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Maik Brötzmann


Free Account, Reykjavík

[ Zukunft? ]

Die „zukunftsorientierte“ Entwicklung Islands dieser Tage kann einem mächtig Kopfschmerzen bereiten. Für Außenstehende oft nicht ersichtlich ist die Entwicklung im Land, stark widersprüchlich und nicht zu selten fehlmotiviert. Da werden auf finanziell wackeligem Hintergrund Städte und Ortschaften mehr als verdoppelt, ganze Berge für Strassen- und Baumaterial entkernt, Aluminiumfabriken aus dem Boden gestampft, dem Land unverträgliche hoher Tourismus aufgebrummt (angestrebt sind 3 Mio. Touristen im Jahr!), und und und. Bei einem Land das vor ein paar Jahrzehnten noch als dritte Welt Land existierte und den Sprung in den 90er Jahren zum reichsten Land Europas schaffte macht sich Angst breit. Bei steigender Inflation und sinkender Währung kämpft ein Land um seine soziale Stellung. Kein Wunder das es inzwischen ernsthaft mit dem Euro flirtet. Man kann inzwischen schon von einem „Ausverkauf von Land und Volk“ reden. Für den Kampf ums Überleben sind offensichtlich mit fast alle Mittel recht. Politiker des Landes ziehen um die Welt, werbend mit dem sauberen Energiepotential des Landes. Unbeachtet bleibt dass die gesamte Landwasserkraft und thermisch verfügbare Energie dabei in die Kalkulation einbezogen wurde. Übersetzt heißt dass das alle Flüsse gedämmt, alle thermischen Quellen maximal genutzt werden können.
Tatsächlich scheint sich Island damit schwer zu tun einen Weg zu finden, der wirtschaftlich, ökonomisch und doch auch ökologisch der Richtige sei. Mit dem groß gesetzten Ziel energetisch autark zu sein schießen neue Bohrlöcher für Heißwasserquellen genauso schnell Löcherkäseartig aus dem Berg (z.B.: Hellisheiði bis Nesjavellir) wie mehr und mehr Flüsse an ihrem natürlichen Lauf gehemmt und eingedämmt und gestaut werden. Das größte Projekt hierbei ist ganz klar der Karahnjukar- Staudamm. Doch gibt es vor allem im Süden weitaus mehr bereits aktive und geplante Projekte. Sind Hydrogen- Tankstellen und Fahrzeuge in der Hauptstadt als nacheifernswerte Entwicklung zu betrachten, stellt sich doch schnell die Frage, wie hoch und warum der Energiebedarf eines so schwach besiedelten Landes ist.
Die Bevölkerung selbst ist darüber gespalten. Diejenigen, die an Heute denken sehen neue Arbeitsplätze. Nicht ganz ohne Grund bei rückläufiger Fischindustrie, voll subventioniertem Agrargewerbe und fortlaufender bevölkerungstechnsicher Desertifikation im Landgebiet. Ideen von neuen Aluminiumhütten und Großschifftankstellen für den Schiffverkehr in der Nordpolregion (Westfjorde) bekommen da schneller Zuspruch als noch vor 5 Jahren. Der Werbeträger: „Aus dem klaren, sauberen isländischem Gewässer“ für die Fischindustrie, dem noch immer größten Standbein Islands, dürfte damit allerdings hinfällig werden.
Der Teil der Bevölkerung der auch an Morgen denkt, sieht große Gefahren in der Entwicklung. Der Raubbau an der Natur, die Belastung der eigenen Bevölkerung mit Schwerindustrie und seinen Folgen, die einseitig anmutende Politik und das stärker werdende Gefühl der Menschen, Herr über die Natur zu sein, kann sie eines Tages wieder stark zurück werfen.

Natürlich ist dieses Diskussionsthema noch lange nicht erschöpft. Denen, die das Land als Tourist bereisen hoffe ich etwas mehr Information zu ihrem Reiseland gegeben zu haben, als sie es in einem Touristenführer finden würden. Vielleicht beobachten sie selbst die Veränderungen im Land.
Diejenigen, die Island so wie ich ihr Zuhause nennen, hoffe ich Gedankenanstöße und Diskussionsstoff zu geben.

Über ein paar Kommentare zum Bild würde ich mich natürlich auch freuen …

;o)


Pentax K10, April 2008

Commenti 1

  • Thomas Müller TM 05/08/2008 10:05

    Sehr interessanter Text, der nachdenklich stimmt! Diese Hochspannungsleitungen sind mir besonders im Hochland auf dem Weg nach Landmannalaugar aufgefallen.

    VG, Thomas