An meine Mutter

An meine Mutter

Jeder Mensch ist in seinem Leben davon betroffen. Jeder hat seine eigene Art, damit umzugehen. Jeder hat seine ganz eigenen Gefühle. Für mich, in der ganzen Machtlosigkeit die ich spüre, wenn es um solch wesentliche Dinge wie Tod geht, liegt ein Trost in der Tatsache, dass wir alle diesen Weg gehen und dass wir in der Art, wie wir unsere Lieben begleiten und von ihnen Abschied nehmen, ein ganz besonderer Zauber und eine tiefe Schönheit liegen kann, so herzzerreissend traurig das Ganze auch sein mag. Und nur aus dem Grunde weil ich weiss, dass niemand davon verschont wird und alle von dieser Thematik betroffen sind, möchte ich euch meinen Abschied von meiner Mutter bekanntgeben, die gestern abend um 20.15 im Alter von 86 Jahren von uns gegangen ist. Sie hatte ein langes und intensives und lebenswertes Leben, und dass wir sie so lange erleben und begleiten durften und die Art, wie wir voneinander Abschied nehmen konnten, ist ein grosses Geschenk, für das ich immer dankbar sein werde.

An meine Mutter

So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht,
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.

Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten rollten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
Vom einfach ungeschmückten Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.

Annette von Droste-Hülshoff