Masken
Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere.
Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmuzig,
es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat.
Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen.
Es sei genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen?
Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den anderen?
Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen.
Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht.
Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab.
Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte.
Das hat natürlich seine Tragik.
Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher,
ist an vielen Stellen dünn wie Papier und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus,
das Nichtgesicht,
und sie gehen damit herum...
- Rainer Maria Rilke -
...aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen.
Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht.
P r i s m a 22/09/2008 13:25
Immer wieder ein Genuß Deine Bild-Text Kompositionen ,
gefällt mir ausgesprochen gut.
liebe Grüße Marianne
Helga Niekammer 16/08/2008 18:05
Rilkes Zeilen sind unübertroffen. Freue mich immer wieder über die Auswahl, die du zu Deinen umwerfend guten Bildkompositionen stellst. Masken, Gesichter - wer versteckt sich hinter was und hinter wem??? Oder manchmal nur sein eigenes Ich... LG HelgaAstrée 11/08/2008 10:04
hier fehlt MIR eindeutig Licht .. ansonsten : 1A !LG Astree
EDDArt 11/08/2008 7:43
Kamen die Worte zum Bild oder das Bild zu den Worten?Wie immer bei Dir, lieber Andreas, bildet beides zusammen eine "wahre" Harmonie in Perfektion!
Mit lieben Grüßen für Dich, EDDA :-)
N. Claudia 03/08/2008 12:25
man muss dein bild schon wirklich betrachten....auf den zweiten blick eine bemerkenswerte präsentation in wort und bild.
einen lieben gruß in einen sonnigen sonntag sendet dir claudia
Tanjung-Pinang 01/08/2008 8:36
Jeder hat zwei Gesichter.Geheimnisvolles Foto.
lg monika
try out 01/08/2008 2:04
was für eine ganz und gar wunderbare allegorie ..... andreas, dieses bild fasziniert mich total !ich schau schon ganz lange....
meine gedanken tanzen mir immer wieder davon...
in diese geheimnisvolle welt deiner schwebenden
gesichter...körper...fragmente...... des immerwährenden
theaters.........im vestibül der einsamen eitelkeiten...
eine hinreissende bildwerdung der rilkeschen gedanken
es wird mich im traum begleiten
gute nacht !
ENIWA 31/07/2008 20:48
"Wir sind viel zu unaufmerksam und zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um unsere Mitmenschen zu ergründen. Wer auf einem Ball die Masken beobachtet hat, wie sie verliebt miteinander tanzen, einander an den Händen halten und sich im nächsten Augenblick ohne das geringste Bedauern auf Nimmerwiedersehen trennen – der kann sich eine Vorstellung vom Wesen der Welt machen. "Luc de Clapiers Vauvenargues
Andreas , bisher habe ich viele Masken gesehen; wann werde ich menschliche Gesichter sehen ???
Sehr gut Fotografiert, und wahre Gedanken!
GLG an DICH, Ewa
Horst Häring 31/07/2008 18:50
Kluge,feine Worte.....und ein auf den ersten Blick unscheinbares Bild,das bei näherer Betrachtung zu immer mehr Ausdruck gelangt.....
auch Dank der Worte....
Klasse Komponiert,Andreas !!
LG
Horst