Ran an die Wolle ...
... - Schafschur in Eichelsdorf
Einmal im Jahr bekommt die 30-köpfige Schafherde von Nebenerwerbsland- und Gastwirt Eberhard Kirchner Besuch vom „Friseur“. Dann verpasst Schafscherer Gerhard Hümmer aus Zeilitzheim den Tieren ihren Sommerschnitt.
Eichelsdorf (uk) Einmal im Jahr geht es den Schafen der Familie Kirchner im Hofheimer Stadtteil Eichelsdorf an die Wolle. Dann kommt Schafscherer Gerhard Hümmer aus Zeilitzheim bei Schweinfurt. Nach rund zwei Stunden schweißtreibender Arbeit haben die 30 Tiere von Gastwirt Eberhard Kirchner ihren Sommerschnitt. Aus den flauschigen Wollknäueln sind dann wieder ranke und schlanke Tiere geworden.
Leise schnurrt ein Motor in der Scheune von Eberhard Kirchner. Das Tor ist halb geöffnet, von draußen dringen immer wieder aufgeregte „Määääh“ in den Raum. Interessiert beobachtet Hofhund Nero was da um ihn und die „seinen“ passiert. Gerhard Hümmer hat die Schere noch einmal geölt. Jetzt kann es los gehen. Mit sicherem Griff setzt er seinen ersten Kunden aufs Hinterteil. Ein prächtiger Kerl, soweit man es unter dem dichten Winterkleid erkennen kann. Nur wenige Minuten später steht der „Coburger Fuchs“ als erster von Kirchners Schafherde beinahe verdutzt da. Hümmer hat ihn von seinem dicken Wollmantel befreit.
Schafe scheren ist Handwerk, aber für jemand, der es noch nie gesehen hat, wohl eine Kunst zugleich. Mit System geht Hümmer vor – so wie er es schon viele Tausende Mal getan hat. Vom Rücken beginnend, sucht sich der Schafscherer seinen Weg durchs dichte Wollhaar den Hals hinauf, dann eine Seite von den Vorderläufen bis hinunter zu den Beinen und den Schwanz. Dann folgt mit geübten Griffen der Seitenwechsel, bis das Schaf ganz geschoren ist. Dazu muss der Scherer immer wieder das Tier drehen und in die richtige Arbeitsposition rücken. Keine leichte Arbeit. Etwa wenn der Kunde unter ihm ein ausgewachsener Schafbock mit über 170 Kilogramm ist. Dann wird schon einige Kraft benötigt, um das Tier sicher zurecht zu rücken.
Die meisten Schafe lassen dieses jährliche Prozedur gelassen über sich ergehen. Aber es gibt auch immer wieder mal ängstliche Tiere. Da ist vom Schafscherer dann Kraft und Ausdauer gefragt, wenn sie unruhig sind und zu zappeln beginnen, denn die Tiere sollen sich ja nicht verletzt werden.
„Wenn die Schafe allzu sehr zappeln“, so Hümmer der die Tiere fest im Griff hat, „lassen sich kleine Kratzer und Blessuren trotz aller Vorsicht und Übung nicht verhindern“. Dann kommt es immer mal zu kleineren Schürfwunden, die aber nicht verarztet werden müssen. Nach knapp drei Minuten heißt es „der nächste bitte“ und von Eberhard Kirchner wird das nächste Tier zum Scheren rückwärts auf ein flaches Podest gehoben. In zwei große Säcke stopft er derweil das zerzauste Schnittgut.
Die Säcke werden später im Autoanhänger von Gerhard Hümmer mitgenommen. Die Wolle holt ein Händler bei ihm ab und bringt sie vor der Weiterverarbeitung direkt in die Wäscherei, „Verdient ist an der Wolle nichts“, erzählt der Schafscherer, denn der Wollpreis ist momentan sehr niedrig und deckt nicht einmal die Auslagen der Schafbesitzer, nicht einmal für den Schererlohn. Für das Rohprodukt Schafwolle wird ein Erlös je nach Sorte und Qualität von gerade mal zwischen 20 bis 40 Eurocent pro Kilogramm erwartet. Profitabel wäre ein Erlös so um die 1,20 Euro für ein Kilo Schafwolle. So bis zu drei oder vier Kilogramm liefert ein ausgewachsenes Schaf. Dennoch ist die Schur für die Tiere wichtig, damit die Wolle nicht verfilzt, sagt Kirchner. Bei zu dichter Wolle kommt keine Luft mehr an die Haut, was auch zu Krankheiten führen könnte. Für die Schafe ist es eine Erleichterung, vor dem anstehenden Sommer vom dicken Wollmantel befreit zu werden.
Nasskalt ist es zurzeit draußen, es regnet leicht. Es ist Schafskälte. Ohne ihren schützenden Natur-Wollpulli überbrücken sie die nächsten Tage im geschützten Unterstand in der Scheune.
Schaf-Friseur zu sein ist eine schweißtreibende Angelegenheit. Des öfteren muss Hümmer eine kurze Pause einlegen, etwas trinken und mit dem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht wischen. Der Umgang mit Schafen liegt dem 68-Jährigen im Blut. Schon sein Vater war Schäfer und Scherer. Als Wanderschäfer ging er mit seiner Herde bis nach Oberfranken. „Er hatte selten gesundheitliche Probleme", erinnert sich Hümmer, „er war halt immer in der Natur an der frischen Luft und hat oft im Freien auf der Wiese bei seinen Schafen übernachtet“, erinnert er sich. Über 97 Jahre alt wurde sein Vater. Seit 1961 geht Hümmer Schafe scheren. Als junger Mann verdiente er sich so etwas dazu. Die Nachfrage nach guten Schafscherern nahm immer mehr zu. „Man wird halt von der Stammkundschaft über Mundpropaganda weiter empfohlen“, erzählt er. Seit fast 20 Jahren betreibt Gerhard Hümmer das Schafscheren im Hauptberuf, zusammen mit seinem Sohn. „Es ist halt ein Saisongeschäft von einem knappen halben Jahr“, sagt Hümmer, „von Dezember bis in den Juni hinein ist man viel unterwegs“. Dann haben Vater Hümmer und sein Sohn Jürgen im wahrsten Sinn des Wortes alle Hände voll zu tun. Neben dem fränkischen und südbayrischen Raum kamen die Anfragen zum Schafe scheren sogar aus Norddeutschland und aus den neuen Bundesländer. Dort sind dann Aufträge mit Schafherden mit über 1200 Tieren keine Seltenheit. Die kleine Hobbyherde von Gastwirt Kirchner in Eichelsdorf ist für ihn keine große Sache, die wird im Terminplan mal kurz eingeschoben.
Nach rund zwei Stunden haben Kirchners biologische Rasenmäher für die Wiesen seiner Obstanlage ihren Sommerschnitt. Und warten eigentlich nur darauf, dass auch die Schafskälte vorüber geht.
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Nach längerer Pause stelle ich wieder mal eine Reportage passend zur jetzigen "Schafskälte" hier in die Community ein.
Es ist eine Auftragsarbeit für eine ganze Zeitungsseite mit neun Bildern zum oben genannten Thema für die Regionalausgabe Haßberge der Mediengruppe Mainpost.
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Bilddaten: Digicam: FinePix S 9600; Belichtungszeit 1/45 Sek mit Kamera-Aufhellblitz bei Mischlicht; Blende: F 2.8; ISO: 400; Brennweite: 40 mm.
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