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Die Schneekönigin

Die Schneekönigin

5.063 13

Erik Und Manuela


Free Account, Berlin

Die Schneekönigin

Von dem Schloß der Schneekönigin, und was sich später darin zutrug

Des Schlosses Wände waren gebildet aus treibendem Schnee und Fenster und Türen aus den schneidenden Winden. Es waren über hundert Säle darin, alle, wie sie der Schnee zusammenwehte. Der größte erstreckte sich mehrere Meilen weit. Das glänzende Nordlicht beleuchtete sie alle, und wie groß und leer, wie eisig kalt und glänzend waren sie! Nie gab es hier Lustbarkeiten, nicht einmal einen kleinen Bärenball, wozu der Sturm hätte aufspielen und wobei die Eisbären hätten auf den Hinterfüßen gehen und ihre feinen Manieren zeigen können; nie eine kleine Spielgeselischaft mit Haschen und Tatzenschlag; nie einen kleinen Kaffeeklatsch von Weißen-Fuchs-Fräulein: Leer, groß und kalt war es in der Schneekönigin Sälen. Die Nordlichter flammten so genau, daß man zählen konnte, wann sie am höchsten und wann sie am niedrigsten standen. Mitten in diesem leeren, unendlichen Schneesaal war ein zugefrorener See, der war in tausend Stücke zersprungen, aber jedes Stück war dem andern gleich, daß es ein vollkommenes Kunstwerk war. Mitten auf dem See saß die Schneekönigin, wenn sie zu Hause war; dann sagte sie, daß sie im Spiegel des Verstandes säße, und daß dieser der einzige und der beste in der Welt sei.

Der kleine Kay war blau vor Kälte, ja fast schwarz, aber er merkte es doch nicht, denn sie hatte ihm den Frostschauer weggeküßt, und sein Herz glich einem Eisklumpen. Er schleppte einige scharfe, flache Eisstücke hin und her, die er auf alle mögliche Weise aneinander fügte, denn er wollte damit etwas herausbringen. Es war, als ob wir kleine Tafeln haben und diese zu Figuren zusammenlegen, was man das chinesische Spiel nennt. Kay tat dies auch und legte Figuren, und zwar die künstlichsten. Das war das Eisspiel des Verstandes. In seinen Augen waren die Figuren ausgezeichnet und von der höchsten Vollendung: das machte das Glaskörnchen, das ihm im Auge saß! Er legte vollständige Figuren, die ein geschriebenes Wort waren, aber nie konnte er es dahin bringen, das Wort zu legen, das er haben wollte, das Wort Ewigkeit. Die Schneekönigin hatte gesagt: "Kannst du diese Figur ausfindig machen, dann sollst du dein eigener Herr sein, und ich schenke dir die ganze Welt und ein Paar neue Schlittschuhe." Aber er konnte es nicht.

"Nun sause ich fort nach den warmen Ländern", sagte die Schneekönigin. "Ich will hinfahren und in die schwarzen Töpfe hineinsehen."

- Das waren die feuerspeienden Berge Ätna und Vesuv, wie man sie nennt. "Ich werde sie ein wenig weiß machen. Das gehört dazu, das tut den Zitronen und Weintrauben gut!" Und die Schneekönigin flog davon, und Kay saß allein in dem viele Meilen großen, leeren Eissaal, betrachtete die Eisstücke und dachte so scharf, daß es in ihm knackte. Steif und still saß er: Man hätte glauben sollen, er wäre erfroren.

Da geschah es, daß die kleine Gerda durch das große Tor in das Schloß trat. Hier herrschten schneidende Winde. Sie trat in die großen, leeren, kalten Säle hinein - da erblickte sie Kay. Sie erkannte ihn, flog ihm um den Hals, hielt ihn fest und rief: "Kay! lieber kleiner Kay! Da habe ich dich endlich gefunden!"

Aber er saß still, steif und kalt. Da weinte die kleine Gerda heiße Tränen, die fielen auf seine Brust; sie drangen in sein Herz, tauten den Eis- klumpen auf und verzehrten das kleine Spiegelstück darin. Er betrachtete sie und sie sang:

"Rosen, die blühn und verwehen:

Wir werden das Christkindlein sehen!"

Da brach Kay in Tränen aus: Er weinte so, daß das Spiegelkörnchen aus dem Auge schwamm. Nun erkannte er sie und jubelte: "Gerda! Liebe kleine Gerda! Wo bist du so lange gewesen? Und wo bin ich gewesen?" Und er blickte rings um sich her. "Wie kalt ist es hier! Wie ist es hier weit und leer!" Und erklammerte sich an Gerda an. und sie lachte

und weinte vor Freuden. Das war so herrlich, daß selbst die Eisstücke vor Freuden ringsherum tanzten, und als sie müde waren und sich niederlegten, lagen sie in den Buchstaben, von denen die Schneekönigin gesagt hatte, daß er sie ausfindig machen solle, dann wäre er sein eigener Herr und sie wolle ihm die ganze Welt und ein Paar neue Schlittschuhe geben.

Und Gerda küßte seine Wangen, und sie wurden blühend; sie küßte seine Augen, und sie leuchteten gleich den ihrigen; sie küßte seine Hände und Füße, und er war gesund und munter. Die Schneekönigin mochte nun nach Hause kommen: sein Freibrief stand da mit glänzenden Eisstücken geschrieben.

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