Herzensblick

Herzensblick

Liebe ist keine schwer faßbare, gelegentliche Stimmung, die kommt und geht, wie eine gewöhnliche Erkältung.
Sie bezieht auch unsere Gefühle mit ein, ist aber weit mehr eine Sache des Willens als der Gefühle.
Wir müssen uns auch vor der Vorstellung hüten, dass Liebe ausschließlich auf eine Welt von Traumschlössern bezieht, und nicht viel mit dem Einerlei und den Kämpfen des Alltags zu tun hat. Für jede Stunde Mondschein und Posen gibt es auch Wochen von Putzlappen und schmutzigem Geschirr.
Mit anderen Worten: Liebe ist äußerst praktisch.
Wenn bei Tisch zb eine Schale mit Bananen herumgereicht wird, und eine davon hat Flecken, dann nimmt die Liebe diese. Die Liebe putzt das Waschbecken und die Badewanne nach der Benutzung. Die Liebe ersetzt die aufgebrauchte Rolle Toilettenpapier, so dass die nächste Person nicht in Schwierigkeiten kommt. Die Liebe dreht das Licht aus, wenn es nicht gebraucht wird. Sie hebt das zerknüllte Tempotaschentuch auf, anstatt einfach darüberzugehen. Sie füllt Öl und Benzin nach, bevor sie ein ausgeliehenes Auto zurückgibt. Die Liebe leert den Mülleimer, ohne erst darum gebeten zu werden. Sie lässt Menschen nicht warten. Sie bedient erst die anderen, dann sich selbst. Sie kümmert sich um ein quengeliges Baby und nimmt es mit hinaus, damit niemand gestört wird. Die Liebe spricht laut, so dass es auch Schwerhörige verstehen können. Und die Liebe arbeitet, um Mittel zu haben, die sie mit anderen teilen kann.

Aus „Licht für den Weg“ von William MacDonald