Schlechte Erinnerungen

Schlechte Erinnerungen

Hier habe ich Mitte der 1970er Jahre eine Lehre als Landwirt begonnen.
Hier herrschte der Bauer als Patriarch über Familie, Lehrlinge und Vieh.
Hier wurde Ferkelzucht und Anbau von Feldfrüchten betrieben.
Hier wurden die Ferkel mit dem Taschenmesser des Bauern kastriert. Zwei Schnitte um den Bauchraum zu öffnen, zwei Schnitte um die Hoden zu entfernen.
Hier wurde keine Betäubung vorgenommen und die Wunden wurden nicht versorgt.
Hier wurden mit einem Seitenschneider die Schwänze gekürzt, ebenfalls ohne Betäubung.
Hier wurden die Hoden und die Schwanzenden der Muttersau zum Fraß vorgeworfen.
Hier wurden Ferkel, welche Mißbildungen aufwiesen, Spreizbeine entwickelten oder einfach nur krank waren, an den Hinterbeinen gepackt und mit dem Kopf an den Boxenpfahl oder die Wand geschlagen. Danach landeten sie in der Karre mit dem Mist und wurden später untergepflügt.
Hier wurden diese Quälereien und Tötungen nahezu täglich vorgenommen, es war die Regel.

Der Bauer selbst war Samtgemeindebürgermeister.
Er hatte einen hohen Posten bei einem örtlichen Geldinstitut.
Er war in allen Gremien des dörflichen Lebens auf einflußreichen Posten vertreten.
Er hatte das Sagen in der Streusiedlung im Moor.

Nach einem dreiviertel Jahr habe ich die Lehre abgebrochen.
Ich habe wenig über Landwirtschaft, aber viel über Menschen gelernt.
Als ich vor Jahren seinen Nachruf in der örtlichen Zeitung las hat es mich nicht berührt.
Nur erinnert an die Überheblichkeit eines Menschen den keiner gebremst hat, für den andere Menschen nur Mittel zum Zweck waren und Tiere nur dann etwas bedeuteten wenn sie gesund auf den LKW verladen wurden.

Leider gibt es von diesen Menschen grade heutzutage viel zu viele - und zu wenig Bremser.