. . . der Letzte seiner Art . . .
Dieser sonnige Tag war nach langer Zeit mal wieder näher an den Menschen, als bei
den ausgetrockneten Böden. Der Tag neigte sich langsam aber stetig dem Ende ent-
gegen und die Sonne schien nun einladend milde. Also rein ich die Schuhe und blitz-
schnell ins Niendorfer Gehege gefahren, auf einen entspannten Abendspaziergang.
Der Wald war gerade dabei sich auf die Nacht einzustimmen. Es wurde dunkler und
nur über den Wegen brach sich immer mal ein Sonnenstrahl seine Bahn zu mir her-
unter. Ich genoß und schlenderte entspannt und wohlig gestimmt auf meinen eingeüb-
ten Wegen entlang und meine Augen versuchten im Dunkel des Dickichts Besonder-
heiten zu erspähen. Sei es ein aussergewöhnlicher Pilz oder gar Wild, welches sich
immer mal in diesen Wald verirrte. Welch herrliche Ruhe, welch herrliche Abendstim-
mung, welch gute Idee, mich noch einmal auf die Socken gemacht zu haben. So ver-
ging Minute um Minute und ich hatte bald zweidrittel meines üblichen Weges absol-
viert. Der Weg gabelte sich. Halblinks ging es auf direktem Wege zur U-Bahn, rechts
ebenfalls, aber über einen längeren „Umweg“. Ich folgte dem „Umweg“, denn diese A-
bendstimmung war einfach nur wie für mich gemacht. Ich ging durch ein etwas abge-
legenes Waldstück. Es war sehr still und ich hörte das leichte Knirchen unter meinen
Schuhen, während ich Schritt für Schritt dem Sandweg folgte. Irgend etwas stimmte
nicht, spürte ich. Etwas war da, aber auch nicht. Ich blickte mich bedächtig um, um
meine Nervosität zu überdecken. Aber ich konnte nichts erkennen, nichts sehen, was
mir dieses Unbehagen bereitete. Du spinnst, dachte ich bei mir. Aber mein Verstand
konnte sich nicht gegen mein Gefühl behaupten. Ich spürte, wie leichter Schweiß mei-
nen Oberkörper bedeckte. Ich schüttelte den Kopf und dachte laut: mensch Neydhart,
da ist nichts, reiss Dich zusammen. Du schaust jetzt noch einmal ganz in Ruhe um
Dich und dann gehst Du zielstrebig zur U-Bahn, Punkt ! Ich blieb stehen, auch, weil in
diesem Moment ein heller Sonnenstrahl sich seinen Weg durchs Blätterdach bahnte.
Wie meine Augen meine Umgebung Meter für Meter „scannen“, da sehe ich an einem
breiten Baumstamm in etwa 3 Metern Höhe einen Schatten. Es ist mehr ein Profil, das
Profil eines Kopfes. Und wie ich genauer hinschaue, da sehe ich zu meiner Überrasch-
ung das Profil eines Indianerkopfes, in voller Kriegsbemalung. Seit Pierre Brice uns
Winnetou ins Wohnzimmer brachte weiß ich, das Indianer gut sind und ich mir also
keine ernstaften Sorgen um mein Leben machen muß. Haare auf dem Kopf habe ich
eh nur wenige. Ob es sich um einen regionalen Ureinwohner handelt, fragte ich mich;
vielleicht der letzte seines Stammes ? Wild gab es hier kaum, so das er von irgend et-
was anderem Leben mußte. Nur von was ? Ich zückte spontan meine Geldbörse. 30
Euro in Scheinen waren darinnen. Ich holte sie hervor und hob die Hand mit den Geld
scheinen in die Höhe. Der Indianer konnte das Geld sehen. Er sah auch, in welchen
Baumspalt ich das Geld für ihn steckte. Dann ging ich entspannt weiter. Von diesem
Geld konnte er sich zumindest an der Dönerbude für ein paar Tage sein Abendessen
kaufen und seinen Hunger stillen. Der Vorteil einer Weltstadt ist der, Du kannst ausse-
hen wie Du willst, es fällt eh nicht mehr auf. Stadtluft macht frei, schoß es mir plötzlich
durch den Kopf und beschloß, möglichst alle 14 Tage mal ein paar Euro in den Baum-
spalt zu stecken. Winnetou zum Gedenken !
Marina Luise 14/09/2021 20:23
Ich sehe da einen Hasen mit einerm schrâgen Elchtatoo auf der Wange und herabhängenden Mundwinkeln, als habe man ihn gefragt, ob er nicht mit dem Nikolaus tauschen will! ;)Runzelkorn 11/09/2021 15:00
Ich hab sie auch gesehen, Deine Rothaut. Das ist schon ein paar Tage her.Und daß sie sich in Deinen Wald zurückziehen wird, das konnte man damals
noch nicht ahnen. Liegt wohl am unverhofften Regierungswechsel in diesem
Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Kerstin Stolzenburg 11/09/2021 14:29
Spannend! Ich bin leider noch nie einem echten Indianer begegnet, dafür aber kürzlich in eine Diskussion um den Begriff 'Indianer' geraten. Habe auf einem Poster deren Wissen um alte Heilpflanzen erwähnt und wurde gleich darauf angesprochen, dass man "Indianer" nicht mehr sagen dürfte, weil es rassistisch sei. Mir war das völlig neu und unverständlich, weil ich es ja sogar mit ganz besonders positiven Eigenschaften verknüpft hatte.Nach längerer Recherche ... man darf es doch noch sagen:
https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&url=https://ggr-law.com/darf-man-noch-indianer-sagen/&ved=2ahUKEwjO28PV8PbyAhUnM-wKHVgSCB8QFnoECEcQAQ&usg=AOvVaw0s-9R0SWRBhHJP3q35MNOk&cshid=1631362732557
Ich für meinen Teil habe nie etwas Negatives in der Bezeichnung "Indianer" gesehen, zumal der Name ja eine Herleitung von Indien zu sein scheint, das Kolumbus zu finden gedacht hatte und der demnach einen rein geschichtlichen Hintergrund hat, und wundere mich manchmal, wieso plötzlich überall Rassismus vermutet wird, wo gar keiner ist oder war.
Soweit mal kurz als Annäherung an das tolle Portrait! :)
LG. Kerstin
peju 10/09/2021 14:39
Stadtindianer...ja, so einer musste das gewesen sein. Die natürlichen sind ja eher Landbewohner, denen man ihr Land entwendet hat.Gerne empfehle ich Annie Proulx 'Aus hartem Holz' dazu...aber wenn man auch Bergleute mit auf dem Schirm hat: Hampitt Holbachs Odyssee...
https://www.deutschlandfunk.de/annie-proulx-aus-hartem-holz-vom-sisyphos-zum-waldherrn.700.de.html?dram:article_id=390580
https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Elmar-Engel+Hampitt-Holbach-s-Odyssee-Canada-1896/id/A024IVKE01ZZW
...und dann las ich 'Indianer' wäre so ein I-Wort und man wäre gut beraten dafür andere Begriffe zu verwenden.... keine Ahnung warum
Gruß
Peter
Marion Jäger 10/09/2021 10:41
Bild und Text sind wieder mal genialHJ.B. 10/09/2021 8:01
Du spendest für Indianer.Klasse!
Ich habe noch nie gelesen, dass Indianer morden, vergewaltigen, klauen, provozieren.
Diesem Gast hätte ich auch 30 Euro geschenkt.
Herzliche Grüße
Hans Jürgen.
Morrighan 09/09/2021 19:10
Du irrst im Wald umher und verteilst Kohle - Klasse - ich wohn auch am Waldrand - kannst gern vorbeikommen! ;-)Runzelkorn 09/09/2021 18:27
Deine Texte sind ja noch länger als meine.Ich hab mir mal das Wochenende freigenommen...