Claudia Britt


Premium (Pro), Basel

Instax #74

Material: Zeitschriften, Plakate, diverse Materialien

diesmal noch mit einer dritten Ebene, daher:

Instax 11/2022
Text veröffentlicht in 'Entwürfe für Literatur' 16/1998

(der Text verschwindet vielleicht hier wieder - aber irgendwie gehört er zum Bild)

***

Fluchtweg

Der Saum meines Kleides berührt nun schon beinahe den Boden. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ich wachse.
Mein ungeborenes Kind schläft im Raum nebenan.
Ich beginne zu rechnen; wenn ich in dem Tempo weiterwachse, was ich zu hoffen wage, wenn ich also in dem Tempo weiterwachse, werde ich mir bereits in wenigen Tagen den Kopf stossen am Parkett. Gute Aussichten.
Die Befreiung, sage ich und mache probehalber ein paar tanzende Schritte mit hochgehaltenem Saum. Die Befreiung aus den skelettierten Schwingen des Vogels, der aus tiefen Augenhöhlen eifersüchtig mein Wachstum verfolgt. Das Reissen der Blutspur.
Ein Hineinsterben ins Leben, lache ich höhnisch, dankbar für diesen Ausweg, und der Schatten, der noch immer besitzergreifend auf mir liegt, wird unruhig. Ich sehe es am Spreizen der Flügel, die wegen des fehlenden Federkleides wie Fingerfächer über mein tanzendes Kleid fallen. Ich höre es an seinem Stöhnen; er droht mir.
Ich weiss, er fürchtet den Tag, an dem er auf den planen Boden fallen wird; dieses Zurückgeworfenwerden auf sich selbst. Aber ich kann ihm nun auch nicht mehr helfen; ich habe mich dazu entschlossen zu gehn.
Ich bin ihm entwischt und stehe am Bett meines Kindes, das nun nicht mehr zu verzichten braucht auf seine Mutter.
Ein behutsames Flügelschlagen vor den Fenstern und dazu mein sorgloser Blick. Flugfähige Vögel hinterlassen keine bleibenden Schatten.
Mein Kleid ist rot, burgunderrot; es endet eine Handbreit über dem Knie.

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