Versuch einer Systematik zur Bildbeurteilung, Version 2
Auf vielfachen Wunsch möchte ich nun doch diese Systematik veröffentlichen.
>Woher stammt die Systematik? Was steckt dahinter?
>> Die Idee stammt u.a. aus der Zeitschrift "foto MAGAZIN". Dort werden alle veröffentlichten Leserfotos nach den 3 Kategorien IDEE, GESTALTUNG und TECHNIK beurteilt.
>> Die einzelnen Unterpunkte entstammen einer Diskussionszusammenfassung aus dem Members Talk.
Worauf kommt es NICHT an?
>> Es kommt nicht darauf an, daß diese Schema perfekt ist.
>> Es kommt nicht darauf an, ob die Kriterien vollständig und umfassend sind.
>> Es kommt nicht darauf an, ob die Kriterien "richtig" oder "falsch" sind.
>> Kurzum: es kommt überhaupt nicht auf das Schema im Detail an.
>Worauf kommt es an?
>> Es kommt darauf an, eine Versachlichung der Beurteilungen herbeizuführen. Auch AUSDRÜCKLICH eine gewisse Distanz zwischen Kritik (Bemerkung) und Foto auf der einen und Kritiker (Anmerkendem) und Fotograf auf der anderen Seite herbeizuführen, denn nur diese Trennung zwischen Sachlichem und Persönlichem erlaubt m.E. eine ehrliche Kritik. Diese mangelhafte Trennung ist der Hauptgrund für die vielen Kleinkriege und Pöbeleien hier in der fc. Oder sie führt eben zu dem was Einige hier "Buddysmus" nennen. Schön schleimen, denn fürs nächste Voting brauche ich ja jedes PRO.
>Warum veröffentliche ich dies hier?
>> Weiss ich auch nicht genau. Vielleicht mein ungebrochener Optimismus, dass man Leute nicht nur zum Konsumieren, sondern mindestens einige auch zum Nachdenken anregen kann.
>Antworten auf einige bereits geäußerte Bemerkungen zur Systematik:
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>Ich will gar keine kritische Beurteilung meiner Bilder:<
Ganz einfache Lösung: Foto nicht fürs Voting freigeben. Dann ist auch jedem sofort ersichtlich, daß keine kritische Bewertung erwünscht ist.
>"Kunst" kann man NUR nach Emotionen und Spaß beurteilen.<
Jede Art von "Kunst" (Malerei, Literatur, Musik, Fotografie) kann AUCH nach objektiven Kriterien beurteilt werden. So wie in der Literatur die Sprache und nicht nur die "Story" beurteilt wird (sonst kann ich gleich einen Comic lesen), so gibt es auch in der Fotografie bestimmte "Sprachelemente", die zumindest die "Bildaussage" unterstützen, manchmal sogar erst transportieren. Natürlich werden zunächst und vor allem unsere Emotionen angesprochen und ein gutes oder ein weniger gutes Foto unterscheidet sich oftmals nur dadurch, ob es dem Foto gelingt diese Emotionen beim Betrachter zu wecken.
>Bilder, die mir gefallen, haben etwas mit Gefühlen, mit Emotionen und Vorlieben zu tun, die von Moment zu Moment sich auch verändern können, je nach Stimmungslage etc.<
Stimme ich 100%ig zu! Aber dennoch bleibt die Frage, warum schafft es das eine Foto mehr, und das andere Foto weniger, bei mir Emotionen zu wecken?
> So habe ich das strukturieren aufgegeben und überlege mir eigentlich nur, warum gefällt mir ein Bild, warum zieht es meine Blick an, warum lässt es mich verweilen, warum macht es mich neugierig, warum ... warum ... Und das schreibe ich dann auf, mit wachsender Begeisterung <
Genau das ist es. Warum gefällt mir etwas mehr und etwas anderes weniger. Die Systematik gibt nur den Rahmen vor, sich selber einige Fragen zu stellen!
> Es ist schön ..., es gefällt mir ... und das ist gut so ... hat so ein bißchen mit Freiheit zu tun ... einmal nicht erklären / begründen zu müssen ...., abwägen zu müssen ...<
Kann ich verstehen, denn es geht mir auch so. Auf der anderen Seite sollen Kommentare ja auch zur Weiterentwicklung helfen. Dem Fotografen, dem Kommentierer/Kritiker und auch dem Mitleser.
> Die Lehre von der Bildgestaltung versucht nur nachzuvollziehen, was Gefühle den Betrachtern sagen ... oder um es mit Antoine de Saint Exupéry zu sagen "Man sieht nur mit dem Herzen gut".<
Hätte ich nicht besser sagen können. Und ich wiederhole es nochmals ausdrücklich.
DIE EMOTIONALE WIRKUNG EINES BILDES IST DAS ALLES ENTSCHEIDENDE.
Die Frage ist nur, wie erreiche ich das? Wie kann ich beim Betrachter diese Emotionen auslösen. Ich behaupte, dass es ähnlich wie in der Literatur, auch in der Fotografie, Malerei usw. bestimmte Gestaltungskriterien gibt, die dieses Wecken von Gefühlen fördern. Die zu erkennen und zu nutzen, darum geht es.
> Mir sind viel zu viele technische Aspekte in dem Bewertungsschema enthalten <
Mag sein, aber bitte daran denken: Vor der Kunst kommt das Handwerk. Und gerade für die Galerie sollten bestimmte Mindestanforderungen an die Technik m.E. erfüllt sein. Wobei Ausnahmen durchaus die Regel bestimmen können.
GONG: Und nun könnt ihr alle schön auf mich einprügeln.
Niccolo Dossarca ( oder auch u.a. JürgenStrötgen oder js ode 31/08/2011 12:37
verdienstvolles werk mit exzellentem kritiktext darunter. was ein lesen der anmerkungen noch bringt, das wird sich (mir) später noch zeigen. jetzt schon fast drei jahre keine neue anm, das ist allerdings geradezu schockierend 4me, anders ausgedrückt: so offenbart sich auch reale fc-'qualität'.ad hoc ein paar splitterle:
ein einziges schema für alle unzähligen arten von fotografie-beurteilung? verführt, animiert das nicht zur schematischen (versuchten) anwendung? ist es überwiegend auch denkanstoß und inspiration oder nur in ausnahmen hier und da?
kopfbetontes, ja fast kopfbestimmtes herangehen an bildbeurteilung, beschrieben und erläutert mittels geschriebener (ergo toter!?!) sprache - läßt das wirklich freiheit für die gefühlte, gesungene, hörbare "sprache", bildbeurteilung von herz und seele?
das schema ein versuchter wissenschaftlicher ansatz im gegensatz (einheit der gegensätze!?!) zum kreativen, künstlerischen, schöpferischen ansatz?
ich bevorzuge den ansatz, dem beurteilungskriterien gar nicht aktuell bekannt oder gar bewußt sein müssen und die er im dialog mit fotowerken eher nicht verbal aussprechen will, kann, sollte, dem aber die ur(jahrtausende)alten und sich ewig weiter entwickelnden erfahrungen, kenntnisse, maßstaebe in 'fleisch und blut' übergegangen sind und dem diese unauslöschlich in "heart&soul" INNEwohneN ...
summa summarum: mir ist fühlen, ahnen angesagt, dass das fotografische gedächtnis, wissen und können (samt menschheit und ihrer einzelnen angehörigen) um ein riesiges vielfaches älter, weiser, wirksamer ist als das was gängigerweise fotografie genannt wird oder werden möchte ...
zum abschluß ein ganz herzliches merci
ciao niccolo
Juan 13/09/2008 9:25
etwas vielfältig aber im Prinzip richtig.LG. Juan..
Volker Gutgesell 08/11/2006 20:53
@Derkritiker Itiker,Du schreibst unter anderem:
"Du glaubst doch nicht, dass Leonardo da Vinci's Werk nur deswegen so genial ist, weil er ab und zu mal einen goldenen Schnitt verwendet hat?"
Hast Du tatsächlich so etwas in meiner Antwort entlesen, daß glaub ich wohl nicht.
In Deinem Selbstverständnis als offizieller Kritiker aufzutreten, mußt Du natürlich geradezu getrieben sein gegen "altbackene Schulmeisterregeln" vorzugehen, viel Glück dabei.
Entschuldigung habe erst jetzt Dein Portfolio gesichtet und beende deshalb die Diskussion.
vgvg
Derkritiker Itiker 08/11/2006 19:41
@Volker GutgesellDu glaubst doch nicht, dass Leonardo da Vinci's Werk nur deswegen so genial ist, weil er ab und zu mal einen goldenen Schnitt verwendet hat?
Das mit der Scheibe kann ich problemlos umdrehen: Die Idee, dass die Erde eine Scheibe sei, war wohl ein ziemlicher Holzweg. Ebenso halte ich die Ansicht, dass ein goldener Schnitt automatisch ein Bild aufwertet, für ziemlich naiv. Nix gegen den alten Leonardo, der hat halt in einer Zeit gelebt, in der der goldene Schnitt als besonders schick galt.
Aufnahmen von mir wirst Du hier kaum finden, ich bin kein zahlendes Mitglied, sondern spiele hier nur die Rolle des Kritikers. Und als solcher muss ich halt auch solche altbackenen Schulmeisterregeln hinterfragen.
Gruss
Volker Gutgesell 08/11/2006 12:40
@Derkritiker Itiker,es waren nicht nur die Philosophen, sondern auch eine Ausbildung zum
Buchdrucker die mich für diese Sichtweise begeistert.
Das Werk Leonardo da Vinci`s zum gS
(und der war nicht nur Philosoph)
findet bei Dir also keinen Zugang, ok.
Bei dem gezeigten Organigramm geht es aber um 40 weitere Kriterien.
In diesem Verbund hat der gS auf jeden Fall seine Berechtigung.
Muß mir mal Deine Aufnahmen anschauen, eventuell kann ich ja
von Deiner fotographischen Sichtweise etwas abschauen.
Und wenn die Erde eine Scheibe ist, so sei es. o:))
vgvg
Derkritiker Itiker 07/11/2006 0:22
Ich weiss, dass berühmte Philosophen das als Ästhetik-Regel ausgerufen haben. Dem Philosoph ist halt nix zu doof. Und die tausend "Digitalfotografie leichtgemacht" Bücher, wo ein Autor vom anderen den gleichen Senf abschreibt, haben diesen unsäglichen goldenen Schnitt wieder aus der Mottenkiste geholt. Mir graut...Volker Gutgesell 06/11/2006 17:11
@Derkritiker Itiker,du meinst die Frage nicht im Ernst.
vgvg
Derkritiker Itiker 05/11/2006 0:55
"Goldener Schnitt" würde ich streichen, da das eine rein mathematisches Verhältnis ist, nämlich Eins zu 1,618033988...Was hat das bitte mit Ästhetik zu tun?
Gerald W 04/11/2006 10:06
Sehr gut gemacht. Nach sowas hab' ich schon lange mal gesucht. Die Arbeit hat sich gelohnt.LG
Gerald
Re Wo 13/05/2006 15:57
Jupp, stimme Thomas zu!Letztlich immer vom Motiv ausgehen...
den ersten Eindruck genau erhaschen
und sich diesen auch bewußt machen.
Der ERSTE Eindruck ist immer beim Motiv,
das Erleben, dass das Bild MIR gut
gefällt, ICH es total klasse finde...
und ähnliche SUBJEKTIVE Eindrücke,
die letztlich NUR SELBSTAUSSAGEN sind,
aber gar nichts über das Bild aussagen,
sind immer ZWEITE Erlebnisse. Vorher war
das Erleben des Bildes, wovon die Selbstaussagen
nur ein Echo in mir, meine Positionierung
(Selbstaussage) ZU dem Eindruck sind.
Der Eindruck muss verbalisiert werden,
in Worte versucht werden zu bringen
(das ist dann auch "Sprachkunst"!).
Und im Eindruck lebt das Motiv auf...
Technisches nur im Hinblick auf die
Betonung, Akzentuierung des Motivs ansprechen.
Ja, soweit mal meine schnellen Gedanken!
Grüße!
Rewo
Thomas Stölting 18/02/2006 17:03
Nach fast 2 Jahren sollte ich erwähnen, dass ich die Diskussion, heute etwas anders bewerte.Das betrifft nicht die Systematik selber, denn die kann immer nur Anstöße geben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern eher die Tatsache, dass eine solche Systematik dazu verführt, Bilder nur noch nach formalen und technischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Ich finde, dass zu dieser Systematik zwingend auch eine Beurteilung der "soft facts" gehört:
Wie war mein erster Eindruck von dem Bild?
Spricht mich das Bild emotional an?
Warum spricht mich das Bild emotional an?
Habe ich positive oder negative Empfindungen beim Betrachten des Bildes?
Warum habe ich diese Empfindungen?
Usw.
LG Thomas
m.bee 26/01/2006 10:58
Das ist aber konstruktiv,vielen Dank für dein Engagement in dieser Sache Thomas - auch deine Tipps zu PS auf webseite sehr zu empfehlen!
Jetzt geh ich mal deine Fotos anschauen!
m
Rainer RXI 03/01/2006 21:37
genial;-))
Günther Müller (gm1) 25/10/2004 1:56
Hallo Thomas,vieln Dank für die Anregung dieser Diskussion.
Habe jetzt über eine Stunde alle Anmerkungen gelesen und muss sagen das war das Beste und Kreativste was ich bisher in der fc an Diskussionen gesehen habe.
Gruß Günther
Thilo Remmers 01/09/2004 13:46
will mich nicht hier einmischen, ich weiß nur, dass es in die fc galerie eh nur technisch praktisch perfekte bilder schaffen. sowas passiert mir äußerst selten. allerdings find ich die machart dieses deines schemas interessant.wie/womit biste da rangegangen? macht n sehr sauberen eindruck. könnte sowas generell gebrauchen!
danke schon mal!
lgT