Der Zuhörer
Eines Tages stand ich an einer S. Bahn Haltestelle. Etwas neben mir auf der Bank saß ein älterer Mann. Eine junge Frau setzte sich daneben. An ihrem Gesicht -besonders den Augen- und ihrer Körperhaltung war gut erkennbar, dass es ihr gerade nicht gut ging.
Der alte Mann sah sie an, lächelte und nickte. Erst blickte sie vorsichtig zurück, aber irgendetwas in seinem Blick schien in ihr etwas zu verändern. Er wandte sich ihr zu und nickte wieder mit einem wohlwollenden Lächeln. Plötzlich liefen ihr die Tränen herunter und sie begann zu erzählen von ihrem Freund, dem Streit, den sie hatten und dem Studium, was sie gerade belastete und dass ihr ihre Familie oft fehlte. Der Mann hörte aufmerksam zu, nickte und ich meine von Zeit zu Zeit ein „hmm“ zu hören. Je mehr sie erzählte und die Tränen geflossen waren, desto mehr hatte ich den Eindruck, hellte sich ihr Gesicht wieder auf und der Traurigkeit folgte eine Erleichterung.
Es kam meine S-Bahn, aber ich war so gebannt von diesem Erlebnis, dass ich dabei blieb. Auch die Frau schien völlig in ihren Bericht vertieft und bemerkte vermutlich nicht einmal die Züge. Es war für mich, als ob eine tiefe Verbundenheit die beiden einhüllte, von der eine große Wärme ausging. Obwohl er gar nichts sagte, hatte sie immer wieder Ideen … dass sie vielleicht doch etwas heftig auf ihren Freund reagiert hatte und sich mit ihm aussprechen wird und dass sie ja eigentlich durch ihre Lerngruppe doch ganz gut vorbereitet war und noch heute Abend zuhause anrufen wird.
Nach einer Weile lächelte sie und stand mit einem Gesichtsausdruck großer Erleichterung und ich meine sogar etwas Freude auf. Und auch der alte Mann stand auf. Sie ging auf ihn zu und drückte ihn herzlich und bedankte sich mehrfach. Es war ein ergreifendes Bild für mich. Der alte Mann lächelte freudig und nickte. Kurz danach kam eine S.Bahn und die junge Frau stieg beschwingt ein, drehte sich nochmal um und winkte ihm im Wegfahren zu.
Neben mir stand wohl schon eine Weile eine Frau. Sie setzte sich neben den alten Mann und begrüßte ihn mit einem Winken. Ganz offensichtlich kannten sich die beiden. Was dann geschah … war unglaublich. Sie sah ihn fragend an und bewegte ihre Hände und er schüttelte mehrfach den Kopf. Mir fiel auf, dass sie wild mit den Händen gestikulierte und der Mann, der die ganze Zeit ruhig dagesessen hatte, bewegte ebenfalls heftig seine Hände.
Auch wenn ich in diesem Moment eine Träne im Auge hatte und die Gebärdensprache nicht beherrsche, wusste ich genau, was die Frau ihn gefragt hatte. Ich war tief bewegt und habe gelernt, dass man zum Zuhören und für einfühlsames Verständnis kein Gehör braucht, sondern ein Herz.
Von Steffen Zöhl
Bernd Freimann 04/02/2021 22:00
Eine nachdenkenswerte Geschichte, untermalt mit einem farbenfrohen Foto.Gruß aus Berlin
Bernd Freimann
Babs Sch 03/02/2021 20:59
In unserer inzwischen ziemlich oberflächlichen Welt müssen viele "zuhören" (vor allem in dem Sinn, wie Du es meinst) erst wieder lernen.Alle haben wir diese Gabe mitbekommen doch nur Wenige wissen sie zu nutzen...
LG Babs
makna 03/02/2021 17:15
Ja, wohl wahr - es braucht ein Herz ... :-)... Danke für diese Geschichte !
BG manfred
Tekla-Maria 03/02/2021 16:54
wieder eine wunderbare Geschichte!!! LG SonjaEberhard Kuch 03/02/2021 16:47
Ein Geschichte wie man Seelsorge betreibt.Gruss Eberhard
Thomas Tilker 03/02/2021 15:49
...eine unglaubliche und bewegende Geschichte...es fehlt in diesen Zeiten einfach vielen an Empathie...Danke Dir für Story und Bild.
Thom
Fotobock 03/02/2021 14:50
Berührende Geschichte. Das Foto strahlt Farbe aus und biete ein wenig geheimnisvolle Einsichten. Schön. lg BarbaraPeter Erich Maurer 03/02/2021 12:57
Eine wunderschöne Geschichte mit tiefsinnigem Inhalt. Das Zuhören ist eine Eigenschaft und eine Kunst, die immer mehr verloren geht.LG Peter