Das Verhör

Das Verhör

Es war einer dieser verregneten Tage im November, die mir immer auf das Gemüt schlugen. Ich legte meinen durchnässten Trenchcoat ab, schenkte mir einen doppelten Single Malt ein und – verdammt - fand die zerknitterte Packung Zigaretten in der Schreibtischschublade. Obwohl ich mir geschworen hatte, nie wieder zu rauchen, saß ich jetzt - einen tiefen Lungenzug nehmend - Jimmy Küken gegenüber. Ich war mir jedoch sicher, dass dies nur sein Deckname war. Mehrfacher mittelschwerer Teichfriedensbruch lautete die Anklage, aber die Beweislage war dünn.
„Name?“ fragte ich ohne Umschweife.
„Oh c´mon, Chief! Wie oft hatten wir das schon?“, antwortete Jimmy.
„Reine Formsache, wie gehabt.“ Ich wusste, für ihn war das ganze nur ein Spiel.
„Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts!“ Jimmy kannte die Regeln, das musste ich ihm lassen.
„Alles klar, dann werde ich dir jetzt sagen, was ich über dich habe.“ Ich zeigte auf die dicke Akte vor mir.
„Deckname Jimmy Küken, richtiger Name unbekannt, Eltern unbekannt. So weit richtig?“ Mr. Küken schien unbeeindruckt.
„Geschlüpft vor vier Tagen, am Montag den 07.11.2021.“, fuhr ich fort. „Einschulung am selben Tag. Dort bist du aber schon im Nachmittagsunterricht nicht mehr erschienen.“ Jimmy schwieg.
„Am darauffolgenden Tag hast du eine Ausbildung auf dem Bau begonnen. Welche Fachrichtung, Hoch- oder Tiefbau?“, fragte ich ihn, denn dieses Feld in meiner Akte war noch leer.
„Nestbau“, antwortete Jimmy einsilbig.
„Das hätte ich mir eigentlich denken können“, murmelte ich und ergänzte dies handschriftlich.
„Aber auch hier hast du Ärger gemacht. Der Vorarbeiter sagte, du hättest ein Eierlikör-Problem?“
„Auf dem Bau saufen alle!“, winkte das Küken ab.
„Am Mittwoch bist du laut Zeugenbericht das erste Mal am Stadtweiher gesichtet worden. Mit diesem Irokesenhaarschnitt, betrunken, randalierend. Warum, Jimmy, warum?!“ Die kleine Gans zeigte keine Regung.
„Verdammt, Jimmy, ich hatte auch mal einen Jungen so wie dich…“
„Echt jetzt, Inspektor?“, er sprach das letzte Wort verächtlich aus. „Sie wollen wissen, warum? Wachsen sie mal auf in einem Ei. Dunkel, ohne Fenster und mit Wänden von den Füßen bis zum Schnabel. Keine sanitären Anlagen und mit einer Einfachverschalung, die weder Hitze noch Kälte abhält. Und außerdem, die Gesellschaft ließ mir einfach keine andere Wahl!“
„Man hat immer eine Wahl, Jimmy, immer! Aber du kannst jetzt gehen.“ So schrieb es das Gesetz vor, denn ich hatte zu wenig gegen ihn in der Hand.