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Vorher-nachher

Der unten stehende Text enthält eine Zusatzinformation zu den Bildern. Alle Fotos von A. dokumentieren beispielhaft die Wandlung eines Ortes hinein in die Geschichtslosigkeit seines Gesichtes.

Der Tod kam pünktlich
Am 10. Juli 2012 betrat ein älterer Mann einen Kolonialwarenladen in A. Er stand und wartete, bis er an der Reihe war. Dann bestellte er 3 Flaschen Becks Bier, ein Paket Brot und eine Dose Margarine. Als der Händler ihm die Ware auf die Theke legte, sagte er beiläufig: „Das ging ja schnell. Vorgestern stand die Scheune noch und nach zwei Tagen wird schon das Fundament für den neuen Stall gelegt.“ Der Alte drehte sich um, stöhnte und fiel hin. Schnell rief der Mann einen Krankenwagen. Innerhalb von 15 Minuten war der vor dem Geschäft. Zwei Sanitäter eilten mit ihrer Notausstattung in den Laden und nahmen sich des Umgefallenen an. Der bewegte sich nur leicht, reagierte kaum auf Anrede. Sie setzten das Beatmungsgerät auf, gaben ihm eine Spritze gegen Herzstörungen und hoben ihn langsam auf eine Bahre. „Der wird es nicht schaffen“, sagte der eine Sanitäter. „Sein Herzschlag ist sehr schwach.“ Der Notarzt kam fünf Minuten später, überprüfte den Puls, schaute auf die Pupillen des Mannes und sagte: „Wir können ihm nicht mehr helfen. Ruf den Leichenwagen!“ Innerhalb von 25 Minuten ging das Leben dieses Alten zu Ende. Vor dem Schaufenster standen mehrere Menschen und unterhielten sich aufgeregt. „Das ist die Schuld von B.!“ rief einer. „Alle seine Herzbeschwerden begannen, als der verkaufte Hof von B. langsam abgerissen wurde und der Alte mit ansehen musste, dass er das Lebenswerk seiner Vorfahren nicht retten konnte. B., ein reicher Großbauer in A. ist noch ein Mächtiger. Er schert sich nicht um das Gesicht des Dorfes. Er lässt alle Bauten abreißen, die seinen Plänen im Wege stehen. Sein Hof sieht jetzt schon aus wie eine Agrarfabrik. Das ist in der Summe die Meinung vieler Dorfbewohner. Der reiche Bauer B. schafft sich nicht viele Freunde, nur Abhängige. „Das wird alles nach hinten losgehen.“, sagen sie.
Der Timpen-Hof musste von ihm verkauft werden, als die Familie enorme finanzielle Schwierigkeiten bekam. Der Alte konnte sich den Kunden nicht aussuchen. B. hatte das Geld, so dass er seine Schulden durch den Verkauf bezahlen konnte. Dann blieb ihm noch ein wenig Geld für sein Leben, für das Bier, das Brot und die Margarine. Im Laufe der Zeit wurde er immer verbitterter, sein Herz wurde schwächer bis vorgestern. Als seine Augen nichts mehr von dem sahen, was einst sein Hof war, muss es ihn wohl dahingerafft haben.
Die Furcht geht um im Dorf, die Furcht vor der Herrschaft des Geldes. Die Bewohner sehen ihren Lebensraum verschwinden und fühlen sich umzingelt von Maisfeldern und Biogasanlagen, von riesigen Stellen für Schweinezucht und auch solchen zur Kälberzucht. „Kein schönes Leben mehr hier“, klagen sie. Vor sechs Jahren war schon einer gestorben, der wichtig war für das Dorf: Der Friseur, der auch Wirt war.

Und zu Staub wirst Du
Ahauser Treff: eine Kneipe, eine Haarpflegeeinrichtung. Der Besitzer war Friseur und auch Kneipier. Er lebte alleine und trug ein Toupet. Er trug es als Friseur und als Bierzapfer. Vor sechs Jahren starb er und hinterließ eine schmutzige Küche mit einem großen Herd, einer versifften Friteuse und einen Kühlschrank, in dessen Nachbarschaft ein Gefrierschrank stand. In diesem Labyrinth finden sich noch weitere Räume für unterschiedlichste Verwendungszwecke.

Bilder aus einem Leben
Bilder aus einem Leben
Rudolf Aloisius Wiese

Das Haus steht an der Durchgangsstraße. Vorne ein Eingang mit zwei Treppen. Links ging es in einen Frisiersalon, rechts in eine Kneipe. Im Raum des Frisiersalons befinden sich noch drei Metallstühle, ein Haarwaschbecken, an der Wand befestigte Fußstützen und sehr viel Schmutz. Wenn man aus diesem Salon nach hinten geht, gelangt man in ein Raumlabyrinth voller Schmutzreste und um ein paar Ecken in den Kneipenraum. Dunkles Licht überall. Vor den mit Spinnweben überzogenen Fenstern befinden sich noch schwere Gardinen, die trotz ihres Rautenmusters wenig Licht in die Räume lassen. Für die Möblierung hatte der Wirt vor Jahren das Material Eiche gewählt. Bewohnt werden alle Räume nur noch von Unmengen von Spinnen, die in ihren Netzen innerhalb von 6 Jahren eine Unzahl von Opfern um ihr Leben brachten.
Wenn man über eine knarrende Treppe in den ersten Stock geht, fühlt man sich versetzt in eine längst vergangene Welt. Die Möbel zerfallen, die Teppiche verschmutzt, die Bäder voller Badereste. Beim Anblick der sanitären Einrichtungen überfällt den Betrachter ein neugieriger Ekel. Viele Zimmer, mehrere Schlafzimmer und am Ende noch ein großer Raum, in dem zwei Matratzen vor sich hin schimmeln und ein breiter Frisierstuhl aus Metall, dessen Kissen aus weißem Plastikmaterial sind. Ein Waschbecken wartet noch auf Frauenköpfe, deren Haare nach einer schicken Frisur für das nächste Schützenfest rufen. Vor dem kleinen Mansardenfenster hängen schief zwei Gardinen und dienen als Fangnetz für Schmutz und Licht. Während damals die Frauen auf diesem Stuhl warteten, tranken ihre Männer unten das Haake Beck aus Bremen.
Jetzt gibt es keine neue Frisuren mehr und auch kein Bier. Der Zapfhahn der Anlage lässt sich nur noch schwer bewegen, auf den Barhockern vor dem Tresen sitzen nur noch die Erinnerungen und unterhalten sich mit dem Schmutz und den Spinnen, die immer wieder ein Schlupfloch finden, um Ungeziefer einzufangen.
Nicht weit entfernt wartet schon der Abrissbagger. Er ist die sehnsüchtig erwartete Hilfe bei der Lösung der Schmutzprobleme. Man kann noch die Stimmen aus alten Zeiten hören. In einem Gästezimmer liegen auf einem Bett eine Menge Polaroids. Sie zeigen Menschen und Räume. Viele zeigen einen Mann mit Brille und Toupet. Das muss wohl der bierausschenkende Friseur gewesen sein. Wer sein Grab auf dem Ahauser Friedhof besucht, hört manchmal abends ein Stöhnen aus dem Grab und danach ein unangenehmes Rülpsen. Das sind die Erinnerungen an ein dörfliches Leben, wird vermutet.

Es geht bergab in diesem einstmals schönen Dorf. Schlimme Beispiele für reines Gelddenken bewegen die Geschichte hin zur Bedeutungslosigkeit eines Ortes, den Jutta Michels in ihrem Roman Pfingstfeuer zu altem Leben erweckt.

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