Schrei nach Liebe
Am 19.08.2021 bekam ich den Anruf - "Andy hat sich eine Überdosis gesetzt. Er ist Hirntod. Sie machen noch ein paar Tests und wenn da keine Aktivität mehr ist, schalten sie die Maschinen aus"
Am 21.08.2021 um 18:03 Uhr wurden die Maschinen abgestellt...
Andy war mein Cousin. Und 3 Monate älter wie ich. Wir waren wie Zwillinge. Wir sind 3,5 Jahre täglich zusammen gewesen und zusammen aufgewachsen. Danach trennte sich seine Mutter von meinem Onkel und zog 600km weg. Wir sahen uns nur noch in den Ferien. Und es war immer eine besondere Zeit. Es war ein tiefes Band wie Geschwister. Wirklich wie Zwillinge...
Auch als Erwachsene blieb diese Verbindung.
Wir haben uns bis zum Schluss alles erzählt und uns immer gesagt, das wir uns lieb haben.
Er fing im Alter von 13 an Drogen zu konsumieren... Erst waren es nur "leichte" Sachen... Mit 15 dann Heroin.
Durch die 600km Trennung konnte ich immer nur zu den Besuchen seine Veränderung wahr nehmen... Es tat mir weh.
Er machte einige Entzüge durch.
Auch Langzeit von 2Jahren.
Jedesmal schwang die Hoffnung mit, das er es nun geschafft hat.
2020 rief er mich an und fragte ob er bei mir wohnen kann. Er wolle wieder einen Entzug machen. Er lebte auf der Straße und wolle sein Leben nun endlich ändern.
Ich sagte ja.
Ich wusste nicht auf was ich mich einlasse.
Er hatte durch die Drogen Wahnvorstellungen entwickelt und war Zeitweise Psychotisch im Entzug.
Aber wir gingen gemeinsam dadurch.
Ich wusste aus Liebe, egal was war. Egal wie schlimm sein Zustand ist, er würde mir nie etwas tun. Und so war es auch. Jeder warnte mich, das er in einer Psychose aggresiv werden könnte. Ich vertraute ihm und das konnte ich.
Er wohnte 4Monate bei mir.
Und ich erfuhr erstmal, wie sehr die Abhängigkeit war. Er konsumierte Drogen, Arzneimittel und Alkohol. So hatte er an dem Tag als ich ihn abholte 17 Beruhigungstabletten genommen mit einer halben Flasche Schnaps. Ich hätte schwören können, er sei nüchtern... So schlimm war die Sucht, das man es ihm nichtmal mehr anmerkte.
In der Zeit bei mir warteten wir auf einen Therapie Platz. Es gab keinen.
Neben dem, dass ich ihm alle Medikamente die er wirklich brauchte einteilte und ich ihm ansonsten alles abnahm ( mit seiner Einverständnis!) sprachen wir sehr, sehr viel.
Ich vergesse einen Moment niemals.
Wir saßen auf der Couch und ich fragte "Was brauchst du um mit den Drogen aufzuhören?"
Er zögerte einen Moment, dann brach er in Tränen aus und sagte "Liebe Jenny, ich brauche Liebe"
Es war nicht die Art Liebe die ich ihm geben konnte. Es war die Liebe, die er in sich glaubte nicht zu haben. Und das war so falsch.
Er war einer der liebevollsten Menschen den ich kannte. Immer auf der Suche nach Anerkennung und wollte alles richtig machen.
Für seinen Vater und einen Großteil der Familie war er nur ein "dreckiger Junkie" für mich z. B war er ein ganz besonderer Mensch.
Wann immer ein Familienmitglied seine Hilfe gebraucht hätte. Er hätte geholfen. In jedem Zustand.
Nach 4 Monaten ohne Therapie Platz wurde der Suchtdruck zu groß. Er ging zurück in seine Heimat und ich wusste, das wars.
Ich sagte ihm, das ich ihn liebe und das ich ihm nicht beim Sterben zusehen kann. Das ich immer für ihn da bin wenn er zurück kommen will, ich ihn bei Therapien unterstütze aber ich sonst keinen Kontakt möchte wenn er weiter Drogen konsumiert.
Er umarmte mich und sagte "Das versteh ich. Ich hab dich lieb Cousinchen. Danke für alles"
Das war das letzte Gespräch... 8 Monate später der Anruf...
Von seiner Mutter erfuhr ich den genauen Ablauf. Er hatte alles geplant.
Er hatte viele Schulden bei schlechten Leuten. Er und seine Mutter wurden bedroht. Er selbst zig mal Krankenhaus reif geschlagen. Und das gleiche drohten sie seiner Mutter an.
Er hatte eine Lebensversicherung... Die zahlten die Eltern seiner Mutter...
Er ließ sie sich auszahlen. Bezahlte alle seine Schulden, holte sich eine große Menge Heroin. Mietete sich ein Hotel und gab sich den letzten Schuss. Zuvor rief er seine Mutter und seine Oma an und sagte, das alles gut wird. Das sie sich keine Sorgen machen sollen und das er alles erledigt hat.
Der "dreckige Junkie" der er für viele nur war, hatte Angst um seine Mutter und Oma... Er wollte das was er durch seine Sucht angerichtet hatte gut machen. Er hätte einfach so "gehen" können. Nein, er hat alles begradigt und sich dann verabschiedet.
Eine Woche nach seinem Tod erfuhr ich, dass ich Schwanger bin in der 9. Woche. Es hieß mein Leben lang, ich könnte keine Kinder bekommen... Und es kam bei einer Routine Untersuchung raus.
Ich weinte bei der Nachricht.
Die Arzthelferin fragte, ob alles ok ist. Ob ich mich freue.
Ich antwortete "Ja, ich freue mich. Aber kennen Sie den Spruch Einer geht und einer kommt? Mein Cousin hat sich vor einer Woche das Leben genommen..."
Ich bekam einen gesunden Jungen...
Und sooft wenn ich an meinen Cousin denke, tut es mir leid, dass sie sich nie kennengelernt haben. Er liebte Kinder, hat immer von eigenen geträumt.....
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