Lockdowntagebuch - Alex 1
Alex wollte seit der achten Klasse Grundschullehrerin werden. Sie hatte es zu Beginn der Pandemie gerade in die Oberstufe einer Gesamtschule geschafft. Aber es war eng gewesen. Sie hat sich die Chance erarbeitet. Der Plan war: Ausprobieren, ob sie das Abi schaffen kann. Wenn nicht, eine Ausbildung zur Erzieherin machen. Dafür war ein Fachabi notwendig. Das sollte doch klappen.
Aber mit dem ersten Lockdown wurde auch die Rückmeldung über Alex Leistungen in der Schule ausgesetzt. Blindflug für einen jungen Menschen, der gerade jetzt auf Beratung angewiesen war. Anfragen bei den Lehrern erbrachten beruhigende Worte: „Mach dir keine Sorgen, deine Leistungen sind in Ordnung. Du hast keine Defizite.“ Im Herbst 2020 im Präsenzunterricht stellte sich heraus: Die Lehrer hatten auch keine Ahnung gehabt. Alex bekam 5er und 6er. Klärende Gespräche mit den Lehrern waren nicht mehr möglich. Inzwischen war das Land wieder im Lockdown.
Alex wechselte auf die berufsbildende Schule. Sie wollte es sich ersparen, den Rest des Schuljahres auf der Gesamtschule zu verschwenden. Auf der neuen Schule kam sie mitten im Lockdown an. Sie wurde in alle Onlineteams aufgenommen – aber weitere Informationen gab es nicht. Alex hat alle Aufgaben erledigt, die sie online fand. Aber sie kam nur schlecht mit den Aufgaben zurecht. Die waren viel zu unklar. Irgendwann geriet sie zufällig in eine Videokonferenz, von der sie nichts wusste. Es hatte niemand gemerkt, dass Alex fehlte, also sagte ihr auch niemand Bescheid. Logisch, dass sie die Aufgaben nicht schaffte …
Am Ende des Schuljahres fand Alex auf ihrem Zeugnis 66 unentschuldigte Fehlstunden. Woher die kammen, konnte ihr niemand sagen – es waren Sommerferien und das Klassenbuch war in der Schule eingeschlossen. Alex vermutet aber, die Fehlstunden hängen mit weiteren unangekündigten Videokonferenzen zusammen, bei denen sie nicht zufällig zum richtigen Zeitpunkt nachgesehen hat.
Die Noten waren wieder entsprechend schlecht und Alex entschloss sich, die Klasse 11 zu wiederholen. Nochmal. Sie wollte nun mal Erzieherin werden und brauchte dafür das Fachabi. Im folgenden Schuljahr musste sie feststellen: Sie hatte in zwei Jahren Pandemie völlig die Orientierung verloren. Die Leistungen blieben schlecht - Selbstzweifel und fehlendes Vertrauen in die Lehrer waren der Grund. Dazu kamen psychische Probleme durch die Misserfolge und die Einsamkeit. Deshalb hat sich Alex im Sommer 2022 entschlossen: Sie macht jetzt einen klaren Schnitt, bricht die Schule ab und orientiert sich um. Versucht, erst mal wieder zu sich selbst zurück zu finden.
Ob sie ohne die Pandemie ihren ersten Berufswunsch hätte realisieren können, wird sie nie erfahren. Sie hat nur gelernt: In der Pandemie ist viel davon geredet worden, die Schwachen zu schützen. Aber damit waren in erster Linie die Corona-Risikopatienten gemeint. Nicht Schülerinnen wie Alex.
Fotobock 18/01/2022 1:37
Nun, die alleinige Kommunikation mit Technik, alleine work@home zu gestalten. Der Blick zörgernd, leicht verwirrt. Ein Schüler, der wohl auch künstlerisch tätig ist, schön! Eine Szene aus dem Leben. Auch wieder mit dem Wissen zu deuten, was für eine Zeit ist. Es ist schwer auszudrücken, was wirklich die Kids im Lockdown empfunden haben. Die Isolation, das "keine Freunde zu sehen" und auch die Familie nicht treffen zu dürfen. Die Schule zu Hause, ohne die Freunde. Ich habe das ein wenig mehr empfunden, bei dem Schüler, der aus dem verschlossenen Fenster blickt- raus in die "Freiheit". Zusammen kann ich mir die Szenen dennoch gut vorstellen als Einheit. Die Kids im Shutdown, die ihre Situation verschieden handeln. lg BarbaraDereL 16/01/2022 16:12
Das hat was, bitte nicht falsch verstehen, etwas von einer kühlen Beobachtung eines wissenschaftlichen Objektes mir anschließender spekulierenden Interpretation auf dem Erfahrungshorizont des Beobachtenden. Vielleicht ist es hier auch ein Forum der älteren, bessergestellten Generation mit ihrem Blick z.B. auf die jüngere Generation zu der Lockdown-Thematik und nicht das Forum der jüngeren Generation. Der Blick der jüngeren Generation auf sich selbst und auf die ältere, um zu einem Austausch zu kommen, fehlt mir hier. Nur so könnte man zu einem "Gesamtbild" kommen. So empfinde ich es als ein gut fotografiertes "So-Sehe-Ich-Dich" als ersten Schritt.VG
DereL
verocain 16/01/2022 13:57
Wenn ich ganz ganz ehrlich bin, und ich hoffe, es lesen nicht allzu viele ;-), dann sehe ich das ähnlich wie du im letzten Absatz. Die Probleme der "so genannten" sozial benachteiligten wurden mir auch etwas zu sehr in den Vordergrund gerückt.Jedenfalls sieht man hier bei dieser jungen Dame, allein schon anhand der fotografierten Umgebung, dass es sich ehren nicht jemand aus diesem Spektrum handelt.
Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu dieser Zeit online und medial zu kommunizieren. Allerdings habe ich schon länger den Verdacht, dass das in dieser Generation sowieso der Standard ist. Der Gesichtsausdruck mag zufällig getroffen sein und ist unabhängig von der Lockdown-Situation. Das hätte auch zu jeder anderen Zeit so sein können.
sie scheint in einer online-Interaktion...warum sie indoor dieser lustige Mütze trägt? Nun, Jugendliche haben ein Recht, sich etwas seltsam zu kleiden.