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Ein Meer aus Steindächern

Ein Meer aus Steindächern

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Thomas Koch.


Premium (World), Wald ZH Zürcher Oberland, Schweiz

Ein Meer aus Steindächern

Wer einmal von oben auf das Dorf Soglio schaut, wer durch die mit dem Wakker-Preis ausgezeichneten Ortschaften des Bergells reist, dem fällt die Harmonie der Gebäude auf. Ställe, Wohn­häuser und die repräsentativen Gemeinde­häuser und Kirchen sind alle mit demselben Stein eingedeckt. Wie verwinkelt die Gassen sein mögen, wie unterschiedlich der Reichtum der Bewohner, die Dächer bilden eine Einheit aus lokalem Stein, so dass sich der Ort ins Bild der gebirgigen Natur einfügt. Zu einer Zeit, als es in Graubünden wenig Lehm und Brennöfen gab, als Transporte teuer, aber Arbeitskräfte billig waren, fügten Zimmerleute das Balkenwerk aus Bäumen, die man vor Ort schlug, und man deckte die Häuser mit den Steinen aus dem nächstgelegenen Steinbruch. Zu teuer wären gebrannte Tonziegel aus dem fernen Unterland gewesen.

Aus dem Steinbruch aufs Dach
Im gesamten Alpenraum findet man bis heute die Tradition der Steindächer, die je nach Verfügbarkeit mit Schiefer, aus Lesesteinen – etwa in Landarenca im Calancatal – oder mit Gneisplatten gedeckt sind. Viele Dörfer haben sich im Lauf der letzten Jahre auf diese Tradition zurückbesonnen und pflegen sie aktiv. So sind die Steindächer von Soglio inzwischen das Ziel von Architekturausflügen, denn – wie CUBATURA in der letzten Ausgabe berichtete – wurde das Bergell eben erst für seine Pflege der Baukultur und der damit verbundenen Bautraditionen mit dem bekannten Wakker-Preis ausgezeichnet. Das Steindach ist übrigens bei Weitem nicht nur in den Bündner Südtälern anzutreffen, sondern als regionale Spezialität auch in der Walser Baukultur unseres Kantons. Wer von Hinterrhein über den Valserberg nach Vals wandert und anschliessend hinüber ins Safiental geht, wird diese regionalen Unterschiede leicht feststellen können. Während man im Safiental die Dächer schindelt, sind die Dächer in und um Vals mit schimmernden Steinen eingedeckt.

Die einst allseits verfügbaren Steine sind heute ein wertvoller Rohstoff und begehrte Exportprodukte. Heute exportieren die Steinbrüche des Bergells, des Misox und des Hinterrheins ihre Steine bis nach Übersee. Doch erst seit Kurzem ist der Bau von einheimischen Stein­dächern wieder in Schwung gekommen. So wurde 2006 unterhalb der Passhöhe des San Bernardino ein Steinbruch wieder in Betrieb genommen, wo der San Bernardino Silber gebrochen wird. Viele solche Natursteine aus Graubünden – etwa auch Valser Quarzit – zeichnen sich durch gute Spalt­eigenschaften aus. Deshalb lassen sich daraus die Zentimeter starken Natursteinplatten herstellen, die man für die Dachein­deckung benutzt. Früher war dies Handarbeit; es wurden also formwilde Platten verbaut, heute werden die Steine von den Steinbrüchen auch gefräst und bearbeitet geliefert. Besonders geeignet sind Gesteine, die hohen Glimmer-Gehalt aufweisen, denn sie reflektieren die Sonneneinstrahlung besser. Das Resultat: Im Sommer bleibt das Steindach kühler als ein Ziegeldach. Zugleich dienen die Steine als Wärmespeicher, so dass nachts und im Winter die Wärme im Dach gespeichert bleibt.

Qualität, die überdauert
Bündner Steine überzeugen durch ihre hohe Qualität und vieles vom traditionellen Knowhow wird hier in den Betrieben des Bauhandwerkes von Generation zu Generation weitergegeben. Um ein Dach mit Natursteinplatten einzudecken, bringen Dachdecker formwilde Platten mit dem Hammer in die gewünschte Form. Vielerorts war man aus Kostengründen im Laufe der Jahre auf Blech und Ziegel umgestiegen oder verbaute gefräste Steinplatten. Doch seit das Schweizer Par­lament 1991 den «Fonds Landschaft Schweiz» gründete, bekommen Bauherren – ausgenommen bei Zweitwohnsitzen, Neubauten und neubauwertigen Umbauten – bis zu 15 Prozent der Instandstellungskosten von Steinplattendächern erstattet, besonders dann, wenn es sich um landwirtschaftlich genutzte Gebäude handelt, die das Orts- und Landschaftsbild prägen. Das hat so manchen Eigentümer dazu motiviert, ein altes Steinplattendach zu sanieren. Zudem dürften historische und neue Steindächer in Sachen Langlebigkeit kaum zu toppen sein – ein Dach hält 300 Jahre und mehr. Das recht­fertigt auch die höheren Kosten, denn ein Steindach ist eine lohnende Inves­tition für kommende Generationen.

Wer heute ein Steindach bauen lässt, hat zudem gegenüber früheren Generationen entscheidende Vorteile: Bauingenieure und Statiker verfügen über ein weltweit abrufbares Wissen zu den Materia­leigenschaften von Holz und Natursteinen und können Langzeit-Meteodaten und realitätsnahe Gebäude-­Simulationen in ihre Berechnungen miteinbeziehen. An Baumessen – wie etwa der Swissbau – sind neben Herstellern von Ziegel-, Blech- und Schindeldächern auch Hersteller ver­treten, welche Natursteindächer und Dachplatten präsentieren. Im Aus- und Weiterbildungszentrum (AVZ) in Dagmersellen (Kanton Luzern) werden für die Naturstein verarbeitende Industrie neu auch Steinwerker ausgebildet. Ihre Aufgabe ist es, die modernen Maschinen zum Sägen, Fräsen und Schleifen einzurichten und zu bedienen und damit, sowie mit Fäustel und Spitzeisen, unter anderem die Steinplatten für Wände, Böden und Dächer her­zustellen. Zudem werden – im Zusammenhang mit Wärmedämmung und Abdichtung – von der Industrie innovative Baustoffe für historische Gebäude ent­wickelt. Diese ermöglichen Architekten und Planern beim Bau von Stein­dächern Lösungen, die auch aus energetischer Sicht überzeugend sind.

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