Hermannplatz 05
Der Hermannplatz.
Hier prallen die Bezirke Neukölln und Kreuzberg, unterschiedlichste Kulturen und Formen der Mobilität aufeinander. Es ist kein Platz zum Verweilen, kein Ort zum Flanieren, wer hier her kommt, will meist woanders hin.
Oben duellieren sich Autofahrer, Radler und Fußgänger, unten bieten die U Bahnlinien 7 und 8 Fluchtmöglichkeiten, oder spucken Arbeiter Partyvolk und mutige Touristen aus. Flankiert vom Karstadtgebäude, dessen Türme den Endsiegphantasien der SS im Strassenkampf zum Opfer fielen, wird unter der Woche nebst Obst und Gemüse, allerlei Restpostengeschrammel angeboten. Wer seinen kulinarischen Bedarf mit Grillhähnchen, Tapas, Nudelboxen, einem Super Döner, oder Backfisch nicht gedeckt sieht, verliert sich vielleicht gegenüber in einem schmuddeligen MC Don, oder versorgt sich nebenan mit Donuts einer bekannten Ladenkette. Im Cafe Süß, und auf der Busspur davor, steht morgens die Polizei zur Frühstückpause Schlange um die begehrten Croissants an. Die Tanke nebenan, über die sich der Fußweg bequem, um 20 Meter abkürzen ließ, so lange man nicht den Fehler gemacht hat, sich kurz vorher eine Kippe anzuzünden, ist seit ein paar Jahren geschlossen und verrammelt. Manchmal bietet sie Obdachlosen einen Unterschlupf, bis der Wachdienst sie wieder vertreibt. Der wunderbare „Karneval der Kulturen“ startete früher von hier, und auch zahlreiche Demos nehmen hier ihren Anfang. Einmal im Jahr laufen die Teilnehmer des Berlin Marathons hier an Absperrgittern entlang. Bananen gabs am Kotti, und bald ist die halbe Strecke geschafft. Nicht unweit rekrutierte Turnvater Jahn seine Truppen in der Hasenheide, und wird dafür mit einem, gern immer wieder um interessante Assessoires bereicherten Denkmal beehrt. Neben der „Neuen Welt“ haben sich die Hindus, in jahrelanger Arbeit einen imposanten Tempel gebaut. Unermüdlich kämpfen sich Dezibel starke Krankenwagen durch den Stau, um dem Urban Krankenhaus neue Kunden zu liefern. Die Busfahrer müssen auch erst einmal die Falschparker weghupen, bevor sie ihr neckisches Kaffeepausenschild einschalten können. Nachts ist es hier vergleichsweise leer – die Party startet um die Ecke, in der Weserstrasse. Hier ist nur der Durchlauferhitzer der Stadt, der Verteilerkasten der Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte, und Nöte.
Seinen Namen hat der Platz vom Hermann, dem Cherusker. Man ahnt, auch hier hätte Varus auch auf verlorenem Posten gestanden. Die Römische Armee war zu diszipliniert, sie wären die Einzigen gewesen, die an den roten Ampeln stehen geblieben wären, und dort hinterrrücks von der Kavallerie der E-Scooter niedergemäht worden.
Als Motivation gegen Uploadmüdigkeit, habe ich mich entschlossen, mich mal auf einen Ort zu konzentrieren, und eine kleine Serie zu starten. Da wird viel banales dabei sein – spektakulär ist hier nix. Mal schauen, wie lange ich das zeitlich schaffe, und ob es mir nicht bald schon wieder langweilig wird. Immerhin ist es auch ein Ansporn, mich nun dort öfter mit der Kamera hin zu bewegen.
Bernadette O. 28/08/2021 15:15
Der kleine AugenBlick!Lumiguel56 15/08/2021 10:04
Danke für's Bild und den nicht minder interessanten Text. Spontan fiel mir, als ich von Deinem Vorhaben las, der Film Smoke ein. Du kennst den Film vermutlich, und erinnerst Dich, dass Harvey Keitel, alias Auggie jeden Tag mit Stativ ein Foto von der Kreuzung vor seinem Laden schießt. Und in der anschließenden vergleichenden Zusammenschau der entstandenen Fotos erlebt man dann, dass das scheinbar Banale doch nicht so langweilig ist, wie man zunächst wohl angenommen hätte. (Natürlich im Film noch gesteigert durch die Tatsache dass ein Stammkunde seine verstorbenene Frau auf einer frühen Aufnahme wiedererkennt)Was ich aber eigentlich damit sagen möchte ist, dass es meiner Meinung nach durchaus Sinn machen kann, quasi dokumentarisch die unterschiedlichen Lichtstimmungen, Passanten, Läden, Begebenheiten ausschließlich an einem Platz zu zeigen. Erst mit der Zeit könnte sich zeigen, dass so etwas möglicherweise zu einem spannenden Projekt wird.
oilhillpitter 15/08/2021 8:59
Da ist wohl immer was los. Hier gibt es nichts Vergleichbares. (Außer Fastfood und Backshops, nicht zu vergessen Handyläden.)ShivaK 15/08/2021 7:55
das ist ein spannender Gedanke, immer den gleichen Ort auszuwählen. Und das Banale so zu zeigen, dass es ein Bild wird, ist eine Kunst, die wahrlich unterschätzt wird. Ich bin sehr gespannt.