Nachlasskarton 32
Aus dem Nachlasskarton: Von den 17 Briefen meines Vaters an meine Mutter sind beinahe alle zu persönlich um Inhalte zu veröffentlichen. Zudem sind diese Briefe mit heißem Herzen geschrieben und daher teilweise schwer für mich zu entziffern Jedoch ist ein Brief aus dem Jahre 1948 dabei, den mein Vater an seine Schwiegereltern und seine junge Frau schrieb und von Trauen in der Lüneburger Heide nach Dessau schickte. Meine Eltern hatten noch nicht komplett von Ost nach West "rübergemacht" es war aber in der Vorbereitung auf Initiative von meinem Vater. In diesem 72 Jahre alten Dokument beschreibt er die historische Lage von damals als Zeutzeuge. 1948 - wir wissen alle - Währungsreform zur D-Mark im Westen.
Mein Vater schrieb:
"Liebe Schwiegereltern, liebe Ruth!
Nachdem ich nun einige Tage Zeit gehabt habe mich ein wenig hier drüben umzuschauen, will ich nun einmal im Folgenden meine Eindrücke schildern, die ich bisher vom Westen gewonnen habe ...
Auf meinem überschrittenen Interzonenpaß konnte ich die Kontrollstelle in Marienborn nicht passieren, denn der russische Offizier behauptete unerschütterlich daß das Papier falsch sei, obwohl ich mich bemühte ihm vom Gegenteil zu überzeugen. Allerdings ließ ich ihn dann auch in Ruhe, belästigte ihn nicht weiter und ging 50 m weiter rechts durch den Wald. In Helmstedt auf dem Bahnhof versuchte ich dann Westmark einzutauschen, aber das Angebot war so hoch, daß ich meinen Versuch bald aufgab. 1/5 war das günstigste Tauschverhältnis. Wechselstuben und dergleichen befinden sich nicht an der Grenze.
Die ersten bemerkenswerten Preise erfuhr ich in Braunschweig. Der Ostmarkkurs stand hier auf 1.-15. Ein Brot kostet 2,- eine Tafel Schokolade ,-90 - 1,20, eine Fischsemmel ,-10 ein Paar Bockwürstchen mit Kartoffelsalat ,-90. Deutsche Zigaretten im Schwarzhandel ,-10 regulär ,-15. Frei zu kaufen bekommt man fast sämtliche Bedarfsgüter z.B. Fahrräder, Nähmaschinen, alle Arten von Möbel, Rundfunkgeräte usw. zu normalen Preisen.
Dann sind eine beachtliche Menge von Nahrungsmittel im freien Handel erhältlich, so z.B. Obst, Gemüse, Fisch, ab nächste Woche fällt die Kartoffelbewirtschaftung weg, Käse usw.
Dann bekommt man sämtliche Kurzwaren wie Gummiband, Stopfgarn, Filz, Schnürsenkel u.ä., dann gibt es alle Textilwaren und Schuhwaren. Armbanduhren, Schmucksachen und Vieles andere mehr erscheint wie in alten Zeiten in den Schaufenstern.
Natürlich sind damit nun keineswegs friedensmäßige Verhältnisse eingetreten, denn der Bargeldumlauf ist hier außerordentlich knapp, denn die Währungsreform ist hier viel radikaler durchgeführt worden als im Osten, alles Bargeld außer der Kopfquote und außer Scheidemünzen und 1,- Markscheinen, die zu einem Zehntel ihres Neuwertes abgewertet worden sind, ist restlos verfallen.
Trotzdem besteht natürlich jetzt die Voraussetzung für eine Normalisierung für die Allgemeinheit, denn allein durch die billigen umbewirtschafteten Waren wie Fisch (10 Heringe kosten 1,-) und Kartoffeln besteht auch für den Ärmsten eine Hebung des Lebensstandards.
..."
Karloland 06/12/2020 14:14
Ein handgeschriebenes Zeitdokument echt und einmalig!Photomann Der 06/12/2020 10:37
Hachein Brief
interessante Geschichte