Matthias von Schramm


Premium (World), Hamburg

Die Vermengung des Faktor X

Es gab mal ein Land mitten auf dem europäischen Festland, da hießen die Mädchen Katharina, Bianca oder Mandy. Sie lutschten gerne Wasser am Stil, trugen Röhrenjeans und fanden Liebe einwandfrei und prima. Die Makkaronis mit Jagdwurst schmeckten im Grunde genommen und die eigenen Lieder waren nicht zu verachten. In komischen Kitteln in viel zu geräumigen Läden ohne Angebot herumzustehen, war Frauensache. Andauernd kam die Verwandtschaft von drüben und teilte eine Bankrotterklärung nach der anderen mit. Über die DDR. Das nervte. Aber die Jacobs- Krönung nahm man trotzdem gern. Man hatte alles, sogar eine Perspektive, man hatte Plan und fuhr mit Autos durch die Gegend, die sie im Westen von Kirmesfesten abmontiert hatten, die aber prima liefen und die jeder selbst reparieren konnte. Autoscooterland.

In dem anderen Land hießen die Mädchen Heidi, Peter und Fatma. Man hatte keine Liebe, dafür erotisches Kino in der Stadt und auf dem Land und man erfand wunderbare Monologe in der Filmkultur. Z.B. „Sie dürfen zur Strafe mein Glied in den Mund nehmen!“ Schmissige Tanzorchester wurden zu Bands. Alte Männer wurden automatisch zu Jazzlegenden und das Kofferradio war des Picknicks bester Freund. Die Geschäfte waren eng und voll mit Nutzlosem und die Kittel waren mit aufwändig kreierten Warenzeichen bestickt. Hin und wieder verbrannten sich Menschen auf der Straße, um gegen irgendwas zu demonstrieren. Bis auf Willy Brandt waren alle Regierungschefs reichlich unsexy. Doch Willy kachelte wirklich jede zweite Journalistin durch, damit sie ihre Strafzettel wieder zerreißt.

Eines Tages trafen sich ein dicker Saumagen und ein russischer Feuermalträger und beschlossen: Genscher soll die berühmten Worte sagen.

So geschah es, dass die Menschen aus den beiden Ländern zusammen kamen, miteinander schliefen und Mandys damit begannen echte Ponys zu reiten. Dem Westen wurde eine unheimlich hoch entwickelte FKK Kultur zugemutet und dem Osten Bananen und das Heidiphone mit Nummernspeicher. Auf dem Lande wurde man rechtsradikaler als vorher, dann arbeitslos oder umgekehrt und trank den Wodka aus alten Zeiten. In der Stadt gabs coole Bands, die Biancas spielten Bass und der Punk wurde sächsisch und somit zum ersten Mal greifbar und menschlich, auch für den Hut-Träger auf der Straße.

Alles passte nicht. Die Konfektionen waren so verkehrt. Die westlichen BMW Fahrer klagten ihre alten Ostgrundstücke von vor dem Krieg zurück. Die ehemaligen Spitzel verbrannten ihre Datschen, weil sie nicht wussten ob sie etwas zu verbergen hatten. Die Studenten aus Rostock gaben ihren Kollegen die Hand und wurden dabei komisch angeschaut. Man kaufte sich schnelle japanische Autos und setzte sie auf Rügen an den Baum. Einige Mandys und Biancas heirateten nach Irland und Schottland, um wieder normale soziale Kontakte zu bekommen. Zu Schafen oder Röcken.

Heute trifft sich die Nachgeneration der Volksgenossen in Festivalzelten und lauscht dem Rennike: „Ich feier Adis Ehrentag, weil ich den Adolf gerne mag.“

3. Oktober 2012

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