Nachricht auf Suaheli
Im mecklenburgisch-vorpommerschen Seengebiet fand ich kürzlich diese merkwürdige Nachricht auf der Rinde einer Hainbuche. Normalerweise werden solche Flechtenbriefe mit der Schriftflechte (Graphis scripta) geschrieben. Dies hier ist aber eine Nachricht, die in ein offenbar gaaanz weit entferntes Land geht. Nach langem Suchen habe ich herausgefunden, dass es mit der Schwarzen Zeichenflechte (Arthonia atra) verfasst wurde -:)
P.S. Auf besonderen Wunsch eines einzelnen Herren füge ich unten das Klagelied von Frau Klement über ihren "flechtentollen" Mann an (Oscar Klement war Fabrikdirektor und einer der besten Flechtenkenner seiner Zeit). In diesem Gedicht werde ich übrigens auch erwähnt ... als einer jener Studenten, die ihn mit Päckchen voller "Flechtenmist" zwecks Bestimmung drangsaliert haben.
DIE FLECHTENKLAGE
Kryptogamen, meine Damen, das sind Pflanzen ohne Samen.
Doch die samenlosen Dinger wickeln Weise um den Finger!
„Ach, wenn doch die Flechten nicht mehr wachsen möchten“,
seufzt die Hausfrau jammervoll, denn ihr Mann ist flechtentoll!!!
Seit Herr Anders ihn besuchte und ihm brachte die verruchte
Macilenta, spitzgeformt, rotgeköpft, die Frucht genormt,
Rentierflechten noch dazu, Kisten türmten sich im Nu.
Auf dem Boden, in der Wohnung standen sie als stille Drohung;
und die Ordnung schwand dahin in dem Haus der Klementin.
Dann begann das große Wandern, jenen Berg - und auch den andern!
Da hinauf und dort hinunter, über`n Zaun am Hintern runter.
O, wie sah der Mann nun aus, ihn zu sehen war ein Graus!
Nicht genug mit solchen Sachen - da gibt`s wirklich nichts zu lachen - :
Rückt mit Hammer und mit Meißel er dem großen Berg an`s Beißel.
Klopft und flucht bei Sonnenhitze an des Felsens spröder Spitze.
„Endlich“ stöhnt er, „Halleluja, unversehrt ist die Parmelia!“
Zärtlich dreht er sie im Kreise, singt ihr eine süße Weise,
hat nicht Hunger und nicht Durst, selbst die Frau ist ihm jetzt Wurst!
Weiter geht`s im schnellen Lauf das Tal hinab, den Berg hinauf;
und so sind die Sommertage ausgefüllt mit Müh` und Plage!
Als der Regen dann begonnen, hat der Mann sich eingesponnen.
Mit Paketen und mit Kisten tat die Wohnung er verwüsten.
Bücherschrank wird angebaut, Büchern ward er angetraut.
Mikroskop muß her zur Stell` (dafür hat das Geld er schnell!)
Es begann mit Präparieren, Schneiden, Färben und Probieren:
Lecidea, die bricht das Glas und mit Kali färbt er was.
Xanthoria wird rot vor Scham, Cetraria läuft bläulich an.
Was im Migula nicht stand, sicher er im Anders fand.
Und was Lindau nicht erdachte, Magnusson bestimmt es brachte.
„Frau, komm her, du mußt mal kosten:
Ist sie bitter, ist sie sauer? Deine Zunge schmeckt`s genauer.“
Und schnell wird ein Stückchen Dreck mir in meinen Mund gesteckt!
Und von Schläuchen und von Sporen hören ständig meine Ohren.
Wenn sie doch wie Vögel wären, die durch Eier sich vermehren,
und in ihrem kleinen Bauch trügen keinen Sporenschlauch!
Die Studenten - Sie erlauben - leben auch im guten Glauben;
doch in ihren Päckchen ist meist - zu sagen - Flechtenmist!
Sonntag ist der Tag des Herrn und mein Mann ist mir ganz fern.
Montag liegt in jeder Eck` fingerhoch der Flechtendreck.
Handtuch, Tischtuch, Rock und Hemd sind vom Diamin geschändt.
Dieses Zeug - und Jod dazu - schönste Muster gibt`s im Nu!
Doch hat mein Blick in stillen Stunden den Weg durch`s Okular gefunden:
Sieht man vor sich die Wunderwelt, die von Flechten wird gestellt,
dann kann die Männer man begreifen, wie sie an so viel Allmacht reifen.
Darum soll`n die Flechtenfrauen nicht mit Angst den Schmutz beschauen,
den die Flechtenmänner heiter tragen in die Stube weiter.
Solang` sich wird der Globus drehen, so lange wird es Menschen geben,
die den Flechten sind verschrieben, die Lichenen innig lieben.
Dennoch: „Mit den Flechten ist`s ein Elend“ sagt die Frau von Oscar Klement.
aus: Lange, O.L. (1983): Oscar Klement, 1897 bis 1980. - Ber. Deutsch. Bot. Ges., Bd. 96; S. 577-589
Christian Johannes Michel 23/01/2014 23:29
Herzlichen Dank für Deine Betreuung bei meinen Flechtenbestimmungen.Diese Schriftzeichen hier sehen für mich sehr ausserirdisch aus...
Ein ganz treffliches Gedicht - ich habe mich köstlich darüber amüsiert und ich glaube,dass so Einiges davon der Realität entspricht,denn Flechten machen süchtig
LG,christianjohannes
Ernst Seifert 30/09/2013 16:07
Für mich unglaublich, was "flechtentolle" Männer an "Flechtenmist" so alles ans Tageslicht befördern. Noch nie zuvor habe ich solche Hochachtung vor Flechten und Pilzen gehabt, wie angesichts Deiner Bilder, die Du in dieser Vielzahl und hohen fotografischen Qualität zusammengetragen hast. Ich habe alle Deine Bilder (allerdings im Schnelldurchlauf - bitte entschuldige) genossen. Einfach genial!!!!VG Ernst
Beatrice J. 29/09/2013 12:27
Deine suahelische Baumpost ist hier in den Bergen angekommen....gaaanz so weit ist sie doch nicht verschickt worden. Auf verschiedenen Bäumen ist man bereits dabei ein Antwortschreiben zu verfassen...Es könnte sich natürlich auch um eine Art Rundschreiben handeln - dann hätte Deine Post hier nur eine kleine Zwischenstation gemacht...;-))Sie besticht natürlich wieder durch die grosse Nähe und die tadellose Qualität der Aufnahme.
Gute Tage wünscht Beatrice
Ein besonderes Leckerli ist natürlich auch das Klagelied der gebeutelten Ehefrau eines Flechtentollen und sicher fühlt auch Deine Gattin sich hier sehr verstanden...;-)))
Maria J. 28/09/2013 20:53
@ Ulrich,ich würde nie für möglich halten,
dass da noch Platz für eine zweite Marotte ist ...
oder gar für eine dritte ... ,-))
LG Maria
Ulrich Kirschbaum 28/09/2013 19:20
@Maria, ich weiß nicht ob die vorzeitige Herausgabe dieser Lektüre taktisch geschickt wäre -:)Andererseits würde das vielleicht etliche Verwerfungen in einer Beziehung vermeiden helfen, wenn die/der andere weiß, worauf sie/er sich einlässt.
Ich hatte auf jeden Fall großes Glück ... die meinige hat meine Marotte mit unglaublicher Geduld und Toleranz ertragen - und das ist noch nicht einmal die einzige, die ich habe -:(.
mfg Ulrich
Maria J. 28/09/2013 15:31
Schau an, in Mecklenburg sprechen die Flechten Suaheli! Aber immer wenn ich es mit ihnen auf Platt versucht habe, bekamen sie den Mund nicht auf ... ,-)Hinter dieser hübschen blumigen Flechte können sich ja nun alle anderen verstecken.
Sie wirken daneben wie Analphabeten .. ,-)
Ganz besonders gut gefällt mir aber auch das wunderbare Klagelied der "Flechtenfrau" ...;-)
Auch sollte man unbedingt das Drama eines gewissen U. Kirschbaum über die Leiden einer weiteren Flechtenfrau gelesen haben ... ;-)
Zwei köstliche Gedichte, die die Lichenologen den Damen ihrer Herzen möglichst vor dem Ja-Wort
zu lesen geben sollten ... ,-)
Hat Spaß gemacht - gern mehr davon ... ,-)
Viele Grüße!
Maria
Burkhard Wysekal 21/09/2013 14:54
Hier muß man schon ein wahrer Flechtenexperte und Liebhaber sein.....Ich hätte an Abdrücke von Krähenfüssen geglaubt.
Naja, meine Ahnung mit Flechten kennst Du ja.....;-)).
Sauber aufgenommen .
LG, Burkhard
Ulrich Schlaugk 19/09/2013 22:59
Dieses Blumenmuster muß man erst mal als Flechte wahrnehmen. Für den Laien schon schwierig.Freundliche Grüße
Ulrich
Ich kenne auch ein schönes Gedicht über "Die Leiden einer Flechtenfrau"
http://www.forum-madeira.de/thread.php?board=97&thread=39
Marianne Schön 19/09/2013 21:38
Ein grandioses Flechtenfoto und einganz besonderes Gedicht...klasse.
NG Marianne
Werner Bartsch 19/09/2013 21:32
eine wunderschöne flechte hast du wieder parat !das gedicht ist wirklich für den "flechten-fanatiker" :-)
lg .werner
Karl Böttger 19/09/2013 13:42
Wieder ein ausgesucht schönes Flechtenfoto und ein weiteres köstliches Gedicht. Super.LG Karl
tiedau-fotos 19/09/2013 13:24
Eine feine Aufnahme und dazu ein solch schönes Gedicht. Hut ab...Ja mit den Hobbys ihrer Männer haben es die Frauen oft nicht leicht - da hilft nur gemeinsam das Gleiche machen - so wie Elke und ich
lieben Gruß Uli + Elke