12:37
ich nehme mir immer zeit deine geschichten zu leseneine andere welt die du uns nahe bringst
ich mag diese feinen struckturen dieser bauweise
gibt für mich immer viel zu sehen
das stromkabel muß sein
zeigt es doch das auch diese welt ohne erungenschaften der technik nicht mehr besteht
gruß rainer
Klaus Markhoff 12/05/2006 23:11
Sehr schön - wenn nur nicht immer die Stromkabel da wären !? :-))Sylvia du hast den Beruf verfehlt !!!
Viele Grüße Klaus
>>>>>>> schönes WE !
Carol Zwilling 12/05/2006 20:06
Ausergewenlich schon mit ein Super Text Silvia.Habe ein schonen WE.
Liebsten GruB
Carol
Sylvia M. 12/05/2006 19:04
@Inge: Das ist das SCHÖNSTE Kompliment!Bin berührt. DANKE!
@AN ALLE: Danke für Interesse und Anmerkungen.
Inge Hoenekopp 12/05/2006 18:58
mein Kompliment. Bin sehr beeindruckt. Du kannst nicht nur sehr schön fotografieresn sondern weisst auch, um was es geht !Das ist jetzt von mir nicht sehr literarisch formuliert, aber kommt von Herzen
da fällt mir jetzt eine bessere Formulierung ein: Du siehst auch mit dem Herzen, nicht nur durch den Sucher.
liebe Grüsse
Inge