Über Gräber vorwärts – die Pervertierung eines Goethe-Zitats
Auf dem Berliner Invalidenfriedhof mit dem Ultraweitwinkelzoom unterwegs.
1831 schrieb Goethe in Weimar einen Brief an den Berliner Freund und Musikpädagogen Carl Friedrich Zelter.
Darin schildert er eine Begegnung mit einem anderen Künstler während der Italienreise mehrere Jahre zuvor.
Der Brief endet, angesichts des hohen Alters der beiden Freunde, mit selbstironischer Zuversicht:
"Und so, über Gräber, vorwärts"
Ein Zitat, das Militaristen nur zu gern zu einem Schlachtruf pervertierten: "Über Gräber vorwärts!"
Diese Inschrift findet sich auch auf der bronzenen Grabplatte von Generaloberst Hans von Seeckt.
Ihm muss man aber eine Goethe'sche Zuversicht zugestehen.
Denn er war durch Friedrich Ebert für die Niederschlagung des Hitler-Ludendorff-Putsches eingesetzt worden.
Er nutzte seine Amtsgewalt auch, um die NSDAP, die KPD und die Deutschvölkische Freiheitspartei zu verbieten.
Er war Chef der Heeresleitung der Reichswehr, Reichstagsabgeordneter und bis zum Tod Militärberater in China.
Aus dem von ihm mitgründeten Kulturzirkel "SeSiSo-Club" ging später die Widerstandsgruppe um Wilhelm Solf hervor.
"Über Gräber vorwärts" ist aber inzwischen braun-revanchistisches Gedanken"gut" der Neonazis geworden.
Es ist der Titel eines gebrüllten Heavy-Metal-Titels der Gruppe "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten".
Gigi ist Daniel Giese, Gründer der Rechtsrockband "Stahlgewitter", die ebenfalls diese Zeile brüllt.
Besonders populär ist der Titel auch unter den Truppen im ukrainischen Bürgerkrieg.
Der Text ist nicht verboten (daher gebe ich einen vielsagenden Auszug wieder), sollte aber verboten werden:
Über uns die Schwarze Sonne in einer weißen Welt.
Über Gräber vorwärts, auch wenn alles hier zerfällt.
Uns scheint eine Sonne, sie führt uns voran.
Ihre Strahlen brechen sich durchs tiefste Dunkel Bahn.
Denn das wahre Deutschland lebt noch unter all den Verboten verborgen.
Wir sind nicht die Letzten von gestern, nein, wir sind schon die Ersten von morgen.
Vaterland, zerstückelt klein,
sollst einmal wieder größer sein.
So weit man deutsche Weise singt,
so weit die deutsche Zunge klingt.
Armer Goethe. Er würde kotzen.
Fotobock 20/05/2020 19:39
Soldaten steigen immer über Gräber, denn jeder Krieg bedeutet Gräber... unser Land ist bunt und so ist es gut- viele Menschen mit Migrationshintergrund, viele Meinungen, diverse Gesinnungen und Ansichten. So soll es sein. Und Parolen helfen da auch nichts. Es werden gerne gute und weise Zitate für andere Zwecke missbraucht. lg Barbaraanne47 20/05/2020 1:28
Was für ein dummes Geschwafel vom "wahren Deutschland", einer schwarze Sonne in einer weißen Welt?? Sind unsere Soldaten nicht schon des öfteren vorwärts über Gräber gestiegen? Haben die immer noch nicht genug?Mein Vater war in 2 Weltkriegen, schon als 18jähriger musste er schlimme Dinge ansehen und bei dem Lied: "ich hatt' einen Kameraden" hat er regelmäßig geweint. Nach dem 2. Weltkrieg war er ein gebrochener Mann, aber nicht, weil das "wahre Deutschland" nicht mehr existierte, sondern weil er Jahre vergeudet hatte und seinen Lebenstraum nicht mehr vollenden konnte. Hat jemals einer von denen das Buch "Stahlgewitter" von Ernst Jünger gelesen? Denen würde ganz schön der Arsch auf Grundeis gehen, wenn sie im Schützengraben im Trommelfeuer liegen würden. Heute hätte man wahrscheinlich gar keine Chance mehr, weil Kriege heute anonym mit Drohnen stattfinden würden.
Wer heute Krieg noch als heldenhaft stilisiert und einem großdeutschen Reich hinterherweint, kann anscheinend mit seinem Leben nichts Vernünftiges anfangen. In der Fantasie kann jeder ein Held sein, aber im echten Leben kriegen sie nix auf die Reihe
Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte bei so einem Schwachsinn.
LG Anne
homwico 20/05/2020 1:12
Schön gezeigt und beschrieben.LG homwico