Kevin I (Auf der Schwelle I)
Vielen Dank Pekka H. für die Bearbeitung!
Der Prozess, in dem die Serie "Auf der Schwelle" entstand, war für mich sehr interessant. Die Zusammenarbeit ergab sich aus einem langen und erstaunlichen Gespräch mit Kevin, in dem wir uns, gleichsam aus dem Nichts und trotz des Altersabstands, intensiv darüber austauschten, was uns bewegt - worum es uns im Leben geht und wo wir jetzt stehen. Am Nachmittag des Photographierens konzentrierte ich mich darauf, das, was ich von seiner Person erfasst zu haben glaubte, auch zu sehen - in seinen Blicken, seinen Gesten, den Körperhaltungen, in der Art, wie er mit Dingen umgeht und einen Raum ausfüllt; und darauf, Übersetzungen auf die visuell-bildliche Ebene zu finden.
Dabei hatte ich zugleich ein dunkles Gefühl, dass mein Interesse nicht darin aufging, seine individuelle Person (psychologisch oder charakterlich) angemessen darzustellen. Dieses Gefühl klärte sich dann in der anschließenden Phase des Sichtens der Bilder und des Nachdenkens darüber, wie ich sie zusammenstellen könnte. Es wurde mir klar, dass ich Kevin - und mit ihm plötzlich viele andere Personen - in einer bestimmten Lebenssituation sah: im kritischen Augenblick des Heraustretens aus geschlossenen (familiären etc.) Kontexten in neue, erst zu findende sah, und damit auch in der Situation, sich selbst neu zu befragen und zu entdecken. Damit war das Thema der Serie gefunden: "Auf der Schwelle" umkreist genau diesen Übergang, diesen 'leeren' Zwischenraum, diesen Spalt zwischen 'Nicht-mehr' und 'Noch-nicht'. Damit ergab sich die 'Architektonik' der Zusammenstellung fast von selbst.
Der scheinbar schon abgeschlossene Arbeitsprozess öffnete sich dann während des Veröffentlichens noch einmal - meine Selbstreflexion trat stärker in den Vordergrund und damit erweiterte sich auch das Thema: Die Schwellensituation wurde in meinem Verständnis zu etwas, was auch in späteren Lebensphasen, unter jeweils veränderten Vorzeichen, als Herausforderung wiederkehrt. Und schließlich der Gedanke: Heißt Ichsein nicht überhaupt, sich auf einer solchen Schwelle, in einem solchen Zwischenraum zu befinden?
Wenn an diesen Bildern etwas gelungen ist, dann ist das zum großen Teil Kevin Samra zu verdanken, der trotz der drohenden photographischen Fixierung bei sich und er selbst geblieben ist.
Pekka H. 22/10/2013 12:32
Lieber Lucius, ich kann Dich zu Deiner fotografischen Leistung nur beglückwünschen. Dir ist das Kunststück gelungen, die portätierte Person - Kevin - aus verschiedenen Blickwinkeln zu zeigen und damit tatsächlich auch wechselnde Facetten der Persönlichkeit zu zeigen und doch glaubhaft bei einer Person zu bleiben. Die Gefahr beim Bewusst-fotografiert-werden ist ja, dass sich der Fotografierte in Pose setzt und der Fotograf der Versuchung erliegt, dies mit Gestaltungsvariationen einfach nur bequem anzunehmen, ohne auf die Authentizität zu achten. Ihr hattet den Vorteil eines ausführlichen Kennenlerngesprächs und Du ein selbstgestecktes Ziel. Damit lässt sich gemeinsam etwas erarbeiten, was über die leider verbreitete Oberflächlichkeit in der Porträtfotografie hinaus reicht. Deine Bilder wie auch Dein Text zeigen eindrucksvoll, dass es gelingen kann, unter die Oberfläche zu schauen. Ob es hierfür Sensibilität, Klugheit, Menschenkenntnis oder vor allem Freude am Experimentieren braucht, vermag ich nicht zu beurteilen. Vermutlich von allem etwas. Was man jedenfalls nicht braucht, ist eine teure Kameraausrüstung, eine Lichtanlage, einen Assistenten mit Reflektor, ein professionelles Fotomodell und viel Erfahrung in der Peoplefotografie. All das hast Du nicht eingebracht, und doch ist das Ergebnis mehr als eindrucksvoll. Kompliment an beide!LG Pekka
znopp 22/10/2013 2:13
Neben diesem beeindruckend gestalteten Porträt finde ich auch deinen Text zum Arbeitsprozess und der Entstehung dieser Serie tiefgründig und aufschlussreich. Selten wird so klar über das Prozesshafte in der Bildgestaltung reflektiert wie hier.Die Inszenierung des Übergangs find ich in allen Bildern der Serie beispielhaft. Und das ist dabei sowohl dem Model als auch dem Bildgestalter zu danken. Man merkt als Betrachter die Dialektik des Vertrauens und der Intimität zwischen Objekt und Subjekt - und deren wechselnde Rolle im Entstehungsprozess.
lg christian