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Claudia Sölter


Premium (Basic), Frankfurt am Main

Fredda ist weg

Fredda ist weg
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Mein geliebtes Fahrrad! Die stählerne Berghutze, mit der ich schon so viel erlebt habe und die mich ungeheuer zuverlässig und klaglos durch bisweilen widriges Gelände trug. Diese Ausgeburt von Ästhetik – Adel bis in die Speichen. Gut, zum Schluss hatte sie ein wenig zugenommen (vermutlich an den Reifen), doch ich liebte sie wie am ersten Tage im September 2005.
Ich werde Albträume haben in einer Intensität, in der ich es bisher noch nicht kannte.

Beinahe hätte ich das schreiben müssen.
Wenn ich mit Fahrrad und Anhänger auch die Bahn nutze, war/ist immer mein größter Horror, dass der Zug losfährt und eine der Komponenten – Fahrrad oder Anhänger – entweder am Bahnsteig zurückbleibt oder ohne mich davon gefahren wird.
So geschehen tatsächlich letzten Montag!
Die Haltestelle, an der sich das Drama abspielte, ist eine Endhaltestelle. Vor der Abfahrt stehen die Züge recht lange bereit und in den allermeisten Fällen ist das Einsteigen entspannt.
Die Treppen hatte ich soeben für den Anhänger mittels einer Kinderwagenrampe überwunden. Ein paar Minuten vorher hatte ich Fredda hochgewuppt. Fredda steht also bereits an der Treppe auf dem Bahnsteig, als ich mit dem Anhänger oben ankomme. Ich sehe den Zug, öffne eine Tür und stelle den Anhänger platzsparend ins Abteil. Dann will ich wieder zurück, um Fredda‘chen zu holen. In diesem Moment schließt die Tür. „Kein Problem“, denke ich, denn die Türen schließen ja immer nach ein paar Sekunden automatisch. Sie lassen sich jedoch bis zur Abfahrt wieder öffnen.
Ich drücke auf den Öffnen-Knopf – und dann fährt der Zug los! DER ZUG FÄHRT LOS! ER FÄHRT LOS!
Ich bekomme einen Adrenalin-Stoß wie in Todesangst und haue im Affekt und mit voller Wucht fäustings gegen die Tür. Diese zwei Sekunden, in denen Fredda aus meinem Blickfeld verschwindet, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Der reinste Horror!

Wer mich kennt, kennt auch mein besonders inniges Verhältnis zu Fahrrädern. Sie sind meine größte Freude und mein Schicksal zugleich. Als Heranwachsende habe ich mir das rechte Knie gesprengt bei einem Fahrradunfall – zur Therapie nach der aufwendigen Operation 1986 sollte ich Fahrrad fahren!
In meiner internen Wertehierarchie stehen Fahrräder noch deutlich vor den Kameras. Ich könnte eher den Verlust einer Kamera verschmerzen, als den eines Fahrrades und schon gar nicht den Verlust von Fredda. Sie ist definitiv der wertvollste Gegenstand, den ich besitze und je besaß – nicht nur finanziell gesehen, sondern auch emotional. Wohlgemerkt: Ich spreche hier von einem Gegenstand – Lebewesen sind natürlich noch mal eine andere Kategorie, selbstverständlich!

Ich stehe also fassungslos, wild pöbelnd und endlos traurig im Bahnabteil. Natürlich habe ich nur eine Chance: Nächste Station raus und so schnell wie möglich wieder zurück. Den Zugführer meuchele ich ein anderes Mal, nehme ich mir vor (bitte nicht zu ernst nehmen, ja?!).
Nach schier endlosen 25 Minuten kehre ich an den Tatort zurück mit langem Hals und weit aufgerissenen Augen. Wo ist Fredda? Ich sehe sie nicht! DOCH, ICH SEHE SIE!!!
Ich springe förmlich mit dem Anhänger aus dem Zug und rufe: „Fredda, ich liebe Dich! Ich komme!“
Ich muss noch auf den anderen Bahnsteig rüber (wieder diese Rampen). Dann endlich kann ich ihr zärtlich über den Sattel streicheln – wir sind wieder vereint. Mein armes Herz!
Tja, das ist die Geschichte zu diesem Bild. Alles hatte so wunderbar geklappt in jener Nacht und an jenem Morgen – schaut Euch diese Stimmung an! Mein Schutzengel hat wieder mal gute Arbeit geleistet, dabei wollte ich ihn dieses Jahr doch schonen!
Der Zugführer ist übrigens entlastet – Fredda stand, für ihn nicht zu sehen, am Treppenaufgang und der ist überdacht! Es war mein Fehler, aber der kommt kein zweites Mal vor – isch schwör‘!

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