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Nazi-Verbrechen (auch) in Groß-Gerau: „Nie wieder: Überlasst sie der Menge“ 06

Nazi-Verbrechen (auch) in Groß-Gerau: „Nie wieder: Überlasst sie der Menge“ 06

Sabine Streckies 02


Premium (World), Offenbach am Main und Weilrod im Weiltal

Nazi-Verbrechen (auch) in Groß-Gerau: „Nie wieder: Überlasst sie der Menge“ 06

Im Groß-Gerauer Stadtmuseum wurde am 29. 08.18 die Ausstellung "Überlasst sie der Menge" zum Mord an den US-Soldaten Harvey J. Purkey und Charles H. Evans jr. im August 1944 eröffnet.
Eine wichtige, schöne, würdevolle und erfreulicherweise auch sehr gut besuchte Veranstaltung.
Da der Hessische Rundfunk und die Presse vor Ort waren hoffe ich, dass Berichterstattung erfolgen wird.

Am Ende des offiziellen Teils kam es noch zu etlichen Gesprächen in kleineren Runden, in denen von einigen Besuchern mit Sorge auf die Ereignisse in Chemnitz (und anderswo) hingewiesen wurde. In diesem Zusammenhang stellt sich die Forderung „Nie wieder“ aktuell neu und auf die Gegenwart bezogen. Im Stadtmuseum Groß-Gerau fanden wir an diesem Abend keine Antwort, den meisten war aber klar, dass sie von den Menschen – nicht nur den Politikern – sehr schnell gefunden werden muss.

Die Aufnahme zeigt einen – nur sehr kurzen – Eindruck aus der Ausstellung.

Untenstehend ein Artikel aus dem Groß-Gerauer Echo vom 25.08.18, der mich zur Ausstellung brachte:

„Gelyncht
Aufarbeitung zweier Lynchmorde von 1944 in Groß-Gerau

Von Jörg Monzheimer

Die jungen Soldaten der Crew "Hard to get" wurden im August 1944, der Menge zum Lynchen übergeben. Beide Männer wurden auf brutale Weise ermordet. Im Stadtmuseum Groß-Gerau beginnt nächste Woche eine Ausstellung zur Aufarbeitung der Morde.

GROSS-GERAU - Lange ist der Mantel des Schweigens über ein düsteres Kapitel der Groß-Gerauer Stadtgeschichte gehüllt worden. Der bestialische Mord an zwei jungen US-Soldaten spielte im öffentlichen Gedächtnis keine Rolle. Jetzt, 74 Jahre nach den Ereignissen vom August 1944, beginnt die Aufarbeitung.

Ihren Anfang nimmt die Geschichte am 26. August. Bei Rheinberg am Niederrhein wird eine amerikanische B-17 abgeschossen, deren Crew sich den Spitznamen "Hard to get" gegeben hat. Einige Mitglieder der Besatzung sind sofort tot. Zu denen, die gefangen genommen werden, gehören Flugzeugingenieur Harvey J. Purkey und Charles Evans jr. Sie sollen mit dem Zug nach Oberursel gebracht werden, zum zentralen Verhörzentrum. In der Nacht gelingt es ihnen, irgendwo zwischen Mainz, Wies-baden und Rüsselsheim zu fliehen. Sie wollen sich über den Rhein nach Frankreich durchschlagen.

Schläge mit Eisenstangen, Holzlatten, Gürteln und Fäusten
Erfolg ist ihnen nicht beschieden. Da es in der Nacht vom 25. auf den 26. August im Rhein-Main-Neckar-Raum großangelegte Fliegerangriffe gegeben hat und mehrere "Feindmaschinen" abgestürzt sind, wird systematisch nach alliierten Soldaten gesucht. Bei Trebur werden Evans und Purkey gefasst, der Bürgermeister lässt sie nach Groß-Gerau bringen.
Dort ist die Stimmung aufgeheizt. Am Nachmittag sollen die Toten des Bomberangriffs in der Nacht vom 25. auf den 26. August beerdigt werden, der 28 Einwohnern der Kreisstadt das Leben gekostet hat.

"Das war ein fatales Zusammentreffen", sagt Groß-Geraus Museumsleiter Jürgen Volkmann. Kreisleitung der NSDAP und der Landrat sollen angeordnet haben, die jungen Männer der Menge zum Lynchen zu übergeben. Zwischen Rathaus und dem - damals noch in der Frankfurter Straße befindlichen - Stadthaus sind etwa 300 Men-chen versammelt, von denen mehr als 50 eine Stunde lang mit Eisenstangen, Holz-latten, Gürteln und Fäusten auf die beiden Amerikaner einschlagen.
Dann greift Groß-Geraus Polizeipräsident Nikolaus Fachinger ein. Gemeinsam mit dem Luftwaffenangehörigen Georg Sturm und Heinrich Flauaus zerrt er die verletzten Flieger auf den Hof des Stadthauses, schließt das Tor. Danach soll er Sturm und Flauaus Brecheisen in die Hand gedrückt und die Ermordung der beiden Amerikaner befohlen haben. Mit Schlägen auf Gesicht, Nacken und Schädel werden sie ums Leben gebracht.

Die Münchner Historikerin Dr. Susanne Meinl hat sich mit den Vorgängen befasst, für die Ausstellung "Gewalt und Geschlecht" im Militärhistorischen Museum der Bundes-wehr in Dresden die Rolle von Frauen bei solchen Vorfällen untersucht. Auf Groß-Gerau stieß sie, weil der Fall Benjamin Ferencz, dem späteren Chefankläger der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, besonders in Erinnerung geblieben war - nicht zuletzt, weil eine Frau mit ihrem Schuh auf die US-Soldaten eingeschlagen hatte. Sie soll sich gerühmt haben, noch nie so schnell ihre Schuhe ausgezogen zu haben. "Die Lynchmorde an Fliegern sind wissenschaftlich kaum aufgearbeitet worden", erklärt Meinl.

Die Verantwortlichen für die Morde wurden nach Kriegsende zur Rechenschaft gezogen, Fachinger und Flauaus im April 1946 in Landsberg am Lech gehenkt. Sturm, der 1947 gefasst wurde, berief sich auf Erinnerungslücken, kam mit drei Jahren Zuchthaus davon. Auch gegen weitere Beteiligte sind Haftstrafen verhängt worden. Die Angehörigen in den USA erfuhren erst aus Zeitungsberichten über die Prozesse, dass Evans und Purkey tot sind.

Lynchmorde gab es nicht nur in Groß-Gerau. In Rüsselsheim, wo beim Bombenangriff am 26. August 1944 fast 200 Menschen ums Leben kamen (darunter 177 Zwangsarbeiter), wurden am Morgen dieses Tages acht amerikanische Kriegsgefangene durch die Straßen geführt. Sechs Männer wurden vom Mob getötet, lediglich zwei überlebten. In Rüsselsheim ist 2004 nach teils hitziger Debatte am Tatort Taunusstraße/Grabenstraße ein Mahnmal errichtet worden, auf dem auch Bilder der Opfer gezeigt werden.

In Groß-Gerau blieb diese Auseinandersetzung bislang aus. Am 29. August soll nun im Museum eine Ausstellung eröffnet werden, die an die Ereignisse erinnert. Jürgen Volkmann hofft, dass die Schau Anstoß zum Erinnern und Nachdenken gibt, Zeit-zeugen bereit sind, über die Vorgänge zu reden. Zur Eröffnung werden Angehörige von Mitgliedern der "Hard to get"-Crew erwartet, darunter Thelma Sherett, die Schwester von Charles Evans. Die kleine Reisegruppe ist dieser Tage in Europa unterwegs, besucht die Schauplätze von damals - auch in der Hoffnung, ihren Frieden finden zu können. Am früheren Stadthaus, dem heutigen Sitz der Stadt-werke, soll bald eine Plakette an die Morde erinnern. "Wir stellen uns unserer Verantwortung und Geschichte", sagt Bürgermeister Erhard Walther, der von "unsäglichem und unerträglichem Leid" spricht. Auch die Angriffe rechtfertigten nicht, "jemanden durch die Knüppelgasse zu schicken und totzuschlagen". Auf der Plakette würden Evans und Purkey bewusst gezeigt, um den Opfern ein Gesicht zu geben.

Am 25. Oktober, um 19.30 Uhr hält die Historikerin Susanne Meinl einen Vortrag mit dem Titel "Tage im August. Die Fliegermorde im Sommer 1944". (mzh)“

https://www.echo-online.de/lokales/kreis-gross-gerau/gross-gerau/aufarbeitung-zweier-lynchmorde-von-1944-in-gross-gerau_19026188

https://www.gross-gerau.de/Freizeit-Kultur/Kultur-Kunst/Stadtmuseum

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Groß-Gerau, Stadtmuseum, 29.08.18.
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