Licht - Leben - Liebe
Der Maler der Madonna mit dem Kind im Schutzmantel war Pfarrer und Arzt und auch Künstler. Kurt Reuber malte diese Kohlezeichnung im Kessel von Stalingrad in der Vorweihnachtszeit 1942 auf die Rückseite einer russischen Landkarte. Hitler hatte kurz vorher einen Ausbruchsversuch der Generalität kategorisch abgelehnt und überließ so die Soldaten ihrem unausweichlichen Schicksal. Es gab kaum noch etwas zu essen, bei -40°C. Ende Januar 1943 endete das Desaster durch die Kapitulation der deutschen Truppen. 150.000 Soldaten waren im Kessel gefallen, von den 108.000 Gefangenen überlebten nur 6.000. In der Schlacht um Stalingrad kamen insgesamt 700.000 Menschen ums Leben, die meisten davon Soldaten der Roten Armee. Kurt Reuber starb am 20. Januar 1944mit nur 37 Jahren im Kriegsgefangenenlager Jelabuga in Tartastan an einer schweren Krankheit. Mit einem der letzten Transportmaschinen aus dem Kessel kam das Bild mit einem Brief Reubers an seine Frau nach Deutschland. Im August 1983 schenkte die Familie das Bild der Gedächtniskirche in Berlin. In der fast immer offenen Gedächtniskirche hängt seither das Original. Ich fand das Bild letztes Jahr kurz vor dem terroristischen Anschlag, bei dem auf dem Weihnachtsmarkt vor der Gedächtniskirche 12 Menschen starben.
Kurt Reuber schrieb seiner Frau: „Ich habe lange bedacht, was ich malen sollte - und dabei herausgekommen ist eine "Madonna“ oder Mutter mit Kind. Ach könnte ich sie so gestalten, wie die Intuition es möchte! Meine Lehmhöhle verwandelte sich in ein Atelier. Dieser einzige Raum, kein nötiger Abstand vom Bild möglich! Dazu musste ich auf mein Bretterlager oder auf den Schemel steigen und von oben auf das Bild schauen. Dauerndes Anstoßen, Hinfallen, Verschwinden der Stifte in den Lehmspalten, keine rechte Unterlage. Nur ein schräggestellter, selbstgezimmerter Tisch, um den man sich herumquetschen musste, mangelhaftes Material, als Papier eine russische Landkarte. Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen. "Geborgenheit" und "Umschließung“ von Mutter und Kind. Mir kamen die Worte des Johannesevangeliums in den Sinn: Licht, Leben, Liebe. - Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt - in der Dunkelheit, Tod und Hass umgeben - und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe, die so unendlich groß ist, in jedem von uns …“
Für Heiligabend 1942 hatten die beiden kriegführenden Seiten “stillschweigend“ einen Waffenstillstand vereinbart. Es herrschte eine gespenstische, fast unheimliche Stille. In den besetzten Häusern begingen Soldaten und Zivilbevölkerung bei Kerzenlicht das Weihnachtsfest, jeder für sich und auf seine Weise. Kurt Reuber und seine Kameraden hatten sich “in seinem Bunker“ zu einer “Weihnachtsfeier" eingefunden. Völlig ergriffen verharrten die Männer vor dem Bild der Mutter, die in ihrem Mantel das Kind beschützt. Den Anwesenden war die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation vollkommen bewusst, aber trotz Hunger und Kälte ließ sie diese Zeichnung für einige Stunden Hoffnung schöpfen - Hoffnung, dass der sinnlose Krieg zu einem raschen Ende kommen möge.
In ihrem Unterstand feierten die Soldaten damals Weihnachten. Das Bild der Madonna mit dem Kind machte dabei den Ort zur Weihnachtskirche.
AnSichtsSachen15 17/12/2017 16:11
ich kenne das auch aus der gedächtniskirche.ein zeitdokument.
schön, dass du daran erinnerst.
lg di