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Verstrickt (1), Münster 2007

Verstrickt (1), Münster 2007

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E. W. R.


Premium (Pro)

Verstrickt (1), Münster 2007

Isa Genzken, Ohne Titel, Skulptur Projekte Münster 2007

Isa Genzken
*1948, Bad Oldesloe, lebt und arbeitet in Berlin
Projekt: Ohne Titel
„Auf dem Platz vor der Kirche Unserer Lieben Frau (Überwasserkirche) wird ein Passionsspiel gegeben. Die zeitgenössische Version weicht stark von der historischen Vorlage ab. Die neue Leidensgeschichte muss nicht dieselbe sein wie vor zweitausend Jahren. Statt Sandalenträger in härenen Kutten inszeniert Isa Genzken zwölf Assemblagen mit billigem, farbschreiendem Plastikkitsch und unter ihnen begrabenen klassischen Designmöbeln, in denen sich die Hauptdarsteller – Kinderpuppen – verfangen zu haben scheinen.
Die üppigen Ballungen der schillernden Konsumwelt ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. Plastikblumen in Plexisitzschalen, dazu Schwimmreifen und Wasserpistolen – es scheint improvisiert und ist doch präzise komponiert. Schildmützen, Sonnenhüte und viele bunte Schirme schützen die Kinderpuppen vor Sonne und Regen. Sie brauchen jeden Schutz, den sie bekommen können, denn sie stecken in unmöglichen Situationen fest – das Leiden heißt Wohlstandsverwahrlosung. „Es ist nicht so, dass die Kunst still sein muss,“ sagt Isa Genzken, „aber sie muss in sich eine Attraktion sein.“ Gerade in ihrer grotesken Zusammenstellung ist die Arbeit von Isa Genzken – die an diesem Ort, vor einer Kirche, auch im Sinne des Leidenswegs verstanden werden kann – offen für jeden, der sie sich erschließen möchte, ob in stiller Betrachtung oder lautem Zweifel.


Biographie
Isa Genzken hat bereits 1987 und 1997 an den Skulptur Projekten teilgenommen. Genzkens Arbeiten leben von der Frage, wie unsere Umgebung uns prägt und was sie bewirkt. Spannungsverhältnisse zwischen Architektur, Werbung, Design und den Medien bestimmen das menschliche
Verhalten im öffentlichen Raum und stehen im Fokus des Interesses von Genzken. Formal sind ihre Arbeiten an einen autonomen Kunst- bzw. Skulpturbegriff gebunden. Oft wählt sie Materialien, die den temporären Charakter ihrer Arbeiten hervorheben. Genzken arbeitet ebenso mit klassischen Werkstoffen, wie mit Foto und Video bzw. Spiegelelementen, Plastikfolie n oder Alltagsutensilien. Ihre Werke beziehen sich unmittelbar auf den Ort: Sie versuchen, sein Wesen aufzunehmen und ihn in einen neuen Zusammenhang zu stellen.“
http://www.skulptur-projekte.de/kuenstler/genzken/

Commenti 10

  • E. W. R. 04/10/2010 20:27

    Dass den Leuten vieles egal ist, hängt auch mit der von Genzken dargestellten Wohlstandsverwahrlosung zusammen.
  • † werner weis 30/09/2010 21:27



    sieht ziemlich geschafft aus
    stellt gut dies da - wenn man so fertig ist
  • E. W. R. 08/01/2009 9:00

    Mit der Möglichkeit einer Entgegnung scheint es nicht so weit her zu sein. Denn wenn ich nicht irre, hast Du exakt das formuliert, was die Schöpferin der Skulptur inhaltlich mit ihr verbunden hat, und auf jeden Fall das, was sich auch der Fotograf mehr oder weniger als Gehalt dieses und des anderen Bildes vorstellte.

    Gewiss kann man die „Verstrickung“ vor allem mit der Welt der Wohlstandskinder in den westlichen und gewissen östlichen Ländern verbinden. Wobei zumindest die mediale Verstrickung nicht nur die Kinder aus gut situierten Schichten betrifft, sondern vielleicht vor allem die der weniger gut situierten. Öfters wird berichtet, dass vor allem die Haushalte aus „bildungsfernen“ Schichten aber auf jeden Fall alles das besitzen, was die Welt der Medien in die Wohnung bringt: Fernseher, Videorekorder, DVD-Player, Computer ... vor denen dann die Kinder wohl nicht selten alleingelassen werden. Nur mit den Büchern hapert es wohl.

    Gewiss sind diese Diskussionen über die Probleme der Verstrickung in mediale und materielle Zwänge angesichts der Gesamtlage auf der Welt objektiv gesehen Luxusdiskussionen. Aber wie Du ja bereits bemerkt hast, wird der Luxus der Einen mit dem Elend der Anderen erkauft, und erzeugt der sinnlose Luxus eines Teils der Welt Entwicklungen, die die ganze Menschheit in ihrem Bestand gefährden. Damit sind nicht nur diejenigen „verstrickt“, die dem sinnlosen Luxus frönen, sondern leider auch die, die davon gar nichts haben, weil sie nichts haben.
  • Kerstin Stolzenburg 01/01/2009 23:18

    Die Antwort hat ja Zeit, lieber Eckhard. Meine Anmerkung zu diesem Bild kam leider erst nach über einem Jahr!Kerstin
  • E. W. R. 01/01/2009 19:22

    Liebe Kerstin,

    danke für die umfassende Besprechung. Ich werde darauf erst nächste Woche antworteen können.
  • Kerstin Stolzenburg 31/12/2008 8:03

    Lieber Eckhard,
    was hier, wie Helene vor gut einem Jahr schrieb, wie ein kreativ zusammengetragenes und phantasievoll geordnetes Ensemble spieltauglicher Alltagsgegenstände anmutet, dokumentiert in der Installation Isa Genzkens in etwas abstrahierter Form Zustände in unserer Gesellschaft. Die abgebildeten Puppen auf den beiden zu dieser Thematik exemplarisch eingestellten Fotos symbolisieren Kinder in einer für sie scheinbar jeweils typischen Lebenssituation bzw. Umwelt. Doppelt be“schirmt“, mit Spielsachen, Schwimmbecken und schicker Kleidung versorgt, in eine Decke gehüllt, könnte man „Verstrickt (1)“ als eine gewisse Überbehütung lesen. Die Figur in
    Verstrickt (2)
    Verstrickt (2)
    E. W. R.
    die fast hilflos an dieser Gehhilfe hängt, steckt in viel zu großen Handschuhen und auch Stiefel und Hut erscheinen keinesfalls altersgerecht. Wurde hier viel zu früh ein viel zu hoher Maßstab angelegt, das Kind in eine Rolle gedrängt, dem es noch gar nicht entsprechen kann, oder einfach zu großen Erwartungen ausgesetzt?

    Auch ohne bereits die anderen Figuren der Skulptur gesehen zu haben, schaffen es die beiden Bilder, andere Bilder in den Gedanken entstehen zu lassen; Bilder aus den Nachrichten, Bilder aus dem Alltag: Einsame Kinder in einer Fülle materieller Dinge, Kinder, denen es an geistiger und kultureller Nahrung fehlt, die vor dem Fernseher oder dem Computer geparkt werden, Kinder, die, ohne, dass sie selbst entscheiden könnten, schon sehr früh in eine von den Erwachsenen gewählte Rolle gedrängt werden, Kinder, die nur mit Äußerlichkeiten aufwachsen und denen allen auch ohne äußerliche Gewaltanwendung in ihrer Entwicklung, ihrem Urteilsvermögen und in der Seele dauerhaft Schaden zugefügt wird usw..

    Nun ist der Titel „Verstrickt“ in diesem Zusammenhang sehr gut gewählt. Man kann ihn auf verschiedene Weise lesen, auch verschieden betonen, so dass die Sichtweise auf die Bilder bzw. die Gegebenheiten variiert.
    Die Kinder sind einerseits beispielsweise verstrickt in eine übermächtige Konsumwelt, die von materiellem Besitz und Äußerlichkeiten lebt. Es geht um Quantität statt um Qualität. Sehr früh könnten sie dies verinnerlichen und als normal ansehen. Alles ist käuflich, ersetzbar, ohne wirkliche Bedeutung. Und man kann es wegwerfen, wenn es nicht mehr funktioniert. Für die Entwicklung eines jungen Menschen kann das fatale Folgen haben; die Frage nach wirklichen Werten im Leben dürfte zumindest verzerrt oder erst spät gestellt werden.
    Verstrickt sind manche Kinder auch in das Netz eines Lebens, das die Eltern ihnen aufdrängen, bewusst oder unbewusst, mit einseitig kanalisierten Entwicklungsmöglichkeiten oder überhaupt ohne echte Entwicklungsmöglichkeiten. Auch dies sind Formen der Verwahrlosung, des Nahrungsentzuges, des Mangels; keinesfalls zu verallgemeinern, aber sie sind da, so dass auf sie aufmerksam gemacht werden muss.
    Verstrickt haben sich dann auch die Eltern; Maschen falsch aufgenommen oder fallen lassen, sich umgarnen lassen von den Ansprüchen, Vorstellungen, Meinungen, entstellten Spiegelbildern eigener Wünsche, die vielleicht nicht immer die ihren waren oder die sie ungefragt, unreflektiert als richtig voraussetzen. Die Kinder selbst handeln meist auf der Basis des vorgelebten Lebens.

    Die Installation zeigt eine besondere Form der Passionsgeschichte. Man könne es auch ein stilles, schleichendes Leiden nennen, was hier sichtbar wird. Es geht auch um Würde und Respekt. Beschränken kann man die Verantwortung dafür aber nicht nur auf das Elternhaus; die Gesellschaft ist hier insgesamt in der Pflicht. Frau Genzken konfrontiert den Betrachter in dieser sehr provokanten Installation mit dieser Thematik. Die Frage wird nur sein, ob und wie darauf reagiert wird in den betreffenden Bereichen. Erreicht man die Richtigen, die Menschen, die für Kinder Verantwortung tragen?

    Losgelöst von der enggeführten Interpretation des Kunstwerkes in Bezug auf die Kinder, könnte ein Verstricken von Menschen in vielerlei Dinge und Gegebenheiten thematisiert werden, ein Verstricken, das beim Kauf von Süßkirschen aus Südafrika im tiefsten Winter beginnt, wenn man Ökologie, Klima und damit verbundene Umweltschädigungen betrachtet, ein Verstricken, das vielleicht sogar die unbewusste Beteiligung an Bürgerkriegen betrifft, wenn diese auf wirtschaftlichen Interessen und Ausbeutung von Bodenschätzen beruht, ein Verstricken im Kleinen, wenn man aufgrund fehlenden Mutes oder aus Angst vor mangelnder Anerkennung oder Ausgrenzung Wahrheiten verschweigt oder solche nach außen hin vertritt, die eigentlich nicht die eigenen sind.
    Es gäbe so viele weitere Beispiele.

    Kerstin
  • E. W. R. 20/01/2008 23:54

    Auf jeden Fall eine Interpretation, die ich nicht erwartet habe ;-).
  • † Richard. H Fischer 20/01/2008 22:55

    Bei einer Love Story ist doch immer einer der dominiert! Sehr lustig. Lieben Gruß, Richard
  • E. W. R. 04/12/2007 19:53

    Diese Installation ist in sehr hohem Maße auf ein erläuterndes Wort angewiesen.
  • Helene Kramarcsik 02/12/2007 7:53

    Ohne Deine Information wäre man wohl geneigt zu glauben, daß sich hier ein Kind kreativ spielend im Garten mit diversen unbeachteten Gegenständen beschäftigt hat und sich bemühte seiner Lieblingspuppe ein neues Zuhause zu schaffen, mit Dingen unserer Wohlstandgesellschaft, welche nicht mehr gebraucht werden und achtlos in einem Gartengeräteschuppen nur noch darauf warten, daß sie irgendwann mal entsorgt werden.
    Danke für Deinen Besuch und Anmerkung zu
    Kathedraleruine von Elgin # 03
    Kathedraleruine von Elgin # 03
    Helene Kramarcsik
    Wünsche noch einen schönen 1. Adventsonntag.
    LG Helene