Anrede
Ich atme Dich mit Sehnsucht, süßer Duft.
Wo Du verschwebst, ging aller Frühling enden,
Wo Du verhauchst, da weht von Schatten-Wänden
Herbstlichen Atems die bereifte Luft.
Ich schmecke Dich mit Andacht, edles Brot.
Wo Du gebrichst, gebricht es aller Fülle,
Wo Du ausgehst, da steigt aus ihrer Hülle
Von Überfluß die ungemeßne Not.
Ich fühle Dich mit Angst, geliebter Leib.
Die Dich verlor, die Hand, wird irrer Schwere
Tasten ringsum und tasten in die Leere
Nach allen Dings unfaßbarem Verbleib.
Ich höre Dich, o naher Stimme Sang.
Wo Du verstummst, wird jeder Laut in Schweigen
Hinsterben und vergeblich tief im Neigen
Das Ohr sich mühn nach einem kleinen Klang.
Ich sehe Dich mit Inbrunst, großes Licht,
Geleucht der Weite, Glanz aus tausend Fernen.
Wo Du verbleichst, kehrt unter blinden Sternen
In Dunkel das verlöschende Gesicht.
Marie Luise Weissmann (1899-1929)
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